"Crossfit ist ein extrem umfassendes Workout, das man sehr gut an die eigenen körperlichen Fähigkeiten anpassen kann", sagt Sportmediziner Christian Gäbler.

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Am Boden liegen Kugelhanteln und Medizinbälle, von der Decke baumeln Ringe. Es riecht nach Turnsaal, sieht nach Turnsaal aus - aber hier stehen keine unmotivierten Schüler herum, die den Turnunterricht über sich ergehen lassen, sondern eine Gruppe von Crossfit-Anfängern. Streng genommen befinden wir uns auch nicht in einem Turnsaal, sondern in einer "Box", wie ein Crossfit-Studio genannt wird. Davon gibt es mittlerweile einige in Wien.

Wer die Sportart, die in den USA entwickelt wurde, googelt, sieht Fotos von muskelbepackten Männern und Frauen, die Baumstämme schleppen und Lkw-Reifen stemmen. Mit einer Mischung aus Ausdauer-, Kraft- und Koordinationstraining verspricht Crossfit innerhalb kürzester Zeit einen gestählten Körper - und zwar ganz ohne moderne Fitnessgeräte. Doch der Weg dorthin ist steinig: Das Workout wird oft als das "härteste Training der Welt" bezeichnet. Die Intensität ist hoch, Pausen gibt es keine. Dafür schwärmen viele Crossfit-Fans von einem regelrechten Suchtpotenzial.

Davon sind jene Anfänger, die heute ein Probetraining absolvieren, noch weit entfernt. In der Basic-Einheit wird mit Kettlebells, also Gewichten mit Griff, trainiert. Die Gruppe besteht aus etwa zehn Frauen und einem Mann, die sich in einem Kreis rund um den Trainer aufstellen. Die erste Aufgabe: jenes Gewicht wählen, das dem eigenen Fitnesslevel entspricht - das geht von sechs Kilo aufwärts. Die eine oder andere Selbstüberschätzung wird rasch enttarnt.

Dann wird im Kreis um den Trainer stehend geübt, wie so ein Gewicht eigentlich richtig vom Boden aufgehoben wird. Später werden die Gewichte in die Höhe gestemmt und geschwungen. Das fordert die Koordination, und man spürt es im Rücken. "Das ist die Rückenmuskulatur", beruhigt der Trainer. "Morgen werdet ihr einen richtigen Muskelkater haben."

Die Gruppe als Erfolgsgeheimnis

"Crossfit ist ein extrem umfassendes Workout, das man sehr gut an die eigenen körperlichen Fähigkeiten anpassen kann", sagt Christian Gäbler, Sportmediziner und Leiter der "Sportordination" in Wien. Daher sei es auch für Menschen in verschiedenen Altersgruppen und mit den unterschiedlichsten Bedürfnissen geeignet. Denn ein kompetenter Trainer zeigt Alternativübungen, wenn das Fitnesslevel für eine bestimmte Übung noch nicht reicht. Nur alten Menschen rät Gäbler vom Crossfit-Workout ab: "Die Elastizität des Sehnen- und Muskelgewebes nimmt im Alter ab. Bei ruckartigen Bewegungen besteht daher erhöhte Verletzungsgefahr."

Schnell wird klar: Das Erfolgsgeheimnis des Workouts liegt auch im Gruppenerlebnis. Bis zu 15 Gleichgesinnte trainieren gemeinsam und pushen sich in der einstündigen Einheit. Aufgeben fällt leichter, wenn man alleine ist. "Es ist ein Community-Gefühl, das vermittelt wird", sagt auch der Sportpsychologe Georg Hafner.

Dieser soziale Aspekt spiele beim Erfolg von Crossfit eine entscheidende Rolle - und werde auch von Frauen geschätzt, die den Sport zunehmend ausüben. Und das ist wiederum gut für das Gruppenklima, freut sich Maximilian Urak vom Wiener Studio Crosszone. Denn nicht alle wollen Berge von Muckis aufbauen. "Crossfit ist mehr Bodystyling als Muskelkraftentwicklung", sagt Sportmediziner Gäbler.

Überlastung droht

Die Gruppe birgt aber auch ein gewisses Risiko. "Wer sich zu sehr motivieren lässt, hat rasch ein Problem", warnt Gäbler. Denn wer seine Grenzen nicht kennt, dem drohen Überlastungen: Muskel- und Sehnenverletzungen, aber auch Schulterprobleme. In Extremfällen kann der Körper auf ein besonders hartes Workout sogar mit Rhabdomyolyse, also Muskelzerfall, reagieren. Das kann zu einem Nierenversagen führen. "Das passiert dann, wenn jemand nicht auf seinen Körper hört", sagt Gäbler. Bezeichnenderweise ist daher auch "Uncle Rhabdo" - ein Clown, der es mit seinem Training übertrieben hat - das inoffizielle Maskottchen der amerikanischen Crossfit-Szene.

Martin Gruber, Sportorthopäde und Leiter des Medizinzentrums Alser Straße in Wien, sieht den Fitnesstrend allgemein kritisch. Immer wieder kommen in seine Ordination Crossfit-Fans, die Probleme mit der Lendenwirbelsäule oder der Schulter haben. "Es ist auffallend, dass der rationale Zusammenhang zwischen den Beschwerden und Crossfit nicht hergestellt wird", sagt er. Viele Menschen hätten nicht gelernt, sich richtig zu bewegen und den Körper richtig zu belasten. Sie seien dann vom Workout überfordert.

"Crossfit muss man wirklich unter professioneller Anleitung machen", betont Christian Gäbler daher. Die Trainer tragen viel Verantwortung. Der Sportmediziner betont, dass viele der Wiener Studios auf hohem Niveau arbeiten. Schwarze Schafe dürfte es in der Branche aber auch geben: Die Ausbildung zum Crossfit-Trainer kostet tausend Dollar und dauert nur ein Wochenende.

Ohne Fleiß kein Preis

Zurück in die "Box": Am Ende des Probetrainings steht nach dem Einüben der einzelnen Bewegungen die richtige Herausforderung bevor. Acht Minuten lang sollen die eingeübten Bewegungsabläufe von jedem so oft wie möglich wiederholt werden - ein zentraler Bestandteil des Crossfit-Workouts. Die Musik wird voll aufgedreht, ein Countdown läuft mit. Wer aufgibt, wird vom Trainer motiviert. Am Ende geht nichts mehr: Die Arme fühlen sich an wie Gummi, der Rücken schmerzt. Dafür gibt es eine Runde Applaus von der Gruppe für die Gruppe.

Bis zum nächsten Morgen stellt sich dann wie erwartet der Muskelkater ein, der zum tagelangen Begleiter wird. Für tatsächlich sichtbare Ergebnisse sollte dreimal in der Woche trainiert werden, empfiehlt Sportmediziner Gäbler.

Was es kostet? Um die 100 Euro pro Monat kostet die Mitgliedschaft in einem Studio. Sportpsychologe Hafner vermutet, dass mit der Preisgestaltung eine eigene Zielgruppe angesprochen werden soll, die sich das auch leisten kann.

Seine Nische wird sich Crossfit wohl trotzdem langfristig erobern: "Ich denke, dass der Fitnessstudio- und Wellnesshype gesättigt ist", meint Hafner. Den Leuten fehle die Zeit dafür, weshalb Crossfit eher dem Zeitgeist entspreche. Die ersten Wochen sind jedenfalls nicht einfach, stellt Sportmediziner Gäbler klar: "Es ist am Anfang ein sehr hartes Training - mit viel Muskelkater." (Franziska Zoidl, derStandard.at, 6.2.2015)