Der Trend-Nährstoff: Macht Eiweiß wirklich schlank?

Die wichtigsten Fakten

Von: Von CAROLINE FRANKE

Können Sie sich noch an den Slogan „So wertvoll wie ein kleines Steak“ erinnern? Er stammt aus einer Werbung für Fruchtquark, sollte auf den hohen Gehalt an Eiweiß hinweisen, den man so angeblich nur in einem Stück Fleisch findet. Aber ist ein Steak tatsächlich der Nonplusultra-Eiweißlieferant? Und wofür, außer für den Muskelaufbau, brauchen wir Eiweiß? Macht der Stoff wirklich schlank?

Fakt ist: Eiweiß ist der totale Trend-Nahrungsbaustein. Kein anderer der drei Hauptnährstoffe steht zurzeit so heftig in der Diskussion. Fett? Soll eh nur fett machen. Kohlenhydrate? Soll man abends besser weglassen, sonst machen sie dick. Eiweiß jedoch wird als Wunderstoff gehypt – es soll fit, stark und schlank machen.

Unzählige Diäten, von Montignac, über Dukan bis hin zur Hollywood-Diät, basieren auf einer gesteigerten Zufuhr von Eiweiß. In den Regalen stapeln sich Eiweißdrinks und selbst der Bäcker um die Ecke backt mittlerweile Eiweißbrote. BILD am SONNTAG hat zwei Experten gefragt, die sich mit Eiweiß auskennen: die Ernährungsexpertin Dagmar von Cramm und den Arzt Dr. Burkhard Jahn. Gemeinsam beantworten sie die wichtigsten Fragen zu dem In-Nahrungsbaustein.

Was genau ist Eiweiß?

Dagmar von Cramm: „Eiweiß, auch Protein genannt, ist ein wichtiger Nährstoff, der aus Aminosäuren besteht. Eiweiß ist der Grundbaustein allen Lebens, die Bausubstanz unserer Zellen. Unser Körper besteht zu knapp einem Fünftel aus Eiweiß: unsere DNS, Muskelzellen, Blutkörperchen und Hormone. Unser Immunsystem steht und fällt mit Eiweiß, da die Antikörper ebenfalls daraus bestehen.“

Wofür brauchen wir Eiweiß?

Von Cramm: „Der Körper benötigt es für Zellwachstum und Zellerneuerung. Als Quelle dient ihm unsere Nahrung. Hautzellen leben zwei bis vier Wochen, Zellen der Magenschleimhaut eine Woche, rote Blutkörperchen bis zu drei Monate und weiße nur einige Tage: Unser Körper erneuert sich also ständig und dazu braucht er Eiweiß.“

Kann der Körper eigenes Eiweiß herstellen?

Dr. Burkhard Jahn: „Nur zum Teil. Einige Aminosäuren können wir aus der Nahrung synthetisieren, die nennt man „nicht essenzielle Aminosäuren“. Von den 20 Aminosäuren, auf die wir angewiesen sind, sind acht jedoch essenziell. Das heißt: Sie kann der Körper nicht selber herstellen. Man muss sie direkt mit der Nahrung aufnehmen.“

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Welche Nahrung ist die richtige dafür?

Dagmar von Cramm: „Hülsenfrüchte, Nüsse, Kerne und Saaten sowie Getreidevollkorn sind eiweißreich und gesund. Den höchsten Eiweißgehalt haben jedoch Muskeln von Fisch und Fleisch sowie Milchprodukte und Ei, also alle tierischen Produkte. Deshalb auch der Werbeslogan mit dem Steak.“

Sind diese Eiweißquellen alle gleich gut?

Von Cramm: „Manche werden vom Körper besser verwertet als andere, man spricht von einer höheren biologischen Wertigkeit. Das ist ein Maß aus der Ernährungswissenschaft. Wie gesagt, besteht Eiweiß aus Aminosäuren. Je ähnlicher die Aminosäurezusammensetzung eines Nahrungseiweißes dem menschlichen Aminosäuremuster ist, desto besser kann das Protein vom Körper verwertet werden. Umso höher ist seine biologische Wertigkeit. Der Körper braucht dann relativ wenig von diesem Protein, da es so maßgeschneidert ist.“

Welches Nahrungsmittel hat die höchste biologische Wertigkeit?

