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Generalabrechnung Ackermann zerpflückt europäische Krisenpolitik

Falsch, spät, mutlos: In einer Grundsatzrede zu Europa rechnet Josef Ackermann mit dem Krisenmanagement der Euro-Staaten ab. Der Deutsche-Bank-Chef richtet einen dramatischen Appell an Bürger und Regierungen - sie müssten endlich den Ernst der Lage erkennen.
Deutsche-Bank-Chef Ackermann: Plädoyer für ein geeintes Europa

Deutsche-Bank-Chef Ackermann: Plädoyer für ein geeintes Europa

Foto: Bodo Marks/ dpa

Hamburg - Als Josef Ackermann ans Rednerpult tritt, ist Angela Merkel schon seit 20 Minuten fertig. In ihrer Regierungserklärung hat sie mal wieder verkündet, was alles nicht geht in Europa: Euro-Bonds, Anleihenkäufe, Schuldenmachen. Nun, während sich die Kanzlerin in Berlin mit der Opposition beharken muss, hält der Deutsche-Bank-Chef rund 300 Kilometer weiter nordwestlich, in Hamburg, eine eigene Grundsatzrede zu Europa - es ist vielleicht die bessere, auf jeden Fall aber die entschlossenere.

Für seinen Vortrag zu Europa hat sich Ackermann ausgerechnet eine Kirche ausgesucht. Hoch über ihm hängt in Weiß und Gold die Decke von St. Michaelis, im Volksmund "Michel" genannt. Die Wochenzeitung "Die Zeit" hat hierher geladen. Doch es ist nicht allein das sakrale Ambiente, das Ackermanns Rede an die versammelte Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wie eine Predigt wirken lässt.

Es sei geboten, sich um Europa zu sorgen, sagt Ackermann. "Ich war gerade einige Tage in Korea, Singapur und im Mittleren Osten. Und ich kann Ihnen sagen: Das Vertrauen, dass Europa den richtigen Weg findet und die Führung hat, die es benötigt, um dieses Ziel zu erreichen, ist relativ gering."

Auch wenn Ackermann keine Namen nennt: Dieser Satz ist ein wenig subtiler Angriff auf die Führer Europas, Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, die auf diversen Krisengipfeln bisher keine Lösung gefunden haben. Stattdessen ist die Krise weiter eskaliert. Mittlerweile muss fast die Hälfte der Euro-Staaten darum bangen, dass die Investoren an den Finanzmärkten ihnen noch Anleihen zu erträglichen Zinsen abkaufen. Auch viele Banken sind weitgehend vom Kapitalmarkt abgeschnitten.

Der Chef des größten deutschen Geldhauses hat eine Erklärung dafür. Zwar hätten auch die Banken Fehler gemacht, doch "alles in allem waren es vor allem politische Entscheidungen, die zu dieser Eskalation der Lage geführt haben". Der Politik habe es lange "an dem nötigen Problembewusstsein" gemangelt.

"Was braucht es noch, um die Menschen endlich aufzurütteln?"

Ackermann wirft den Regierungen weitere Fehler vor: Die Entscheidung, private Gläubiger zu einem freiwilligen Forderungsverzicht gegenüber Griechenland zu bewegen, habe die Finanzmärkte verunsichert, kritisiert der Bankchef. Zudem hätten Deutschland und Frankreich gegenüber Griechenland das Signal ausgesendet, "dass das Ausscheiden eines Landes aus der Währungsunion nicht mehr undenkbar war". Dies habe das Finanzsystem fundamental verändert. "Seitdem müssen Besitzer von Staatsanleihen nicht mehr nur die Möglichkeit eines Schuldenschnitts, sondern sogar eine Währungsreform einkalkulieren."

Es ist ein düsteres Bild, das Ackermann zeichnet - nicht nur der ökonomischen, sondern auch der politischen und gesellschaftlichen Lage Europas. Es stelle sich die Frage, "ob es noch eine gemeinsame tragfähige Vision der europäischen Völker und Regierungen für die Vollendung der Einheit Europas gibt", ruft er seinen Zuhörern zu. "Was braucht es noch, um die Menschen auf diesem Kontinent endlich aufzurütteln?"

Europas Gewicht in der Welt schwinde, warnt der Banker. US-Präsident Barack Obama etwa sehe "die Zukunft der Vereinigten Staaten offenbar nicht mehr als atlantische, sondern als pazifische Nation" - und sei damit nicht allein. Wenn Europa es nicht schaffe, seine Einheit zu vollenden, liefen die europäischen Nationen Gefahr, nicht mehr selbst über ihr Schicksal bestimmen zu können. Es drohe letztlich der Verlust der Freiheit.

Um dies zu verhindern, müssten die europäischen Staaten nationale Souveränitätsrechte an die europäische Ebene abgeben, mahnt Ackermann. Auch eine "solidarische Hilfe zur Selbsthilfe der starken für derzeit schwache Mitgliedstaaten" sei nötig. Anders als viele deutsche Politiker es gerne darstellen, ist diese Hilfe in Ackermanns Augen kein Opfer, sondern "im ureigenen nationalen Interesse geradezu geboten". Die Kosten der Destruktion seien höher als die der Konstruktion, mahnt der Banker.

Ackermann schwebt ein neues Europa vor, mit einer wesentlich stärkeren Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik - und mit deutlich weniger nationalen Befugnissen. "Die Vorstellung, in einer Währungsunion könne die Handlungskompetenz national bleiben und bedürfe allenfalls einer losen Koordination auf Gemeinschaftsebene, ist als Fiktion entlarvt worden", sagt der Banker. Europa werde "nicht darum herumkommen, die Machtbalance zwischen den Nationalstaaten und der europäischen Gemeinschaftsebene zu Gunsten Letzterer zu verschieben und in die Verfassung der Mitgliedstaaten einzugreifen".

Es ist ein leidenschaftliches Plädoyer für ein geeintes Europa - so klar und dringlich, wie es die deutsche Kanzlerin bisher nicht hinbekommen hat. "Jenseits von Europa gibt es gerade für Deutschland keine erfolgreiche Zukunft", sagt Ackermann. Man mag es ihm glauben.