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Nikotinindustrie Wie die Zigarettenlobby Europas Tabakgesetze entschärft

Schockbilder auf der Schachtel, Verbot von Menthol-Zusatz, Apothekenpflicht für die E-Zigarette - um die neuen EU-weiten Regeln für die Tabakindustrie tobt eine Lobbyschlacht. Nun zeichnet sich ab: Die Pläne werden in letzter Minute entschärft.
Zigarettenauslage in London: "Nur Fälscher und Schmuggler profitieren"

Zigarettenauslage in London: "Nur Fälscher und Schmuggler profitieren"

Foto: Oli Scarff/ Getty Images

Brüssel - Kaum ist das Reizwort gefallen, greift Marcus Schmidt zur Zigarette. "Was hier als Tabakprodukt-Richtlinie vorgestellt wurde, liest sich wie ein Sammelsurium, das von Praktikanten zusammengeschrieben wurde", sagt der Vorstand des Tabakkonzerns Reemtsma und zieht tief an seiner John Player Special. "Nur Fälscher und Schmuggler" profitierten von den Plänen der EU-Kommission zur schärferen Regulierung der Branche. "Dies ist Markenzerstörung, ein Eingriff in unser Eigentum", erregt sich der Mittvierziger und pustet Rauch in die Luft. "Wenn diese Richtlinie so durchkommt, kann das die Zerstörung unserer Industrie bedeuten." Schmidt ascht die Kippe ab. Seine dritte in knapp 20 Minuten.

Die EU-Gesetzgebungspläne machen selbst hartgesottene Tabakmanager nervös. Schockbilder geteerter Lungenflügel, riesige Warnhinweise auf den Schachteln, Verbot von Menthol- oder Slim-Zigaretten, Verbannung der elektronischen Zigarette in die Apotheke - der Gesetzentwurf von EU- Gesundheitskommissar Tonio Borg hat die Nikotinindustrie in Aufruhr versetzt. Seither stemmt sie sich mit all ihrer Macht gegen die neuen, EU-weiten Regeln. "Wir haben die Hoffnung, dass noch viele Änderungen stattfinden", sagt Dirk Pangritz, Geschäftsführer des Deutschen Zigarettenverbands. "Der Diskussionsprozess ist keineswegs abgeschlossen."

Denn bislang steht Borgs Normenwerk nur auf dem Papier. Was Vorschrift wird, entscheidet sich maßgeblich kommende Woche. Am 8. oder 9. Oktober stimmt das Europaparlament über den Entwurf ab. Um Abgeordnete auf ihre Seite zu ziehen, hat die Tabaklobby Hunderte Einflüsterer ins Feld geschickt, Millionen investiert. Wie es aussieht, gelingt es ihr wohl in letzter Minute, entscheidende Paragrafen zu kippen oder zu verwässern.

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Zigaretten: Mit Schockbildern und Werbeverbot gegen das Rauchen

Foto: Oli Scarff/ Getty Images

"Die Kommission wird mit einem erheblichen Teil ihrer Pläne nicht durchkommen", sagt Karl-Heinz Florenz, Tabakexperte der CDU im Europaparlament, und der FDP-Abgeordnete Jürgen Creutzmann prophezeit: "Das Parlament wird den Entwurf der Kommission in einigen Punkten abändern." Eine seltene Einigkeit zischen den beiden Politikern, die auf unterschiedlichen Seiten der Lobbyschlacht stehen: Creutzmann macht sich im Industrieausschuss für eine Abschwächung des Kommissionsvorschlags stark. Florenz kämpft im Gesundheitsausschuss des Parlaments für härtere Tabakgesetze.

Entschärfungen an den Schlüsselstellen

Selten waren die Straßburger Abgeordneten so agil wie in Sachen Tabak. Mehr als 1800 Änderungsanträge haben sie zu dieser einzigen Richtlinie eingereicht. "Viele hatten den identischen Wortlaut, als stammten sie aus derselben Quelle", sagt die britische Sozialistin Linda McAvan, Berichterstatterin des federführenden Gesundheitsausschusses. Vor allem Abgeordnete der größten Fraktion, der konservativen EVP, der auch CDU und CSU angehören, revoltieren gegen Borgs Pläne. Daran ändern auch die Positionen des tabakkritischen Abgeordneten Florenz nichts. Und so zeichnen sich jetzt an den Schlüsselstellen deutliche Entschärfungen ab:

