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Film-Nerd George Lucas: Der Griff nach den Sternen

Foto: interTOPICS/ mptv/ ddp images

George Lucas Sternenkrieger aus der Kleinstadt

Vom verschlossenen Außenseiterkind zum "Star Wars"-Schöpfer: Hollywood-Legende George Lucas. einestages erinnert an die Anfänge des einflussreichen Filmemachers - vor Luke Skywalker und Indiana Jones.

Was wäre wohl geworden, wenn George Lucas einst das Angebot seines damaligen Geschäftspartners Francis Ford Coppola angenommen und Regie bei dessen geplantem Vietnamkriegs-Epos geführt hätte? Wie wäre Lucas' Karriere verlaufen? Und was für ein Film wäre "Apocalypse Now" geworden?

Doch statt in Coppolas Kriegsfilm vertiefte sich Lucas in sein ehrgeizigstes eigenes Projekt: "Star Wars". Das Sternenmärchen kam 1977 ins Kino und veränderte Hollywood für immer: B-Movies mit trashigen Science-Fiction- oder Action-Storys wurden fortan nicht mehr billig fürs Grindhouse-Kino produziert, sondern mit Millionen-Budgets von großen Studios zu Mega-Events stilisiert. Lucas' Freund Steven Spielberg hatte zwei Jahre zuvor mit "Der weiße Hai" den Sommerblockbuster erfunden, aber "Star Wars" brach alle Rekorde.

Lucas hatte sich die Rechte an seinen Filmen ebenso gesichert wie die zugehörigen Vermarktungsrechte. Damals glaubte niemand an den Erfolg von Fortsetzungen im Kino, und schon gar nicht an ein Geschäft mit Fan-Devotionalien. Lucas belehrte sie alle eines Besseren: Er verdiente Abermillionen mit seinem "Star Wars"-Imperium, was ihn bis heute zu einem der wenigen finanziell unabhängigen Filmemacher und Produzenten Hollywoods macht.

Angst vor dem bösen Monster

Kritiker, vor allem Weggefährten des New-Hollywood-Aufbruchs der Siebziger, betrachteten den Erfolg von Spielberg und Lucas als Ausverkauf, als Rücksturz in die schönfärbende Kinowelt der Nachkriegszeit, deren Filme vielfach eher Opium als Aufklärung waren. Und tatsächlich führen die meisten Motive aus Lucas' überschaubarem Werk - er drehte nur sechs Spielfilme selbst - zurück in seine Kindheit und Jugend.

Am 14. Mai 1944 als Sohn eines Papierwarenhändlers im nordkalifornischen Modesto geboren, erlebte Lucas behütete, wohlhabende, vordergründig glückliche Jahre. "Ich genoss meine Kindheit", sagte er seinem Biografen Dale Pollock Anfang der Achtzigerjahre. "Aber obwohl ich eine gute Zeit hatte, ist mein stärkster Eindruck, dass ich stets auf der Hut war vor dem bösen Monster, das jeden Moment um die Ecke lugen konnte."

Diese Empfindung drohenden Unheils mag ein Ergebnis der atomaren Bedrohung des Kalten Kriegs gewesen sein, wohl aber auch des strengen Regimes von Lucas' Vater George senior, der sich mit eiserner Disziplin und harter Arbeit durch die Depressionsära geschuftet hatte - und seinen Kindern eine calvinistisch-konservative Weltsicht aufzwang. Bis ins Teenager-Alter schor er George jeden Sommer den Kopf, damit er ordentlich aussehe.

Achterbahn im Garten

Lucas flüchtete sich in eine Fantasiewelt. Zuerst mit Comic-Heftchen, die bald einen ganzen Schuppen füllten, ab seinem zehnten Lebensjahr dann vor dem Fernseher, wo er sich stundenlang erst in Disney-Cartoons vertiefte, später in Pulp- und Sci-Fi-Shows wie "Flash Gordon" oder "Buck Rogers". "Ich war erschrocken, wie sehr ich mich von so schlechtem Kram in den Bann ziehen ließ", erinnert er sich bei Pollock. "Und ich dachte: Heiliger Bimbam, wenn ich das als Kind so aufregend fand, dann sollte es doch einfach sein, heutige Kids auch mit so etwas zu begeistern, nur besser gemacht."

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Ein Gedanke, von dem sich eine direkte Linie zu Lucas' späterem Kino-Verständnis ziehen lässt, zu "Star Wars" und den von Lucas miterdachten "Indiana Jones"-Filmen. Die Cliffhanger, die schnell getaktete Action der Comics und Pulp-Serien, all das hielt Einzug in sein Werk. Wenn es auf dem Bildschirm langweilig wurde, schaltete der kleine George ungeduldig weiter, und genau diese Haltung - Action vor Handlungstiefe und Charakterschärfe - definiert bis heute sein Kino.