Dagmar von Cramm: „Obwohl es unserem Proteinmuster nicht zu 100 Prozent entspricht, stufte man Hühnervollei auf eine Wertigkeit von 100 ein, einfach, um die Qualität bewerten zu können. Durch eine geschickte Kombination von Lebensmitteln, lässt sich die biologische Wertigkeit jedoch erheblich steigern, da sich ihre Aminosäuren gegenseitig ergänzen. Die höchste biologische Wertigkeit bringt ein Mix aus Hühnereiweiß und Kartoffeleiweiß in einem Mischungsverhältnis von 36:64 mit 136!“

Wie berechnet man die biologische Wertigkeit?

Von Cramm: „Mit einer extrem komplizierten Formel. Zusätzlich müssen die Anteile der einzelnen Zutaten beachtet werden. Am Beispiel des Bauernfrühstücks (4:1:1) bedeutet das 4 Anteile Kartoffeln, 1 Anteil Ei, ein Anteil Käse. Für einen Laien ist das nicht machbar. Zusammenfassend kann man sagen: Die biologische Wertigkeit ist abhängig von der Menge an essenziellen Aminosäuren in einem Eiweiß. Ist eine bestimmte Aminosäure, zum Beispiel Lysin, im Getreide nur in geringem Maße enthalten, begrenzt dies die Eiweißwertigkeit des jeweiligen Lebensmittels. Je ähnlicher die Summe der Aminosäuren im Eiweiß dem menschlichen Eiweißmuster, desto wertvoller ist die Nahrung.“

Gibt es Listen dazu, wie Kalorientabellen für den Nährwert?

Von Cramm: „Nein. Man muss jedes Gericht erst berechnen. Das habe ich getan und 20 Gerichte gefunden (Anmerkung der Redaktion: Liebe Leser, das sind die Gerichte auf diesen Seiten.), die wertvoller sind, als das „kleine Steak“. Denn tierisches Eiweiß hat auch ungute Begleiter. Schaut man sich diese Gerichte an, stellt man fest: Es sind alte, traditionelle Gerichte. Unsere Omas wussten also instinktiv, was gut ist.“

Um welche unguten Begleiter handelt es sich?

Von Cramm: „Gesättigte Fette, Cholesterin und Salz, z. B. in Wurst und Käse. Die belasten den Körper und fördern Stoffwechselkrankheiten wie zum Beispiel Bluthochdruck, Gicht, Arteriosklerose und Übergewicht. Eine geschickte Kombi von pflanzlichen Eiweißträgern ist also nicht nur gesünder, sondern auch wertvoller.“

Ist pflanzliches Eiweiß also gesünder als tierisches?

Von Cramm: „Jein. Tierisches Eiweiß ist dem menschlichen zwar ähnlicher und daher biologisch hochwertiger, die aufgezählten Begleiter belasten den Körper jedoch. Pflanzliches Eiweiß ist meist kombiniert mit gesunden, mehrfach ungesättigten Fetten, Ballaststoffen und Kohlenhydraten. Das ist nicht nur kalorienärmer, sondern auch gesünder. Aus einer geschickten Kombi zieht der Körper den größten Nutzen.“

Ist Eiweiß aus Schweinefleisch ungesünder, als das aus Geflügel?

Von Cramm: „Nein. Die biologische Wertigkeit von Schweine-, Rind- und Geflügelfleisch ist nahezu gleich. Sie liegt zwischen 70 und 90.“

Wie gesund ist Fischeiweiß?

Von Cramm: „Eiweiß von Fischen und Meeresfrüchten ist ähnlich hochwertig wie das von Rind, Schwein und Huhn. Es ist durch wenig Bindegewebe aber leichter verdaulich.“

Ist Eiweiß von Bioprodukten besser als von herkömmlichen?

Von Cramm: „Nein. Eiweiß ist Eiweiß, egal ob bio oder konventionell.“

Hilft Eiweiß wirklich beim Abnehmen?

