Zum Inhalt springen
Fotostrecke

Deutsche Hockey-Männer: Später geht es nicht

Foto: Armando Babani/ dpa

Deutschlands Hockey-Erfolg gegen Neuseeland "Was zur Hölle war das?"

Drama in Rio: Deutschlands Hockey-Herren standen gegen Außenseiter Neuseeland vor dem Aus - und drehten die Partie mit der Schlusssirene. So blieb dem Team eine Trainerdiskussion erspart.
Von Michael Wilkening

Im Grunde waren die deutschen Hockeyherren schon aus dem olympischen Turnier ausgeschieden. Fünf Minuten vor Schluss lag der Favorit im Viertelfinale gegen Außenseiter Neuseeland 0:2 zurück. Dann nahm die Partie einen Verlauf, der keiner Logik folgte und Deutschland zum 3:2-Sieger machte. An diesem Dienstag spielt die Mannschaft um 17 Uhr (MESZ) im Halbfinale gegen Argentinien.

Als die Mannschaften abgekämpft und mit schweißnassen Haaren das Feld verließen, glichen sich die Bilder - auf den ersten Blick. Sowohl die Neuseeländer als auch die Deutschen rauften sich reihenweise die Haare. Die Blicke verrieten Unverständnis. Unverständnis für das, was sich kurz zuvor ereignet hatte.

Doch eines unterschied die Spieler in schwarzen Trikots von denen in den weißen. Bei den Neuseeländern hingen die Schultern, während die Deutschen fassungslos, aber glücklich waren. Neuseeland hatte ein Spiel verloren, das man nicht mehr verlieren darf - und Deutschland eines gewonnen, das es eigentlich nicht mehr gewinnen kann.

"Sowas Wahnsinniges habe ich noch nie erlebt", sagte Tobias Hauke. Der Mittelfeldspieler vom Harvestehuder THC hatte gerade sein 300. Länderspiel absolviert, Hauke hat 2008 und 2012 die olympische Goldmedaille gewonnen, doch selbst der Erfahrenste suchte nach Worten. Das Ausscheiden der deutschen Mannschaft schien fünf Minuten vor dem Ende besiegelt.

Entfesselungskünstler

Natürlich wäre es nach dem überraschenden K.o. darum gegangen, ob der im vergangenen Oktober überraschend vollzogene Trainerwechsel - vom erfolgreichen Markus Weise hin zum jungen Valentin Altenburg - ein zu großer Einschnitt gewesen wäre. Die Diskussion wäre dem ehemaligen Junioren-Bundestrainer nicht gerecht geworden. Er sprang für Weise ein, weil der einen Job beim Deutschen Fußballbund annahm.

Die Spieler, die zu keinem Zeitpunkt Zweifel an der Eignung von Altenburg gehabt hatten, befreiten sich nach dem Spiel von den gedanklichen Fesseln durch den drohenden K.o. wie es Entfesselungskünstler Harry Houdini nicht besser hätte zeigen können. Altenburg hatte das Startsignal gegeben, als er den Torwart durch einen zusätzlichen Feldspieler ersetze, um durch eine personelle Überzahl noch mehr Druck ausüben zu können. Die Umstellung zeigte Wirkung. 4:37 Minuten waren noch zu spielen, als Kapitän Moritz Fürste per Strafecke zum 1:2 traf.

Fürste, wie Hauke schon 2008 Olympiasieger, hatte in der Halbzeitpause das Wort ergriffen und seine Kollegen aufgerüttelt. "Mo hat in der Kabine gesagt, dass das jetzt nicht die letzte Halbzeit für uns sein soll", sagte Stürmer Christoper Rühr: "Da bekam ich eine Gänsehaut." Kapitän Fürste, der seine Länderspiellaufbahn nach dem Turnier in Rio beendet, tat 40 Sekunden vor dem Ende, was ein Kapitän tun muss: Er übernahm Verantwortung. Noch einmal gab es Strafecke für die Deutschen, und weniger mit Präzision als vielmehr mit Willenskraft drosch Fürste die Kugel halbhoch ins Tor. Bei den Zuschauern entstand Gänsehautstimmung - die Deutschen hatten sich tatsächlich ins Penaltyschießen gerettet.

"Emotionen kann man nur nachvollziehen, wenn man es erlebt hat"

Es sollte aber nicht mehr zum Penaltyschießen kommen. In der letzten Aktion des Spiels schlug Timur Oruz die Kugel in den Schusskreis der Neuseeländer, wo Florian Fuchs den Schläger hinhielt und 1,5 Sekunden vor der Sirene dafür sorgte, dass Gefühlschaos ausbrach - bei den Spielern beider Mannschaften. "Diese Emotionen kann man nur nachvollziehen, wenn man es erlebt hat", sagte der Torschütze zum 3:2. "Da waren so viele Gefühle in diesen vier Minuten. Von wir sind raus, über Hoffnung und Erleichterung bis hin zu diesem unbändigen Glücksmoment."

Moritz Fürste, Christoph Ruhr (r.) und Niklas Wellen

Moritz Fürste, Christoph Ruhr (r.) und Niklas Wellen

Foto: David Rogers/ Getty Images

Die Neuseeländer müssen sich unterdessen gefühlt haben wie die Fußballer des FC Bayern im Mai 1999, als sie das Finale der Champions League gegen Manchester United durch zwei Gegentreffer in der Nachspielzeit 1:2 verloren.

Bis die Deutschen diesen nicht erklärbaren Umschwung herbeiführten, war die Begegnung bereits skurril genug verlaufen. Der Favorit übte große Dominanz aus, blieb dabei jedoch lange ungefährlich vor dem Tor. Die Neuseeländer standen weit in der eigenen Hälfte, verteidigten geschickt und warteten auf Konterchancen. Zweimal schossen sie in der kompletten Spielzeit auf das deutsche Tor und gingen so 2:0 in Führung.

Das war perfekte Effizienz und hätte ausgereicht, um das Aus für die Deutschen erklärbar zu machen. "Die Neuseeländer haben 55 Minuten lang aus ihrer Sicht alles richtig gemacht", sagte Stürmer Niklas Wellen. Für die irre Wendung in den letzten fünf Minuten hatte er keine Erklärung. Wellen stellte nur eine Frage: "Was zur Hölle war das?"