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Wirkstoffe in Beeren: Das blaurote Wunder?

Foto: Patrick Seeger/ picture-alliance/ dpa/dpaweb

Herzinfarkt-Schutz So gesund sind rote Beeren wirklich

Drei Portionen Blaubeeren und Erdbeeren pro Woche sollen genügen, um das Herzinfarkt-Risiko deutlich zu senken. Das besagt eine US-Studie, die bestimmte Antioxidantien für die Schutzwirkung verantwortlich macht. Doch welche Heilskraft steckt wirklich in den Beeren?
Von Cinthia Briseño

Es klingt nach einem gesunden Versprechen: "Pure Natur, rein gepresst, ohne Zuckerzusatz". Zwar färbt der tiefpurpurne Inhalt in dem Fläschchen voller Blaubeersaft die Lippen blau und schmeckt in aller erster Linie sauer. Aber sauer macht eben nicht nur lustig, sondern soll auch Gutes bewirken. Denn in der kleinen 260-Milliliter-Flasche, die es alsbald in deutschen Apotheken zu kaufen geben soll, steckt dem werbenden Pressetext zufolge immerhin "die Kraft von 1000 Blaubeeren". Täglich ein großer Schluck soll demnach genügen, "um kleine Wunder zu bewirken".

Der norwegische Hersteller des Blaubeersaftes beruft sich dabei auf jede Menge Antioxidantien, Vitamin C, Eisen, Magnesium und wertvolle Spurenelemente, die darin enthalten sind. Im Detail führt er sogenannte Anthocyane und Phenole an - Wirkstoffe aus der Gruppe der Antioxidantien, die bekanntermaßen "Schutzstoffe für den Körper" im Kampf gegen aggressive und zellschädigende Verbindungen seien.

Dieses Gesundheitsversprechen bekommt jetzt prompt die Unterstützung von einem internationalen Forscherteam um Eric Rimm von der Harvard School of Public Health. In einer Studie wollen die Mediziner festgestellt haben, wie gut unter anderem Blaubeeren für das Herz sind. Wie sie im Fachmagazin "Circulation"  berichten, sollen drei Portionen Erdbeeren oder Heidelbeeren pro Woche das Risiko eines Herzinfarktes für Frauen um ein Drittel senken.

Wirkstoffe in Beeren können Blutgefäße weiten

Zu diesem Ergebnis kommen Rimm und Kollegen, nachdem sie die Daten einer Studie mit insgesamt 93.600 Frauen zwischen 25 und 42 Jahren ausgewertet haben. Über einen Zeitraum von 18 Jahren hatten die Teilnehmerinnen alle vier Jahre Fragebögen zu ihrer Ernährung ausgefüllt. Insgesamt 405 Teilnehmerinnen hatten im Verlauf der Studie einen Herzinfarkt erlitten. Bei der statistischen Analyse der Daten stellten die Forscher fest, dass jene Frauen, die mindestens dreimal in der Woche Heidelbeeren oder Erdbeeren gegessen hatten, um ein Drittel seltener von einem Herzinfarkt betroffen waren als jene, die höchstens einmal pro Monat die Beeren verzehrt hatten.

Aedín Cassidy von der University of East Anglia in Norwich jubiliert: "Wir haben gezeigt, dass der erhöhte Verzehr dieser Früchte bereits in jungen Jahren das Risiko eines Herzinfarkts im späteren Leben senken kann", sagte der Erstautor laut einer Pressemitteilung über die Ergebnisse.

Der Effekt, so erklären die Studienautoren, sei vor allem den Anthocyanen zuzuschreiben. Anthocyane gehören zu einer großen Gruppe von pflanzlichen Wirkstoffen, den sogenannten Flavonoiden. Sie sollen die Blutgefäße im menschlichen Körper fit halten, indem sie unter anderem die Arterien weiten und die Entstehung von Plaques in den Blutgefäßen verhindern.

