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Unglücke beim Sport: Wenn das Herz plötzlich stillsteht

Foto: © Wolfgang Rattay / Reuters/ REUTERS

Stärke im Alltag Krank auf der Strecke

Exzessives Ausdauertraining fügt dem Herzen schwere Schäden zu und kann lebensgefährlich sein.

An einem Märztag lief Micah True in die Berge von New Mexico. Es sollte mit 20 Kilometern eine gemütliche Runde werden für den Mann, der es in den Vereinigten Staaten als Ultramarathonläufer zu Ruhm gebracht hatte. Jede Woche absolvierte Micah True 270 Kilometer, gern zeigte der 58-Jährige seinen nackten Oberkörper, an dem kein Gramm Fett zu sehen war.

Doch an diesem Tag war die Anstrengung zu viel für Micah True. Es dauerte vier Tage, bis Helfer seinen Körper entdeckten, mit den Füßen in einem Bach. Sein Herz hatte aufgehört zu schlagen. Wie eine Autopsie ergab, war es vergrößert und offenbar voller Narben.

Micah True war im Frühjahr 2012 nicht der einzige prominente Sportler, der den plötzlichen Herztod starb. Der italienische Fußballprofi Piermario Morosini, 25, sackte mitten in einem Ligaspiel danieder. Der norwegische Schwimmweltmeister Alexander Dale Oen, 26, verschied im Höhentrainingslager in Arizona unter der Dusche.

Die tragischen Abgänge fallen in eine Zeit, in der Ärzte neue Erkenntnisse gewinnen, warum extremer Ausdauersport dem Herzen manchmal schadet. Demnach kann exzessiver Sport die Architektur der Blutpumpe auf bisher ungekannte Weise dauerhaft verändern.

Leicht verwundbar

Bis vor kurzem noch hatten Mediziner tragische Trainingstode eher auf schon bestehende Herzprobleme zurückgeführt: Zum einen ist die Blutpumpe besonders leicht durch Anstrengung verwundbar, wenn sie bereits durch Viren oder Bakterien entzündet ist. Zum anderen führen angeborene Fehler dazu, dass das Herz bei Belastung den Dienst versagt. Bei bestimmten Erkrankungen etwa ist die Muskulatur der linken Herzkammer von Geburt an auffällig verdickt. Oder die Herzkranzarterien sind falsch angelegt.

Bekannt war, drittens, auch, dass regelmäßige Ertüchtigung das Herz größer werden lässt. Dieses Phänomen, mitunter Athletenherz genannt, ist in den meisten Fällen jedoch eine normale Reaktion des Körpers und besitzt an und für sich keinen Krankheitswert.

Anders kann es allerdings aussehen, wenn Menschen entfesselt Sport treiben. Dann kann das Herz mit 500 Gramm ein kritisches Gewicht erreichen. Ärzte sprechen vom bedrohlichen Rinderherz ("Cor bovinum"). Es wird anfällig, weil die Herzkranzgefäße zu klein sind, um seine große Masse noch ausreichend mit Sauerstoff zu versorgen.

Doch nicht nur die Größe, sondern auch die Architektur des Herzens verändere sich manchmal durch extremen Ausdauersport, warnen der Arzt James O'Keefe und seine Kollegen im Fachblatt "Mayo Clinic Proceedings" in der Ausgabe vom Juni 2012. Dort präsentieren sie neue Hinweise auf dauerhafte Schäden.

In einer Studie wurden die Herzen von 40 Menschen, die an Marathonläufen, Triathlonwettkämpfen und Fahrradrennen durch die Berge teilgenommen hatten, per Kernspin untersucht. Fünf von ihnen hatten auffällige Narben in der rechten Herzkammer.

Freie Radikale entstehen

Zumindest bei einigen Extremsportlern werden der Vorhof sowie die Kammer der rechten Herzseite demnach dauerhaft überdehnt. Die Mediziner um O'Keefe vermuten: Durch die ungewöhnliche Belastung wird die Blutpumpe übermäßig gestresst. Sogenannte freie Radikale entstehen, welche die eigenen Zellen schädigen.

Das wiederum könnte das Immunsystem auf den Plan rufen. Zellen des Immunsystems geben verstärkt Botenstoffe ab, die das Wachstum bestimmter Vorläuferzellen anregen. Diese verwandeln sich in Bindegewebszellen. Das Herz vernarbt - und kann deshalb leichter als sonst aus dem Takt geraten und ganz stehen bleiben.

"Diese Anomalitäten haben oft keine Symptome und entstehen vermutlich im Verlauf vieler Jahre", schreiben die Ärzte in den "Mayo Clinic Proceedings". "Sie könnten anfällig machen für Herzrhythmusstörungen."

Allerdings droht diese Gefahr offenbar nur Menschen, die jeden Tag viele Stunden trainieren. Mit ihrem Pensum liegen sie fünf- bis zehnmal über dem, was Ärzte empfehlen: Wer an mindestens fünf Tagen der Woche etwa jeweils eine halbe Stunde joggt, der verlängert sein Leben statistisch gesehen um sieben Jahre. (Menschen, die erst wieder mit dem Sport anfangen wollen, sollten sich ärztlich untersuchen und beraten lassen, ehe sie loslegen.)

Am abträglichsten für die Herzgesundheit ist es, sich gar nicht zu rühren. Auf der Couch lebt es sich eindeutig gefährlicher als auf dem Trainingsplatz. Der plötzliche Herztod rafft in Deutschland jedes Jahr mehr als 100.000 Menschen dahin, aber nur einige hundert trifft es beim Sport.

Dieser Artikel stammt aus dem SPIEGEL WISSEN Heft 3/2012 "Mein Herz". Hier können sie das ganze Heft bestellen.