Zum Inhalt springen

Mythos oder Medizin Hilft Eiweiß nach dem Training beim Muskelaufbau?

Wer auf Muskeln trainiert, sollte auch auf seine Ernährung achten. Aber wachsen Bizeps, Trizeps und Waschbrettbauch tatsächlich schneller, wenn man nach dem Sport Eiweiß isst?
Gestählte Muskeln: Neben dem Sport spielt die Ernährung beim Muskelaufbau eine große Rolle

Gestählte Muskeln: Neben dem Sport spielt die Ernährung beim Muskelaufbau eine große Rolle

Foto: Corbis

Wer Muskeln aufbauen will, muss Sport treiben und sich verausgaben, daran kann auch die beste Ernährung nichts ändern. Denn dann - und nur dann - sendet der Muskel die entscheidende Botschaft an den Stoffwechsel: Ich bin komplett ausgepowert, ich brauche mehr Masse, mehr Energie. Anschließend beginnt der Körper, die Muskelfasern zu verdicken, der Oberarm wächst, der Po hebt sich an. Hier kommen die Eiweiße ins Spiel, denn ohne sie geht gar nichts.

"Die Muskulatur besteht zu einem großen Teil aus Eiweißen. Sie kann nur aufgebaut werden, wenn die Bausteine dafür da sind und die müssen über die Ernährung aufgenommen werden", sagt Petra Platen, die es als Handballerin in den Achtzigerjahren bis zu den Olympischen Spielen geschafft hat und heute den Lehrstuhl für Sportmedizin und Sporternährung an der Ruhr-Universität Bochum leitet.

Darüber, wie gut der Körper nach dem Training das Eiweiß aus der Nahrung in Muskelmasse umbaut, entscheiden aus wissenschaftlicher Sicht vor allem drei Faktoren: der Zeitpunkt der Aufnahme, aber auch die Menge und die Art der Eiweiße.

Anzeige

Irene Berres, Julia Merlot:
Mythos oder Medizin

Brauchen Wunden Luft oder Pflaster? Schadet es, mit den Fingern zu knacken? Ist es gefährlich, Nieser zu unterdrücken? Die spannendsten Fragen und Antworten aus der beliebten Kolumne.

Heyne Verlag; 224 Seiten; 8,99 Euro.

Buch bei Amazon: Irene Berres, Julia Merlot "Mythos oder Medizin" Buch bei Amazon: Irene Berres, Julia Merlot "Mythos oder Medizin" (KINDLE) 

Was das Timing betrifft, waren Kraftsportler lange Zeit der Ansicht, dass es nach dem Training nur ein kurzes Zeitfenster gibt, in dem der Körper das Eiweiß aus der Nahrung wirklich in Muskelmasse investiert und nicht etwa für die Gewinnung von Energie verbrennt. Um dieses sogenannte anabole Fenster so gut wie möglich auszunutzen, galt es als klug, direkt vor oder direkt nach dem Training den Stoffwechsel mit möglichst viel Eiweiß zu füttern. Ein Irrglaube, wie eine Studie von Forschern um den US-Personal Trainer Brad Schoenfeld gezeigt hat.

Nach dem Training mehrere Eiweißhäppchen

Die Wissenschaftler fassten die Ergebnisse von mehr als 40 Studien mit knapp 1000 Teilnehmern zusammen. Etwa die Hälfte der Untersuchungen drehte sich um die Frage, wie sich der Zeitpunkt der Eiweißaufnahme auf die Muskelmasse auswirkt, die andere beschäftigte sich mit dem Einfluss des Timings auf die Kraft. In allen Studien gab es eine Gruppe, die ihre Eiweißration innerhalb von einer Stunde vor oder nach dem Training verzehren durfte. Die andere Gruppe musste mindestens zwei Stunden lang warten.

Das klare Ergebnis: Nachdem sie den Einfluss von Faktoren wie Geschlecht, Alter und Traingsstatus herausgerechnet hatten, konnten die Forscher weder bei der Muskelmasse noch beim Kraftgewinn einen Vorteil des Eiweißschubs direkt vor oder nach dem Training erkennen. Eine derartig zeitnahe Aufnahme scheine nicht notwendig zu sein, schreiben Schoenfeld und seine Kollegen 2013 in der von Dymatize Nutrition unterstützten Untersuchung im "Journal of the International Society of Sports Nutrition" .

