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Alternative für Deutschland Forsch, frustriert, unberechenbar

Die "Alternative für Deutschland" gilt als große Unbekannte im Wahlkampf. Das wahre Potential der Anti-Euro-Partei können Meinungsforscher kaum einschätzen. Schafft die Truppe den Sprung über die Fünfprozenthürde, gerät das Machtgefüge im Parlament durcheinander.
AfD-Anhänger in Düsseldorf: "Kann noch spannend werden"

AfD-Anhänger in Düsseldorf: "Kann noch spannend werden"

Foto: Jan-Philipp Strobel/ dpa

Berlin - Der Wahlspot  der Alternative für Deutschland (AfD) kommt so harmlos daher wie eine Brillenwerbung. Empörte, aber sympathisch wirkende Menschen (Vater mit Tochter, Businessfrau mit Zeitung, Radfahrerin mit Einkaufstüte) stellen mit nachdenklichem Blick Fragen. "Warum geht unser ganzes Geld nach Griechenland und nicht in kaputte Straßen und Brücken?", zum Beispiel. Oder: "Warum bleibt Rentnern immer weniger Geld im Portemonnaie? Wer bezahlt die Schulden, die unsere Politiker anhäufen?"

Auch im Straßenwahlkampf bemüht die Partei sich um positive Außenwirkung. Bei einer Demo in Hamburg vor ein paar Wochen blinzelte eine junge Mutter in die Sonne und sagte in eine AfD-Kamera: "Das sind nicht irgendwelche Populisten, die hier mitmachen." Parteichef Bernd Lucke, leger im Polohemd, rief dazu auf, "friedlich zu demonstrieren".

Gut zwei Wochen vor der Bundestagswahl schöpft die Anti-Euro-Partei Hoffnung. In einer Umfrage rückte sie diese Woche erstmals nah an die Fünfprozenthürde heran. Dabei war es um die AfD zuletzt eher ruhig geworden. Doch dann brachte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) neue Hilfen für Griechenland ins Spiel. Seitdem steht das Thema wieder auf der Agenda.

Profiteur dieser Aufmerksamkeit könnte im Endspurt des Wahlkampfs die AfD werden. Meinungsforscher warnen davor, die Kleinpartei mit rund 10.000 Mitgliedern schon abzuschreiben. Zusätzliche 2 bis 2,5 Prozent Protestwähler und solche aus dem Unions- oder Linken-Lager seien möglich, meint Emnid-Chef Klaus-Peter Schöppner. "Das kann noch mal spannend werden", sagte er SPIEGEL ONLINE.

Republikaner an Bord

Sollte die AfD tatsächlich den Sprung in den Bundestag schaffen, geriete das Machtgefüge dort durcheinander. Schwarz-Gelb wäre dann wohl keine Koalitionsoption mehr, ein rot-rot-grünes Bündnis wäre ebenso unwahrscheinlich, alles liefe auf eine Große Koalition hinaus.

Bislang ignorieren die etablierten Parteien die AfD demonstrativ. Bloß nicht mit Aufmerksamkeit aufwerten, so die Devise. Intern werden die blauen Populisten mit Bauchgrimmen betrachtet. Denn keiner kann einschätzen, wie eine AfD-Fraktion das Klima im Bundestag verändern würde.

Klar ist, dass die Newcomer-Partei, die sich erst im Frühjahr gründete, Schattenseiten hat. Sie fordert "Einwanderung nach Qualifikation, nicht in unsere Sozialsysteme", was stark an eine Parole der rechtsextremen NPD ("Einwanderung in unsere Sozialsysteme: Wir sagen Nein!") erinnert. Sie plakatiert ganze Straßenzüge mit Slogans wie "Der Euro ruiniert Europa". Ihre Anhänger verbreiten auf Facebook-Seiten und in Foren zum Teil islamfeindliche und rassistische Kommentare  .

Das Verhältnis zum rechten Rand bereitet der Partei immer wieder Probleme. Zwar stemmte man sich von Beginn an gegen eine Unterwanderung durch ehemalige NPD- oder DVU-Mitglieder. Deren Leute, so erklärte Parteisprecher Konrad Adam, seien in der AfD "nicht willkommen".

Mitglieder der Republikaner können allerdings mitarbeiten. Sie müssen sich vorher einer Überprüfung durch die AfD unterziehen. "Das heißt, wenn da jemand angibt, der war, sagen wir mal, in den achtziger Jahren bei den Republikanern, dann reden wir mit dem und gucken, ob der irgendwelche ausländerfeindlichen Gesinnungen hat", erklärt Lucke die Aufnahmepraxis.

Für linksextreme Kreise ist die AfD mittlerweile ein Hassobjekt. Plakate werden abgerissen, jüngst wurde Lucke auf einer Kundgebung in Bremen von Vermummten tätlich angegriffen, offenbar stammten sie aus dem autonomen Spektrum.

Große Unbekannte für Demoskopen

Anders als die tumbe NPD verfügt die AfD über intellektuelle Köpfe, das hilft. Dank Ökonom Lucke, dem Vorstandsmitglied und Ex-Zeitungsherausgeber Alexander Gauland sowie dem früheren Feuilletonisten Adam strahlt sie Reputation ins bürgerlich-liberale und konservative Lager aus. "Mit der AfD zu sympathisieren gilt nicht als sittenwidrig", so drückt es Schöppner aus.

Die AfD nutzt mit ihrem schlichten Anti-Euro-Kurs eine Lücke. Die Kanzlerin will das Thema weitgehend aus dem Wahlkampf heraushalten. Die SPD ist mit ihrer Griechenland-Strategie in einer Argumentationsfalle: Sie hat die bisherigen Euro-Rettungsprogramme mitgetragen. Ihr fällt es schwer, Alternativen anzubieten.

Das provoziert eine diffuse Unzufriedenheit. Laut Meinungsforschungsinstitut Allensbach ziehen acht Prozent der Befragten in Erwägung, die AfD zu wählen. Auch wenn - nimmt man die Werte aller großen Institute zusammen - durchschnittlich nur 2,8 Prozent der Leute wirklich AfD ankreuzen würden.

Für Demoskopen ist eine präzise Prognose zu diesem Zeitpunkt so schwer wie bei keiner anderen Partei. "Die AfD hat keine Stammwählerschaft, da es sie erst seit kurzem gibt. Bei älteren Parteien kann man Schwankungen herausfiltern. Das funktioniert nicht so gut bei solchen, die neu auf dem Markt sind", so Schöppner.

Auf die Frage, wie wahrscheinlich ein Einzug in den Bundestag sei, sagt der Emnid-Mann: "Das kann ich überhaupt nicht sagen."


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