Doch sind es wirklich die Anthocyane, die das Risiko der Beerenliebhaberinnen für einen Herzinfarkt gesenkt haben? "Diese Studie ist überinterpretiert", sagt Bernhard Watzl vom Max-Rubner-Institut (MRI), dem Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel in Karlsruhe. "Ich wäre sehr vorsichtig damit, den Effekt alleine auf die Anthocyane zurückzuführen."

Der Ernährungswissenschaftler und Experte für pflanzliche Wirkstoffe kritisiert die Studie an gleich mehreren Stellen. Zum einen handle es sich nur um eine Beobachtungsstudie. Die Forscher ermittelten die aufgenommene Menge an Anthocyanen der Frauen und unterteilten sie in fünf Gruppen (Quintile). Teilnehmerinnen mit der niedrigsten Aufnahme bildeten das erste, Frauen mit der höchsten Anthocyan-Aufnahme das fünfte Quintil, wobei der Gesamtunterschied zwischen den Quintilen insgesamt gering war.

Beere, Gemüse oder doch eher Vollkorn?

Grundsätzlich sei es dabei schwer, so Watzl, mit Hilfe von Fragebögen den genauen Obstverzehr und damit die aufgenommene Anthocyan-Menge der Studienteilnehmer akkurat zu bestimmen. Unterschiedliche Wirkstoffmengen bei verschiedenen Obstsorten etwa, könnten dabei kaum berücksichtigt werden. Zudem, erklärt Watzl, variiere das Ernährungsmuster - also was die Teilnehmerinnen ansonsten verzehrten - innerhalb der Quintile zu stark, um die Gruppen miteinander vergleichen zu können.

Zwar haben die Forscher statistisch sichergestellt, dass andere Risikofaktoren wie Rauchen, Blutdruck, Koffein- und Alkoholkonsum, die familiäre Krankengeschichte, das Gewicht oder der Grad an Bewegung nicht als ursächlich für den Effekt in Frage kommen. Watzl führt aber zwei weitere Faktoren ins Feld, über die es in dem veröffentlichten Papier keine Angaben gibt: "Man erfährt nicht, wie hoch der Obst- und Gemüseverzehr insgesamt ist", sagt Watzl. "Ebenso fehlen die Daten zum Verzehr von Vollkornprodukten, Tee und Wein. Das sind auch sehr bedeutende Quellen für Flavonoide."

Beides könne ebenfalls zu einer Verringerung des Herzinfarktrisikos beitragen, sagt der Ernährungswissenschaftler. Schließlich seine Flavonoide auch in vielen anderen Lebensmitteln enthalten wie etwa im Traubensaft, in anderen roten Beeren, Rotkraut, Aubergine oder blauen Kartoffeln. Zudem brauche man nicht zwingend nur Heidelbeeren oder Erdbeeren, um bestimmte Mengen an Anthocyanen aufzunehmen.

Gleichwohl sei der positive Effekt von Flavonoiden auf die Gesundheit inzwischen sehr wohl belegt, sagt Watzl. Er hält es aber für wichtiger, auf seinen gesamten Lebensstil zu achten und insbesondere viel Obst und Gemüse zu essen, um von den positiven Effekten von pflanzlichen Wirkstoffen zu profitieren. Dabei gilt ganz generell: Je mehr Obst und Gemüse, desto besser.

Wer sich also ein Fläschchen Blaubeersaft aus der Apotheke gönnt, mag zwar seiner Gesundheit per se durchaus etwas Gutes tun - aber nur dann, wenn er sich auch ansonsten gesund ernährt. In keinem Fall kann man als Liebhaber von Fettigem, Alkohol, Nikotin, viel rotem Fleisch und Fastfood sein Gesundheitsgewissen mit einem Blaubeerextrakt reinwaschen. Das hätte ohnehin seinen Preis: Die 260 Milliliter norwegischer Blaubeersaft sollen für 9,95 Euro zu haben sein.