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Bedauern über EU-Austritt wächst: „Dachten, es passiert schon nichts“: Protestwähler stehen vor Brexit-Trümmern
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Zehntausende demonstrieren in London gegen den Brexit
AFP Zehntausende demonstrieren in London gegen den Brexit
  • FOCUS-online-Redakteur

Immer mehr Briten, die für den Brexit gestimmt haben, scheinen ihre Wahl zu bedauern. Politikwissenschaftler Kai Arzheimer erklärt, warum viele vor allem aus Protest für den Brexit stimmten: Sie dachten, dass es am Ende schon nicht so weit kommen würde - und haben sich damit verkalkuliert.

Kai Arzheimer ist Experte für politische Soziologie am Institut für Politikwissenschaften der Universität Mainz.

FOCUS Online: Herr Arzheimer, immer mehr Briten, die für den Brexit gestimmt haben, zeigen sich nun erschrocken über das Ergebnis und erklären, dass ihnen ihre Wahl leidtut. Woran liegt das?

Kai Arzheimer: Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass sich viele Brexit-Wähler vor dem Votum sagten: ‚Es passiert schon nichts. Eine Mehrheit für den Brexit wird es nicht geben, und Cameron wird es am Ende schon richten.‘

FOCUS Online: Aber die Umfragen zeigten ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Wie konnten sich diejenigen, die für den Brexit votierten, da nicht über den Austritt als mögliche Konsequenz im Klaren sein?

Arzheimer: Die Menschen haben viel weniger über den Austritt aus der EU abgestimmt. Sie wollten mit ihrem 'Ja' für den Brexit viel eher einem allgemeinen Protest gegen London und Brüssel Ausdruck verleihen. Vor diesem Hintergrund ist es natürlich auch von Bedeutung, dass Umfragen kurz vor dem Referendum das Remain-Lager vorne sahen. Die Buchmacher und Finanzmärkte rechneten fest mit einem Verbleib Englands in der EU. In der Öffentlichkeit sah so aus, als wenn nichts passieren würde.

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FOCUS Online: Protestwahlen sind kein neues Phänomen. Selten dürfte in der jüngeren Geschichte aber eine Entscheidung so gravierende Folgen hervorgebracht haben. Sind die Menschen empfänglicher für Populismus und vermeintlich einfache Antworten geworden?

Arzheimer: Die Briten haben sich verkalkuliert, und sicher werden die Wähler allgemein immer anfälliger für populistische Phrasen. Das gilt ganz besonders, was die Themen EU und nationale Souveränität betrifft. Das Emporkommen von Parteien wie Ukip, Front National, FPÖ oder AfD beweist das. Aber was die Mehrheit für den Brexit betrifft, handelt es sich, denke ich, um ein sehr britisches Ergebnis, an dem auch die Parteien selbst großen Anteil haben. Die Aufgabe der Ambitionen von Boris Johnson, Cameron im Amt des Premiers zu beerben, zeigen ja nur zu deutlich, dass er selbst mit dem Ergebnis nicht gerechnet hat.

"Tories hätten innerparteilichen Machtkampf verhindern sollen"

FOCUS Online: Wie sehr haben die Parteien zur Desorientierung der Protestwähler beigetragen?

Arzheimer:  Sie tragen einen großen Teil dieser Verantwortung. Den Austritt losgetreten hat Ukip. Auf die Tagesordnung gesetzt wurde das Referendum aber von den Tories. Und da Cameron das Referendum wollte, hätten die Tories zumindest dafür Sorge tragen sollen, dass das Referendum nicht für einen innerparteilichen Machtkampf instrumentalisiert wird. Genau das aber ist geschehen. Das ist der Grund, weswegen die Protestwähler bei diesem Referendum noch drastischer abgestimmt haben.

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Wiederholung eines EU-Austritts nicht auszuschließen

FOCUS Online: Glauben Sie, dass sich ein solches Protest-Votum in einem anderen EU-Land wiederholen könnten?

Arzheimer: Jein. Einerseits ist die EU-Skepsis, die in England seit dem Beitritt in die einst Europäische Gemeinschaft von Anfang an geherrscht hat, eine ausgeprägte britische Besonderheit. Die Briten, kann man jedenfalls sagen, sind am Ende selbst schuld an diesem Schlamassel.

Andererseits haben die Niederlande mit dem Referendum zum EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine ihr EU-kritisches Potenzial erst vor kurzem unter Beweis gestellt. Auch Frankreich stößt in Zusammenhang mit den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei immer wieder an Grenzen, was die Zukunft der EU betrifft. In Italien könnte es spannend werden, wenn dort die EU-kritische Protestbewegung „Fünf Sterne“ an die Macht kommt. Doch wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass das passieren könnte, kann wohl niemand einschätzen.

"AfD könnte mit zehn Prozent in Bundestag einziehen"

FOCUS Online: Auch die Erfolge der AfD gehen nicht allein auf eine treue Stammwählerschaft zurück, sondern auch auf Protestwähler aus allen möglichen anderen Parteien. Könnte es sein, dass sich auch diese Protestwähler irgendwann verwundert die Augen reiben, wenn die AfD plötzlich eine Mehrheit bekommt und ihre politischen Forderungen Realität werden könnten?

Arzheimer: Das glaube ich nicht. Wenn sich die Partei nicht vorher selbst zerfleischt, könnte sie zwar 2017 in den Bundestag einziehen, aber sicher nicht mit 24 Prozent, sondern eher um die zehn herum. Über Euro-Kritik ist bei der AfD seit dem Brexit immer weniger zu hören. Und wenn sich der Rechtspopulismus nicht von rechtsextremen Tendenzen trennt, dann wird die Partei bald wieder verschwinden.

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