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Achilles' Verse Laufend die Welt verbessern

Als Einzelkämpferin durch den Grunewald tigern? Das ist nicht der Stil von Anna Achilles. Sie schwört auf die Gemeinschaft der Laufgruppe - und die Werte ihrer Generation.
Entspannt zu zweit joggen: Es geht nicht immer darum, Bester zu sein

Entspannt zu zweit joggen: Es geht nicht immer darum, Bester zu sein

Foto: Axel Heimken/ dpa

Laufen muss wehtun, findet mein Onkel Achim. Warten empfindet er als Zeitverschwendung. Wie damals, als er mich zum Lauftraining in den Grunewald verschleppt hat. Der Weg war schmal und vereist. Neben mir ging es steil hinab. Meine Schuhe besaßen keinerlei Grip. Ich sah mich schon am Fuß des Abhangs in den Dornen liegen. Also beschloss ich, auf allen Vieren zu kriechen. Und wo war der gute Onkel in meiner Not? Längst weitergeeilt. Später sprach er von einer wertvollen Erziehungsmaßnahme. Eigenverantwortung und so. Habe ihm auch nicht geschadet. Jaja.

Mein Onkel hält nicht viel von Gruppenkuscheln beim Sport. Er ist Einzelkämpfer. Allein gegen alle. Er ist der Tiger, der einsam durch den Grunewald pirscht. Ich bin eher das Mufflon, ein Herdentier.

Neulich, als ich mit meiner Laufgruppe noch keine 500 Meter unterwegs war, stand fest: Scheißtag. Der Schuh drückte, die Sockenfalte rieb, Schweiß tropfte - im Januar. Danke, Klimawandel. Ich musste noch 9500 Meter überstehen. Aber von keinem Training  kommt halt auch nichts. Sagt mein Onkel auch. Erst Radunfall, dann Knieschmerzen, neulich Weihnachten. Irgendwas ist immer. Ich war die Letzte in meiner Laufgruppe. Aber die beiden Mädchen blieben bei mir. An jeder Kreuzung, jeder Ampel blieben sie stehen, bis ich aufgeschlossen hatte. Als mein Oberkörper drohte, komplett einzuknicken, lief die eine links, die andere rechts, als würden sie mich unterhaken. Keiner wird zurückgelassen.

Stress abbauen, nicht erzeugen

Mein Onkel ist 50 Jahre alt, ich bin 27. Für ihn zählt: Ausdauer, Wille, Leistung, Erfolg. Im Leben und beim Sport. Meine Generation sei so angepasst, nörgelt er. Wir würden uns nichts trauen, uns nicht auflehnen. Vor allem könnten wir uns nicht quälen. Über meine Art des Trainings lacht er sich kaputt. Ich laufe, um zu entspannen. Ich will Stress abbauen, keinen zusätzlichen schaffen. Ich liebe das Gesellige beim Laufen.

Color-, Frauen-, und Matschläufe  findet Achim albern. Da gäbe es noch nicht mal eine ordentliche Zeitmessung. Nein, da geht's um Spaß, Gemeinschaft und Facebook-Fotos. Aber besser als Dschungelcamp gucken. Sind wir wirklich die Spaß-Generation, von der alle reden? Die sich nur um sich selbst dreht?

Als Achim so alt war wie ich, habe er die Welt verbessern wollen, gegen Atomkraft und sauren Regen demonstriert. "Warum wollt ihr das nicht?", fragt er mich. Ich diskutiere mit meinen Freunden. Geht es uns zu gut? Warum akzeptieren wir, das alles so ist, wie es ist? Kriege, Klimawandel, Bankenkrise, Arbeitslosigkeit - es gäbe einiges zu tun. Aber warum gehen wir nicht auf die Straße? Weil man uns nicht hören würde? Achim ist 1964 geboren, ein Babyboom-Prachtexemplar. Als ich geboren wurde, kamen nur noch halb so viele Kinder auf die Welt. Würde man uns ernst nehmen?

Wir leben im Wohlstand, den die Generation vor uns geschaffen hat. Aber wie lange noch? Doppelhaushälfte, Mercedes, 13. Monatsgehalt - das wird's für uns nicht geben. Wir sind die Generation Praktikum. Festanstellungen - schön wär's. In Spanien ist jeder zweite junge Mensch arbeitslos. Viele meiner Freunde fühlen sich ohnmächtig, sie würden ja doch nichts verändern können. Haben wir uns deshalb zurückgezogen?

Mobilität, Nachhaltigkeit und gutes Gewissen

Werte definieren wir anders. Karriere, Erfolg, Leistung - das ist uns nicht so wichtig. Reich zu sein bedeutet: gute Freunde haben, Neuseeland-Reisen, eigene Tomaten anpflanzen. Unsere Statussymbole sehen so aus: Statt Auto fahren wir Hollandrad. Statt Versace-Kleid tragen wir selbstgestrickte Pullis. Und ja, uns geht es darum, ein schönes Leben zu haben - mit gutem Gewissen. Weniger konsumorientiert, aber selbstbestimmt. Wir leben nicht, um anzukommen. Wir wollen mobil sein. Unser Zuhause ist unser Laptop - mit DSL-Anschluss.

Statt andere zu missionieren, tut jeder für sich sein Bestes. Sind wir deshalb egoistischer als andere Generationen? Viele meiner Freunde glauben nicht daran, die Welt im großen Stil verändern zu können. Aber sie versuchen sie zu einer besseren zu machen, mit kleinen Dingen: kein Discounter-Fleisch essen, klimaneutral fliegen, Fahrrad fahren, Ökostrom beziehen, keine in Bangladesch produzierten T-Shirts kaufen. Reicht das? Oder ist das nur Gewissensberuhigung?

Gemeinschaft - ein Wert, der doch in jeder Generation wichtig ist. Damit meine ich nicht 576 Freunde bei Facebook, sondern Menschen, die für uns da sind: Freunde, Familie. Aber auch Leute, denen wir in der U-Bahn begegnen, die vor uns an der Supermarktkasse warten, die wir im Büro treffen. Vielleicht sind wir einfach mal ein bisschen netter zu denen, die uns täglich über den Weg laufen. Damit tragen wir auch zu einer besseren Welt bei. An roten Ampeln auf langsamere Läufer zu warten, ist auf jeden Fall ein Anfang.