Von Cramm: „Nicht zwangsläufig. Es macht aber gut satt, heizt den Stoffwechsel an und wenn wir es gegessen haben, werden allein etwa 10 Prozent der Kalorien benötigt, um es zu verwerten. Abnehmen funktioniert aber nur, wenn insgesamt die Kalorienmenge reduziert wird. Denn eine Harvard-Studie hat gezeigt, dass es in erster Linie auf die aufgenommene Kalorienmenge ankommt, nicht in welchem Verhältnis die Nährstoffe auf dem Teller liegen. Ein T-Bone-Steak zum Beispiel hat mehr als 300 Kalorien. Wenn mein Kalorienkonto für den Tag schon voll ist, setzt sich das Steak natürlich auf die Hüften, auch, wenn ich die Kohlenhydratbeilage weglasse. Eiweißreiche Lebensmittel sind eben häufig auch kalorienreich. Eine große europäische Studie („Diogenes“) hat aber auch nachgewiesen, dass Eiweiß in Kombi mit komplexen Kohlenhydraten vor dem Jojo-Effekt schützen soll. Das spricht für die pflanzlichen Eiweißträger Vollkorn, Nüsse, Samen und Kerne.“

Sind die neuen Eiweißbrote eine Alternative für Diätler?

Von Cramm: „Leider nein. Zwar liegt der Kohlenhydratanteil deutlich unter dem eines handelsüblichen Brotes, allerdings bestehen die Brote oft aus Nuss- oder Saatenmehl, können bis zu zehnmal mehr Fett als ein normales Brot haben und liefern so sehr viele Kalorien.“

Wie gut sind Diät-Eiweiß-Drinks?

Von Cramm: „Diätshakes für Abnehmwillige, die Mahlzeiten ersetzen sollen, helfen anfangs. Der Grund: Eine Shake-Mahlzeit enthält meist weniger Kalorien, als die bisherige Mahlzeit, die nun ersetzt wird. Es geht also wieder um die Kalorienmenge. Die teuren Shakes lehren jedoch keinen Umgang mit Essen. Wer sie absetzt und wieder normal isst, hat nicht nur Geld verloren, sondern auch mehr auf der Hüfte als vor der Diät. Außerdem enthalten sie mehr Eiweiß, als empfohlen.“

Sportler benötigen doch mehr Eiweiß, oder?

Von Cramm: „Nur Ausdauersportler, die täglich mehr als 90 Minuten trainieren. Für sie sind Eiweißdrinks zwar geeignet, aber unnötig. Eine ausgewogene Mischkost reicht völlig für den Mehrbedarf.“

Kann man zu viel Eiweiß essen?

Von Cramm: „Ja. Und das macht dann sogar dick. Denn wird das viele Eiweiß nicht verbraucht, landet es in den Fettdepots. Zudem macht ein Zuviel krank, kann zu Gicht und Osteoporose führen, eine Übersäuerung hervorrufen, die Insulinempfindlichkeit der Zellen senken und so das Risiko für Diabetes erhöhen. Empfohlen wird 0,8 g Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht und Tag. Das sind durchschnittlich 48 g für Frauen und 56 g für Männer. Die Höchstgrenze, bei der keine unerwünschten Wirkungen zu erwarten sind, liegt bei etwa 120 g für Frauen und 140 g für Männer. Isst man 5 Scheiben Vollkornbrot, ¼ Liter Milch, 1 Becher Joghurt, 250 g Kartoffeln und 150 g Fischfilet, hat man schon 60 g Eiweiß aufgenommen.

Stimmt es, dass zu viel Eiweiß den Nieren schadet?

Dr. Jahn: „Wer eine kranke Niere hat, sollte aufpassen. Wird das viele Eiweiß nicht verstoffwechselt, wird der entstehende, nicht benötigte Stickstoff über den Harn ausgeschieden. Das kann bei einer Veranlagung zu Nierensteinen führen.“

Zum Schluss ein ökologischer Aspekt: Welches Eiweiß ist am umweltfreundlichsten?

Von Cramm: „Die CO2-Emmission bei der Herstellung von Rindfleisch liegt bei 13 300 Gramm je Kilo Fleisch, bei Geflügel sind es nur 3500 Gramm und bei Gemüse nur 130 bis 150 Gramm. Sie sehen: Das wertvolle kleine Steak ist zu guter Letzt auch für die Umwelt alles andere als wertvoll.“

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