Lucas ist so etwas wie der erste Kino-Nerd Hollywoods, der seine Inspirationen nicht aus dem realen Leben, sondern aus den dramatischen Zuspitzungen der Popkultur zog. Kindheitsfreunde wie John Plummer beschreiben Lucas einerseits als geselligen Spielkameraden, der im Garten seines Elternhauses einen ganzen Vergnügungspark inklusive Mini-Achterbahn zimmerte, aber auch als Außenseiter, der oft allzu ernsthaft und in sich gekehrt wirkte.

"Ich werde Millionär, bevor ich 30 bin"

Als Teenager entdeckte der Action-Freak sein Faible für schnelle Autos. Modesto mit seinen langen, schnurgeraden Straßen durch das flache Central Valley war prädestiniert für halsbrecherisches Rasen. Sein Vater gestattete George jedoch nur den mickrigsten aller Fünfzigerjahre-Kleinwagen, einen Autobianchi Bianchina mit einem Zwei-Zylinder-Motor, an dem Lucas so lange herumbastelte, bis er ausreichend schnell fuhr.

Beinahe starb er mit 18 Jahren bei einem schweren Unfall. Die Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit veränderte das Leben des Herumtreibers, der sich bis dahin gerne mit Freunden aus der örtlichen Rockerclique, den Faros, zum abendlichen Cruisen über die Hauptstraßen Modestos getroffen hatte, um laute Musik von DJ-Legende Wolfman Jack zu hören und Mädchen aufzureißen. Nach dem Crash beschloss Lucas, der bis dahin mit einer Karriere als Rennfahrer geliebäugelt hatte, aus seinem Leben mehr zu machen.

Seinen Highschool-Abschluss hatte der notorisch schlechte Schüler gerade so geschafft, nun beschloss er, zu studieren. "Ich fing an, meinen Instinkten zu vertrauen", sagte er Pollock. "Ich hatte das Gefühl, aufs College gehen zu müssen, also tat ich es. Dasselbe Gefühl hatte ich später, als ich 'Star Wars' machen wollte und selbst meine engsten Freunde meinten, ich hätte den Verstand verloren."

Der schwelende Konflikt mit seinem Vater, der sich eine solidere Karriere für seinen Sohn vorgestellt hatte, eskalierte: "In ein paar Jahren bist du wieder hier", ätzte Lucas senior, und George entgegnete frech: "Ich komme niemals zurück! Und ich werde Millionär sein, bevor ich 30 bin." 1974, nach dem überraschenden Erfolg von "American Graffiti", hatte Lucas es tatsächlich geschafft. Der nur 775.000 Dollar teure Film spielte mehr als 55 Millionen Dollar ein und gilt bis heute als einer der profitabelsten Filme aller Zeiten.

Gefangen im eigenen Erfolg

Auf der University of South California gehörte Lucas zum sogenannten Brat Pack, der zweiten Generation der New-Hollywood-Filmer, zu der auch Spielberg, Coppola, Martin Scorsese und John Carpenter gehörten. Unermüdlich erarbeitete sich Lucas das Handwerk, verbrachte, von Schokoriegeln und Cola aufgezuckert, Tage und Nächte damit, Drehbücher zu schreiben oder im Schnittraum seine ästhetisch radikalen Studentenfilme zu editieren. Zu seinen Vorbildern zählte er, wie alle New-Hollywood-Pioniere, die französische Nouvelle Vague, Fellini, Bergmann und den litauischen Underground-Filmer Jonas Mekas. Spuren dieser Einflüsse finden sich in Lucas' Kurzfilmen und auch in seinem ersten Kinofilm, der Science-Fiction-Dystopie "THX 1138" von 1971.

Doch in welche futuristischen Szenerien sich Lucas auch immer hineindachte, seine "Norman-Rockwell-Erziehung" in Modesto, wie er sie gerne sarkastisch nennt, blieb immer bestimmend: Den Sturm und Drang der Pubertät verarbeitete er in "American Graffiti", seine Kindheitsfantasien in "Star Wars" und die Sehnsucht, der Kleinstadtrepression zu entfliehen, in "THX 1138".

Lange Zeit betrachtete George Lucas seine Karriere als gescheitert, schreibt Peter Biskind in seinem New-Hollywood-Standardwerk "Easy Riders, Raging Bulls", weil der Filmemacher sich in der Umarmung und Ausbeutung seines selbstgeschaffenen "Star Wars"-Imperiums gegen die Kunst und, ganz im Sinne seines Vaters, für die ökonomische Absicherung entschieden habe. "Es hat lange gedauert", sagte Lucas Ende der Neunziger zu Biskind, "bis ich mich mit 'Star Wars' arrangiert hatte" Und fügte, eine berühmte Szene zwischen Luke Skywalker und Darth Vader zitierend, hinzu: "'Star Wars' ist mein Schicksal".