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Mythos oder Medizin Schützen Vitamine und kalte Duschen vor Erkältungen?

Viele Leute laufen bereits hustend und schniefend durch den Herbst. Ich würde eine Ansteckung gerne vermeiden. Kann man sich durch Wechselduschen oder vitaminreiche Ernährung vor Erkältungen schützen? Fragt Marcel Hacker aus Eppstein.
Triefende Nase: Eine vitaminreiche Ernährung trägt zur Gesundheit bei

Triefende Nase: Eine vitaminreiche Ernährung trägt zur Gesundheit bei

Foto: Corbis

Suppen, Obst, Vitamintabletten, Saunagänge, kalte Duschen: Die Liste der Ratschläge gegen eine drohende Erkältung ist lang. Mindestens genau so lang ist auch die Liste der Studien, die scheinbar belegen, dass die Therapien vor Virusinfektionen schützen können. Einen Haken gibt es aber: Zwar zeigen einige Studien, dass Menschen, die regelmäßig Vitamin-C-reiches Obst essen, seltener eine Erkältung bekommen. Bewiesen ist damit aber nicht, dass das Obst für die Schutzwirkung verantwortlich ist und nicht eine andere Verhaltensweise, die die Obstfreunde gleichzeitig zum Obstkonsum an den Tag legen.

Klar ist: Vitamine sind wichtig für das Immunsystem. "Ein dauerhafter Mangel macht krank", sagt Ortwin Adams, Virologe am Uniklinikum Düsseldorf. Bekanntestes Beispiel für die Folgen von Vitamin-C-Mangel ist die Seefahrerkrankheit Skorbut. Weil der Körper ohne Vitamin C kein Kollagen bilden kann, sind Betroffene besonders krankheitsanfällig. Kollagen kommt in nahezu allen Organen und Geweben des Körpers vor und ist fester Bestandteil des Bindegewebes. Unter anderem schützt es die Schleimhäute in Nase, Mund und Rachen vor Infektionen.

"Die Beweise dafür, dass einzelne Verhaltensweisen, Nahrungsmittel oder besonders viele Vitamine ein gesundes Immunsystem zusätzlich stärken, sind allerdings dünn", erklärt Adams. Heute leidet, auch ohne zusätzlich geschluckte Vitamin-C-Pillen, hierzulande kaum noch jemand an einem Vitamin-C-Mangel. Im Januar 2013 veröffentlichte die Cochrane Collaboration eine Übersichtsstudie  zur Wirksamkeit von Vitamin C als Erkältungsvorbeuger. Die Wissenschaftler werteten 29 Studien mit insgesamt 11.300 Testpersonen aus und kamen zum Ergebnis: "Die zusätzliche Aufnahme von Vitamin C konnte die Erkältungshäufigkeit der Allgemeinbevölkerung nicht reduzieren." Gleiches gilt laut einer Studie von David Murdoch von der neuseeländischen University of Otago und Kollegen für Vitamin D .

Das Gesamtpaket muss stimmen

"Was man aus den epidemiologischen Studien zu Erkältungen ablesen kann, ist, dass ein insgesamt gesunder Lebenswandel das Krankheitsrisiko verringert", sagt Adams. Dazu gehört eine ausgewogene Ernährung, die Obst und Gemüse beinhalten sollte, genauso wie Bewegung an der frischen Luft und der Verzicht auf Zigaretten und zu viel Alkohol. "Auch gegen Wechselduschen oder Saunagänge ist nichts einzuwenden", so der Virologe. Der Temperaturwechsel rege die Durchblutung der Schleimhäute an. Diese könnten dann schnell auf schädliche Eindringlinge reagieren. "Einzelmaßnahmen bringen aber nichts", warnt Adams. "Das Gesamtpaket aus Ernährung und Lebenswandel muss stimmen."

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Doch selbst wer alle Ratschläge befolgt, ist vor einer Erkältung im Herbst nicht hundertprozentig geschützt. Denn offenbar erleichtert nicht unser durch den Herbst geschwächtes Immunsystem den Erregern die Arbeit in dieser Zeit so sehr, sondern vor allem das Wetter selbst. "Die meisten Viren überstehen nur wenige Sekunden bis Minuten ohne einen Wirt", erklärt Adams. "Wie lange genau, wird auch durch die äußeren Gegebenheiten bestimmt." So habe sich gezeigt, dass Rhinoviren, so heißen die Erkältungsviren, im Herbst und Frühjahr länger ohne Wirt durchhalten als zu den anderen Jahreszeiten. Influenzaviren, also klassische Grippeviren, bevorzugen den Winter und sogenannte Enteroviren überstehen im Sommer längere Zeiten ohne Wirt - sie sind verantwortlich für die Sommergrippe.

Eine Woche schniefen

Zusätzlich kommt den Erkältungsviren im Herbst wahrscheinlich unser Verhalten entgegen. "Wir verbringen dann mehr Zeit in geschlossenen Räumen bei trockener Luft", erklärt Adams. Und statt aufs Fahrrad, steigen wir in den überfüllten Bus. "Dann kommt ein Luftstoß durch die offenen Türen und einer niest. Perfekte Bedingungen für Rhinoviren." Durch regelmäßiges Lüften und Händewaschen lässt sich die Ansteckungsgefahr etwas verringern. Welche Viren gerade kursieren, erfasst Adams zusammen mit Kollegen in einer Online-Datenbank .

Hat einen die Erkältung erwischt, heißt es, Taschentücher kaufen und je nach Befinden direkt ins Bett. "Es gibt keine Medikamente oder Hausmittel, die eine Erkältung ursächlich bekämpfen", sagt Adams. Warme Suppen oder andere Mittel können aber die Symptome etwas abmildern. Dass bei reinen Virusinfektionen immer noch häufig Antibiotika verschrieben werden, sei ein großes Problem, da auf diese Weise Resistenzen entstehen können. Es bleibt dabei: Nimmt man etwas gegen die Erkältung, dauert sie sieben Tage; tut man nichts, hält sie eine Woche.

Fazit: Vitaminreiche Nahrung und kalte Duschen halten das Immunsystem als Bestandteil eines insgesamt gesunden Lebensstils fit. Vollkommen vor Erkältungen schützen kann einen aber auch dieser nicht. Einziger Trost: Mit einer Triefnase ist man im Herbst und Frühjahr nie allein.