  • E-Zigarette: Die Kommission wollte die boomenden elektronischen Rauchapparate, die Nikotin verdampfen statt Tabak zu verbrennen, als Arzneimittel einstufen und in die Apotheke verbannen. Dagegen leisten vor allem konservative und liberale Abgeordnete heftigen Widerstand. Es mache mehr Sinn, diese "Alternativen" zum Rauchen im Tabakgeschäft anzubieten, sagt FDP-Vertreter Creutzmann.
  • Slims: Die ultradünnen Zigaretten in den schmalen, Etui ähnlichen Verpackungen, von denen sich vor allem junge Frauen angesprochen fühlen, sollen laut Kommission verboten werden. Daraus wird wohl nichts. Die EU-Minister wollen die "Slims" behalten, auch im Parlament zeichnet sich eine Mehrheit gegen den Bann ab. Umstritten ist, ob die schlanken Zigarettchen künftig in breiteren, weniger eleganten Schachteln angeboten werden müssen.
  • Menthol: Die Kommission will bestimmte Aroma- und Zusatzstoffe verbieten - allen voran Menthol, das den Hustenreiz mindern und damit Anfängern das Rauchen erleichtern kann. Auch die EU-Minister votierten für den Menthol-Bann. Viele Parlamentarier indes wollen es laxer, die Ausschüsse für Industrie, Handel, Recht und Landwirtschaft machen Front gegen das Menthol-Verbot. Die EVP-Fraktion will die Beimischung für mindestens acht weitere Jahre erlauben. Altkanzler Helmut Schmidt muss seine geliebten Menthol-Kippen also wohl doch nicht horten.
  • Größe der Warnhinweise: Laut Kommissionsentwurf müssen Verpackungen von Tabakprodukten künftig zu 75 Prozent mit Schockbildern und Warnhinweisen bedeckt werden; bisher sind es 50 Prozent. Im Europaparlament ist aber nur der Gesundheitsausschuss dafür. Die mächtigen Ausschüsse für Industrie, Handel, Recht und Landwirtschaft wollen es bei 50 Prozent belassen - ebenso wie die Mehrheit der konservativen EVP-Parlamentarier. Da sich auch die EU-Mitgliedstaaten nur für 65 Prozent aussprechen, ist eine Aufweichung so gut wie sicher.
  • Position der Warnhinweise: Borg will vorschreiben, Warnungen und Fotos am oberen Rand der Schachtel anzubringen. Die Tabakkonzerne wollen das unbedingt verhindern, denn klebt die Warnung unten, wird sie beim Händler vom Regal verdeckt. Auch diese Vorschrift könnte kippen: In der EVP-Fraktion und im Industrieausschuss will das Gros der Abgeordneten den Herstellern überlassen, wo sie den Hinweis anbringen.

Gerade fachfremde Parlamentarier haben die Seiten gewechselt. Allein Branchenführer Philip Morris International (Marlboro, L&M International) schickte mindestens 161 Einflussnehmer ins Feld, ihr Spesenaufwand für "Treffen" mit EU-Entscheidern belief sich nach Recherchen des "Guardian" auf mehr als 1,2 Millionen Pfund.

Eine gute Investition angesichts der Verluste, welche die Branche durch die Regularien befürchtet. In Australien etwa, das seit langem großflächige Warnhinweise und Schockfotos vorschreibt und nun sogar Einheitsverpackungen für Zigaretten eingeführt hat, ist der Anteil der Raucher seit 1983 von gut 35 Prozent auf etwa 15 Prozent gesunken. "Jeder Mensch, der lesen kann, weiß bereits, dass Tabak nicht gesundheitsförderlich ist", sagt Patrick Engels, Chef des niederbayerischen Herstellers Pöschl. "Hier geht es um unsere Existenz. Ich habe fast 800 Mitarbeiter, viele ungelernte Frauen, die finden so schnell keinen anderen Job mehr."

So schnell muss Engels aber auch keine neuen Verbote fürchten. Denn nach dem Votum ihres Parlaments muss Berichterstatterin McAvan mit dem Ministerrat der EU-Staaten die Details aushandeln. Das dürfte sich hinziehen: Im Januar übernimmt Griechenland den Ratsvorsitz - die wohl tabakfreundlichste Regierung Europas.

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