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Steinmeiers Rede Mut zur Wut

Außenminister Steinmeier schreit seine Gegner nieder, und alle sind begeistert. Der Hype um den Wutausbruch in Berlin zeigt, was Wähler in der Politik vermissen: Leidenschaft.
Außenminister Steinmeier: Attacke gegen Demonstranten

Außenminister Steinmeier: Attacke gegen Demonstranten

Foto: Britta Pedersen/ dpa

Berlin - Das Röhrende, das kennt man von ihm. Die Stimme eintönig laut, eine Faust geballt, der Mund aufgerissen. Empörung, klar. Aber leider wirkt sie einstudiert. Wer Frank-Walter Steinmeier mal bei einem öffentlichen Auftritt erlebt hat, wird sich vielleicht an einen solchen Moment erinnern können. Am Montag war es wieder so weit.

Und doch war diesmal etwas anders. Steinmeiers Wutrede am Alexanderplatz, in der er sich an ein paar Dutzend selbst ernannten "linken" Friedensaktivisten abarbeitet, sorgt für bemerkenswerte Reaktionen. Auf YouTube wird der Clip zum Hit, Twitter-User sind begeistert, "Gut gebrüllt, Herr Außenminister", lobt die "Bild"-Zeitung.

Was ist passiert? Die Faszination, die Steinmeiers Rede auslöst, hat zwei Gründe. Einer davon hat natürlich etwas mit Steinmeier selbst zu tun. Der andere mit etwas Grundsätzlichem im Verhältnis zwischen Bürger und Politiker.

Der andere Steinmeier

Der Alexanderplatz-Moment ist deshalb so interessant, weil er in seiner Authentizität so gar nicht zu Steinmeier zu passen scheint. Steinmeier ist ein sehr populärer Politiker, aber man kann nicht sagen, dass das Leidenschaftliche zu seiner Kernkompetenz gehört. Er kann im Schlaf die Vorzüge einer Rentenreform oder die hintersten Ecken des Steuerrechts erklären, aber wie er als Person tickt und wie es in seinem Inneren aussieht, das kann er hervorragend verbergen. Steinmeier funktioniert einfach immer weiter. So wird er weithin gesehen.

Und plötzlich das. Kriegstreiber? Ihr könnt mich mal. Er, der sonst auch in seiner Empörung die Grenzen des politischen Anstands niemals verlässt, brüllt mal richtig drauf los.

Vielleicht, weil er vom vielen Reisen gestresst ist. Vielleicht auch, weil es ihn nervt, dass die gesellschaftliche Linke bei Fragen von Krieg und Frieden so selbstzerstörerisch wird. Man weiß es nicht. Man ahnt nur, dass die Empörung mal nicht aufgesetzt ist. Er hat ja wenig zu gewinnen. Demonstranten fertigzumachen, ist kein feiner Stil. Die Kommentatoren könnten ihm auch vorwerfen, die Nerven verloren zu haben. Aber das macht niemand.

Sehnsucht nach Leidenschaft

Warum nicht? Vielleicht liegt es daran, dass solche Momente zu selten geworden sind in der Politik. Die Berliner Republik ist ein hochprofessionelles System, in dem die Protagonisten inzwischen von der Angst getrieben sind, einen Fehler zu begehen oder in einem schwachen Augenblick erwischt zu werden. Wer patzt, verliert. Die Kontrolliertheit, mit der die meisten Politiker agieren, ist verständlich. Aber sie lässt sie roboterhaft erscheinen.

Sicher, ein Peer Steinbrück schluchzt auf offener Bühne. Aber Leidenschaft oder Zeichen menschlicher Regung werden im Politikbetrieb heutzutage immer mehr zur Ausnahme. Früher ging Helmut Kohl schon mal auf einen Juso los, wenn er mit Eiern beworfen wurde. Oder Joschka Fischer auf die Grünen, nachdem er einen Farbbeutel abgekriegt hatte. Heutzutage verläuft alles immer steriler. Und weil gleichzeitig die Politikverdrossenheit wächst, darf man annehmen, dass da ein Zusammenhang besteht.

Ja, und? Mehr Blut, Schweiß und Tränen in der Politik und der Wähler ist zufrieden? So einfach ist es nicht. Angela Merkel zum Beispiel gehört seit Jahren zu den populärsten Vertreterinnen ihres Fachs, ist aber nun wirklich keine Vorreiterin in Sachen Leidenschaft. Das Interesse an Steinmeiers Ausfall aber könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Bürger eine gewisse Sehnsucht nach Politikern haben, die mal einen Moment aus ihrem Panzer heraustreten. Die sich hinter die Fassade blicken lassen. Oder wenigstens den Eindruck erwecken, als würden sie für ihre Sache brennen.

Und wenn's halt laut wird. Politiker sind schließlich auch nur Menschen.