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Bahnhofszwist: Der S21-Kampf

Foto: Marius Becker/ dpa

S21-Proteste Liebe Wutbürger, bitte geht jetzt heim

Hat das Stuttgarter Kasperltheater endlich ein Ende? Der Stresstest zu S21 war von Anfang an ein Witz, denn der Streit zwischen Befürwortern und Gegnern drehte sich um reine Glaubensfragen. Jetzt wird der Bahnhof also gebaut - und die Protestierer sollten ab nach Hause. Zur Not mit dem Auto.

Jetzt sind die Stuttgart-21-Gegner also aus dem Schlichtungsverfahren ausgestiegen. Große Aufregung: Sie seien nicht früh genug in die Konzeption des Stresstests einbezogen worden! Die Bahn AG habe von Anfang an ein abgekartetes Spiel betrieben! Und der früher so vertrauenswürdige Schlichter Heiner Geißler sei nun auch nicht mehr so neutral, wie er mal war!

Ach Gottle.

Der Streit um den Neubau des Stuttgarter Hauptbahnhofs war von Anfang an eine etwas seltsame Angelegenheit für den fernen Beobachter. Und das ist noch wohlwollend formuliert. Deutlicher gesprochen, auch wenn man das in Stuttgart wohl nicht so gerne hören wird: Gerade ist im "Ländle" die neueste Episode eines völlig aus dem Ruder geratenen Kasperltheaters zu beobachten.

Wenn Menschen gegen die Nutzung der Atomkraft auf die Straße gehen, weil sie damit verhindern wollen, dass deren Überreste das Leben der kommenden Generationen bedrohen, wenn sie sich der Polizei entgegenstellen und sich bis aufs Blut gegen die tödliche Technologie wehren - keine Frage, man mag auf ihrer Seite stehen oder auf der anderen, aber den Ernst der Sache wird niemand bezweifeln wollen. Wenn Menschen, frustriert von ihrer Arbeits- und Perspektivlosigkeit, gegen den immer weiter fortschreitenden Sozialabbau revoltieren, mag man sich mit ihnen wahlweise solidarisieren oder eine noch etwas höhere Mauer um die eigene Villa bauen, damit der Pöbel sich nicht am Reichtum bedient - aber niemand wird bestreiten: Hier geht es um etwas.

Der weise Schlichter Geißler

In Stuttgart revoltieren keine Benachteiligten, keine Menschen, die in ernsthafter Sorge um das Leben ihrer Kinder und Kindeskinder einen existentiellen Kampf ausfechten müssen. Hier revoltieren Unzufriedene, die sich nicht mehr "alles" bieten lassen wollen von "denen da oben".

Um was geht es eigentlich in Stuttgart? Ein Bahnhof soll umgebaut werden. Der alte war schöner, sagen die einen. War er nicht, sagen die anderen. Der Stuttgarter Stadtpark muss erhalten bleiben, sagen die einen. Was ist eigentlich ein Juchtenkäfer, fragen die anderen. Das Grundwasser ist in Gefahr, rufen die Gegner. Ist es nicht, die Befürworter. Der Bahnhof ist ein sinnloses Großprojekt, nur ersonnen, damit sich wenige auf Kosten vieler die prall gefüllten Taschen noch etwas voller schaufeln können, rufen die einen. Dieses Projekt ist gut für die Stadt und die ganze Region, sagen die anderen. Und im Übrigen von sämtlichen Parlamenten demokratisch abgesegnet worden. Ist es nicht. Ist es doch. Und aufeinander mit Gebrüll.

Dann kam der weise Schlichter Heiner Geißler daher, und es kehrte anscheinend Friede ein. Und, ja, es war schön anzusehen, wie er mit Bibelzitaten und profunder Kenntnis lateinischer Sinnsprüche durchaus unterhaltsam die streitenden Parteien zu zivilisieren versuchte. Der Phoenix-Nachrichtenkanal erlebte ungeahntes Zuschauerinteresse, allenthalben war vom Sieg der Wutbürger und neuen Formen der Demokratie die Rede, und nebenher stürzte eine Landesregierung. Im allgemeinen Taumel angesichts der wunderbaren "Schlichtung" ging die eigentliche Frage unter: Sind nun die Befürworter im Recht oder die Gegner?

Es gab nie einen Mittelweg

Die Antwort lag dabei auf der Hand: Sie sind beide im Recht. Denn in Stuttgart geht es längst nicht mehr um Fakten. Es geht um eine Glaubensfrage. Im Streit um Stuttgart 21 schlichten zu wollen, das ist ungefähr so sinnvoll wie darüber befinden zu wollen, ob nun das Judentum, das Christentum, der Islam oder eine ganz andere die beste Religion sei. Die jeweiligen Anhänger kennen die Wahrheit längst. Sie würden einen Schiedsspruch niemals akzeptieren, und käme er auch aus dem Mund von Heiner Geißler (dem man in dieser Frage allerdings eine gewisse Befangenheit unterstellen müsste).

Und da wir gerade bei Glaubensfragen sind: Glaubt irgendwer, der Konzern Bahn AG hätte sich auf einen Stresstest eingelassen, dessen Ergebnis in seinem Sinne negativ ausgefallen wäre? Hat wirklich jemand damit gerechnet, dass die Gegner ein Verfahren akzeptieren würden, an dessen Ende die Tieferlegung des Bahnhofs stehen würde? Wohl nicht im Ernst. Wenn aber keiner der Streitenden bereit ist, sich einem Urteil zu unterwerfen, dann ist das Verfahren sinnlos.

Es gab nie einen Mittelweg. Der Bahnhof wird gebaut. Oder er wird nicht gebaut. Dazwischen gibt es nichts. Jetzt sieht es also so aus, als würde der Bahnhof gebaut werden. Und selbst als Großprojekten grundsätzlich skeptisch gegenüberstehender Mensch möchte man seufzen: Endlich ist ein Ende.

Ganz sinnlos war die Schlichtung dennoch nicht. Die Wutbürger konnten lernen, dass es sinnvoll wäre, ab jetzt vielleicht etwas eher ihrer Regierung auf die Finger zu schauen und nicht aus alter satter Gewohnheit immer dieselbe Partei zu wählen. Und die Konzerne werden tunlichst darauf achten, der Bevölkerung künftige Großprojekte besser zu erklären und ihre Einwände von Anfang an ernst zu nehmen, wenn sie sich viel Ärger ersparen wollen.

In Stuttgart jedoch ist die Entscheidung gefallen. Wer den neuen Bahnhof immer noch zu sehr hasst, wenn er fertig ist, mag dann halt nicht im Erste-Klasse-Abteil in den Urlaub reisen, sondern mit dem Mercedes über die Autobahn brausen.

Bis es so weit ist, sei allen anderen empfohlen, den Raum Stuttgart großräumig zu umfahren. Sie stehen sonst nur unnötig im Stau.