Zum Inhalt springen

Arbeitsrecht Arbeitgeber darf Attest schon für ersten Krankheitstag verlangen

Dieses Urteil könnte jeden Arbeitnehmer betreffen: Wenn der Chef es so will, müssen Beschäftigte schon für den ersten Krankheitstag ein ärztliches Attest vorlegen. Der Arbeitgeber braucht dafür keine Begründung. Das hat das Bundesarbeitsgericht jetzt entschieden.
Krankmeldungen: Vorgesetzte können bereits für den ersten Fehltag ein Attest fordern

Krankmeldungen: Vorgesetzte können bereits für den ersten Fehltag ein Attest fordern

Foto: Corbis

Die Faustregel lautet: nach dem dritten Tag. Spätestens dann müssen erkrankte Mitarbeiter einen "gelben Zettel" vorlegen - so ist es in vielen Betrieben üblich, so ist es auch gesetzlich geregelt. Aber laut Entgeltfortzahlungsgesetz können Arbeitgeber ein ärztliches Attest schon früher verlangen. Auch bereits für den ersten Tag?

Darüber hat das Bundesarbeitsgericht am Mittwoch eindeutig geurteilt: Wann Beschäftigte eine Erkrankung mit einem ärztlichen Attest nachweisen müssen, das können Arbeitgeber bestimmen. Sie brauchen auch keine Begründung, wenn sie bei manchen Mitarbeitern früher als bei anderen auf Vorlage eines Attests bestehen, so die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (Aktenzeichen 5 AZR 886/11).

Damit blieb die Klägerin in drei Instanzen erfolglos - schon vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht Köln war sie zuvor gescheitert. Der Fall ist bemerkenswert: Es geht um eine langjährige WDR-Redakteurin, schon seit 1982 bei dem öffentlich-rechtlichen Sender tätig. Für den 30. November 2010 hatte sie zweimal eine Dienstreise beantragt - vergebens. Dann meldete sie sich für diesen geplanten Reisetag krank. Der Vorgesetzte forderte von ihr ein ärztliches Attest und bekam es auch; am nächsten Tag erschien die Redakteurin gleich wieder gesund bei der Arbeit.

Die Mitarbeiterin fühlte sich schikaniert

Der Chef reagierte misstrauisch und schrieb ihr daraufhin: "Diese Abläufe erschüttern mein Vertrauen in diese Krankmeldung. Ich bitte Dich daher, bei zukünftigen Krankheitsfällen schon am ersten Tag der Krankmeldung einen Arzt aufzusuchen und ein entsprechendes Attest zu liefern." Das fand die Mitarbeiterin "willkürlich, diskriminierend und schikanös". Aus ihrer Sicht fehlte eine sachliche Rechtfertigung, die Weisung verletze das allgemeine arbeitsrechtliche Schikaneverbot.

Sie erkundigte sich auch beim Betriebsarzt, wie viele Mitarbeiter zu einem Sofort-Attest verpflichtet seien. Per Mail erklärte der Betriebsarzt, eingesetzt werde das "Instrument immer dann, wenn deutliche Unter-drei-Tage-Fehlzeiten aufträten, also zum Beispiel bei einem Fehlen jede zweite Woche, immer montags, immer freitags, immer an Brückentagen, immer zu bestimmt disponierten Diensten sowie bei Suchtkranken".

Schon das Arbeitsgericht Köln hatte entschieden, dass es gar nicht darauf ankommt, wie ein Arbeitgeber insgesamt mit Krankschreibungen umgeht - weil er das Recht habe, auch ohne nähere Begründung eine ärztliche Bescheinigung vor dem vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit zu verlangen.

Klare Sache: Über den Umgang mit Attesten bestimmt der Arbeitgeber

So sah es auch das Landesarbeitsgericht in der Berufung: Der Arbeitgeber brauche keinen besonderen Grund, auch keinen Anlass für Misstrauen gegenüber einzelnen Angestellten. In diesem Fall sei die Anweisung weder willkürlich noch diskriminierend (Aktenzeichen 3 Sa 597/11).

Das Bundesarbeitsgericht wies die Klage der Redakteurin nun ebenfalls ab. Die Arbeitgeber müssen demnach auch nicht begründen, warum sie bereits so früh einen Krankenschein vorgelegt bekommen wollen. Vielmehr liege es in ihrem Ermessen, dies auch ohne objektiven Anlass von ihren Mitarbeitern zu verlangen, entschieden die obersten deutschen Arbeitsrichter. Es sei nicht erforderlich, dass in der Vergangenheit ein Verdacht bestand, der Mitarbeiter habe eine Krankheit nur vorgetäuscht. Nur wenn der Tarifvertrag das Recht auf eine frühere Vorlage ausdrücklich ausschließe, könne erst nach mehreren Fehltagen die ärztliche Bestätigung verlangt werden.

In Paragraf 5 des Entgeltfortzahlungsgesetzes heißt es:

"Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, hat der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens an dem darauffolgenden Arbeitstag vorzulegen. Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung früher zu verlangen."

In Deutschland gibt es laut Statistischem Bundesamt derzeit 37,2 Millionen Arbeitnehmer. Im vergangenen Jahr waren Arbeitnehmer durchschnittlich 9,5 Arbeitstage krankgemeldet. Den niedrigsten Krankenstand der vergangenen 20 Jahre gab es 2007 mit rund 7,9 Fehltagen.

Foto: Jeannette Corbeau

Jochen Leffers (Jahrgang 1965) ist SPIEGEL-ONLINE-Redakteur und leitet das Ressort KarriereSPIEGEL.