"Dies ist die bisher umfassendste Studie zu dem Thema", sagt Platen. Komplett unerheblich sei der Zeitpunkt der Eiweißaufnahme wahrscheinlich trotzdem nicht. "Es gibt Hinweise darauf, dass eine erhöhte Proteinzufuhr kurz nach dem Training die Einlagerung beschleunigt. Es gibt aber auch Belege dafür, dass die Bildung von Proteinen in den Muskeln erst sechs bis acht Stunden nach dem Training richtig an Fahrt aufnimmt." Platen rät deshalb, nach dem Training möglichst gestückelt mehrere Eiweißhäppchen einzuplanen, am besten in einem Abstand von etwa zwei Stunden.

Viel hilft viel - zumindest bei Anfängern

Noch wichtiger als das Timing scheint laut der Zusammenfassung der Studien die Größe der Proteinration zu sein. "Die Menge an Protein, die in den verschiedenen Untersuchungen eingenommen wurde, hing stark mit der Zunahme an Muskelmasse zusammen", schreiben die Forscher. Zwar gebe es zweifellos eine Obergrenze. Das Ergebnis zeige aber, dass es für den Aufbau von Muskelmasse wichtig sei, den Proteinbedarf zu decken.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt Erwachsenen , pro Tag 0,8 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht aufzunehmen. "Diese Empfehlung zielt jedoch auf nicht trainierende Menschen ab", sagt Platen. "Sie reicht aus, um die Muskulatur zu erhalten." Vor allem Anfänger im Bodybuilding, die noch rasch an Muskeln gewinnen, benötigen eine deutlich höhere Proteinzufuhr, wie auch die International Society of Sports Nutrition in einer Stellungnahme schreibt .

Die internationale Gesellschaft rät Kraftsportneulingen dazu, täglich zwischen 1,6 und 2 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht einzuplanen. "Das braucht der Körper auch", sagt Platen. Kommt es trotzdem zu einem Überangebot an Eiweiß, fließen die überschüssigen Eiweißbausteine, die Aminosäuren, in die Energiegewinnung. Als eines der Abfallprodukte entsteht dabei Harnstoff, den der Körper über die Nieren ausscheidet.

Magermilch statt teures Pulver

"Es wird immer wieder davor gewarnt, dass eine zu große Eiweißzufuhr durch den Harnstoff den Nieren schadet", sagt Platen. "Bei gesunden Menschen mit gesunden Nieren gibt es jedoch keinen Beleg für eine solche Wirkung." Die Medizinerin schätzt das Risiko einer Überdosierung als gering ein: "Zumindest wenn es sich um eine begrenzte Phase handelt, ist auch eine deutlich höhere Eiweißzufuhr, als der Körper tatsächlich in Muskulatur umsetzen kann, nicht schädlich."

Davon abgesehen empfiehlt Platen, den Eiweißbedarf vor allem mit Fleisch, Gemüse, Getreide und Co. zu decken, statt zu Pulvern und Riegel zu greifen - vor allem, um das Portemonnaie zu schonen. "Um einen bestmöglichen Muskelaufbau zu gewährleisten, sollten die Inhaltsstoffe der Nahrungseiweiße denen entsprechen, die in der Muskulatur stecken", sagt Platen. Das Nahrungseiweiß soll also eine hohe biologische Wertigkeit haben. "Wenn das passt und die Menge stimmt, benötigt man auch keine Nahrungsergänzungsmittel", so die Expertin.

Ein Lebensmittel, das über eine hohe biologische Wertigkeit verfügt, ist das Muskelfleisch vom Rind. Vegetarier können sich die notwendigen Aminosäuren aber auch anders zusammenkombinieren, die Verbindung von Kartoffeln und Ei gilt dabei als Spitzenreiter. "Momentan ist auch Magermilch nach dem Trainingsreiz sehr en vogue", sagt Platen. Ein Nahrungsergänzungsmittel mit einem guten Mix aus Molkenproteinen schade aber auch nicht. "Das kann jeder für sich entscheiden, wie er das will und wie der Geldbeutel es hergibt."

Fazit: Das Eiweiß nach dem Training ist tatsächlich wichtig für den Muskelaufbau. Dabei kommt es auf drei Dinge an: Die Eiweißbausteine sollten denen des Muskeleiweißes ähneln, es sollte in mehreren, zeitlich versetzten Häppchen nach dem Training gegessen werden und viel hilft tatsächlich vor allem bei Anfängern viel.

SONDERFALL AUSDAUERTRAINING