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Achilles' Ferse "Marathontraining ist das Minimum an Bewegung"

Marathon ist Extremsport. Dennoch träumen immer mehr Menschen davon, einmal nach 42 Kilometern ins Ziel einzulaufen. Im Interview mit achim-achilles.de erklärt Sportmediziner Ralph Schomaker, wie man sich am besten vorbereitet und warum Marathonlaufen gesund ist.
Läufer beim Berlin-Marathon 2013: Extremsport, aber durchaus gesund für den Körper

Läufer beim Berlin-Marathon 2013: Extremsport, aber durchaus gesund für den Körper

Foto: Hannibal Hanschke/ dpa

SPIEGEL ONLINE: Herr Schomaker, Sie laufen selbst Marathon. Was ist so faszinierend daran, sich rund vier Stunden lang zu quälen?

Schomaker: Das Ritual des Marathonzieleinlaufes bedeutet für viele einen sportlichen Ritterschlag. Den meisten geht es gar nicht um den Wettkampf, sondern darum, die 42 Kilometer gesund zu überstehen. Wer das schafft, kann stolz auf sich sein.

SPIEGEL ONLINE: Alles schön und gut, aber gerade, wenn wir sehen, wie Läufer ins Ziel kommen, muss man sagen: Marathonlaufen kann nicht gesund sein.

ZUR PERSON
Foto: Ralph Schomaker

Dr. med. Ralph Schomaker, Jahrgang 1969, ist Facharzt am Zentrum für Sportmedizin in Münster. Er läuft selbst Marathon und ist Autor des Buches "42 Tipps für 42 Kilometer", mit Ratschlägen für Marathonläufer und solche, die es werden wollen.

Schomaker: Es kommt natürlich darauf an, wie man die Vorbereitung angeht. Aber eigentlich ist es genau andersherum: Marathontraining  ist das Minimum an Bewegung, das der Mensch zum Gesundsein braucht. Eine planvoll angegangene Marathonvorbereitung ist die wirksamste Methode, Erkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfällen oder Demenz vorzubeugen. Idealerweise sollte jeder von uns vier bis fünf Stunden Ausdauertraining pro Woche absolvieren. Das haben Steinzeitmenschen auch getan.

SPIEGEL ONLINE: Bei größeren Events hört man aber immer wieder von Menschen, die beim Marathon einen plötzlichen Herztod erleiden.

Schomaker: Es ist nicht der Marathonlauf, der tötet, sondern eine bereits bestehende Herzerkrankung. Schuld ist auch der Lebensstil. Wir bewegen uns zu wenig, essen zu viele Kohlehydrate und rauchen. Das schädigt die Gefäße und kann unter ungewohnter Belastung zum Tod führen. Was viele Menschen nicht wissen: 70 Prozente der plötzlichen Herztode passieren nachts im Bett. Aber deshalb klebt ja keiner ein Schild über sein Bett: "Bloß nicht mehr ins Bett gehen! Lebensgefahr!"

SPIEGEL ONLINE: Wie erkenne ich, dass ich Probleme mit dem Herzen habe?

Schomaker: Jeder, der vorhat, Marathon zu laufen, sollte sich sportärztlich untersuchen lassen. Die Ärzte  schauen, ob strukturelle Störungen des Herzens vorliegen. Anzeichen für eine Erkrankung können beispielsweise Herzrasen, Atemnot, Engegefühl in der Brust oder Schwindelgefühl sein.

SPIEGEL ONLINE: Wie lange Vorbereitungszeit ist notwendig, bevor man einen Marathon laufen sollte?

Schomaker: Das hängt vom Trainingszustand ab. Anfänger sollten drei Jahre regelmäßiges Training einplanen. Der Körper braucht Zeit, um sich an die Belastung anzupassen. Das Gute ist, dass man schon nach wenigen Läufen spürt, dass man mehr Puste hat. Aber Sehnen, Bänder und Knochen brauchen Monate, um sich an ein Training anzupassen. Jenseits der 35 geht das eher noch langsamer. Deshalb empfehle ich, das Training nur langsam zu steigern, um Verletzungen vorzubeugen . Marathon braucht Geduld.

SPIEGEL ONLINE: Worauf sollte man beim Training besonders achten?

Schomaker: Mindestens 40 Kilometer sollten es pro Woche im Jahresdurchschnitt schon sein. 80 Prozent des Trainingumfangs sollten aus langen, langsamen Dauerläufen bestehen. Entscheidend ist die Länge und nicht die Geschwindigkeit. Also lieber am Wochenende einen langen, langsamen Lauf absolvieren, als fünfmal in der Woche schnell joggen.

SPIEGEL ONLINE: Trotzdem laufen die Wenigsten vor dem Wettkampf die vollen 42 Kilometer. Selbst Profis tun das oft nicht. Wieso eigentlich?

Schomaker: Für den Marathon-Neuling hat das Durchbrechen der 42,195-Kilometer-Grenze vielleicht einen rituellen Charakter. Erst im Wettkampf will man die magische 42 erreichen und zum Marathonläufer geschlagen werden. Es gibt aber schon Sportler, die auch 42-Kilometer-Läufe absolvieren. Wichtig ist nur: Den letzten langen Lauf sollte man spätestens zwei Wochen vor dem Marathon machen, damit sich der Körper bis zum Wettkampf erholen kann.

SPIEGEL ONLINE: Was muss ich essen, um die 42 Kilometer durchzustehen? Selbst bei ordentlichen Läufern dauert ein Marathon rund vier Stunden.

Schomaker: Für das Training gilt: Bei langen und langsamen Läufen sollte man sich "low carb" ernähren , also wenig Nudeln, Reis und Brot essen. Da der Körper nur über begrenzte Kohlenhydratreserven verfügt, sollte im Rahmen der langen langsamen Läufe der Fettstoffwechsel trainiert werden. Lediglich für ein Intervalltraining und das Marathonwochenende sollte man sich kohlenhydratreich ernähren.

SPIEGEL ONLINE: Und wie verpflegen sich Läufer am besten während des Wettkampfs?

Schomaker: Hier gelten andere Spielregeln als beim Training: Schon drei Tage vor dem Marathon sollte man beginnen, die Kohlenhydratspeicher zu füllen  und viel Brot, Nudeln, Reis, Müsli und Kartoffeln essen. Das reicht dann maximal für die ersten 90 Minuten im Rennen. Danach, so ab Kilometer zehn, braucht der Körper stündlich 30 bis 70 Gramm Kohlenhydrate, beispielsweise reife Bananen oder Traubenzucker. Was das Trinken angeht: je nach Durst. 

SPIEGEL ONLINE: Der Marathon ist geschafft: Wie regeneriert man am besten?

Schomaker: Je nach Trainingszustand beträgt die Regeneration  nach einem Marathon sechs bis zwölf Wochen. Danach sollte man es ruhig angehen lassen. Als Ausgleichstraining kann man Schwimmen gehen oder Radfahren. Und wer den Muskelkater überwunden hat, darf auch wieder die Laufschuhe schnüren - aber nicht übertreiben. Das fällt vielen schwer. Lieber locker maximal eine halbe Stunde durch den Wald traben. Das hat man sich dann verdient.

Das Interview führe Julia Schweinberger.