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Ende der Rezession Europa berappelt sich

Darauf hat die Euro-Zone lange gewartet - nach anderthalb Jahren gibt es in der Währungsunion wieder Wachstum. Auch andere Zahlen sprechen für einen Aufschwung. Mit Blick auf Deutschland sagt Ifo-Konjunkturchef Carstensen: "Alles geht in die richtige Richtung - nach oben."
Montagehalle bei Nordex: "Das Schwierigste liegt hinter uns"

Montagehalle bei Nordex: "Das Schwierigste liegt hinter uns"

Foto: Jens B¸ttner/ DPA

Hamburg - Es war eine gewagte Aussage von Mario Draghi. "Das Schlimmste ist vorüber", sagte der Chef der Europäischen Zentralbank im März 2012 über die Euro-Krise. Zumindest mit Blick auf die Realwirtschaft war das falsch: Als Draghi seine Prognose abgab, schrumpfte die kombinierte Wirtschaftsleistung der Euro-Staaten gerade das zweite Quartal in Folge. Danach ging es noch ein ganzes Jahr weiter bergab.

Nun aber, nach der längsten Rezession seit ihrer Gründung, sendet die Wirtschaft der Euro-Zone ein Lebenszeichen: Zwischen April und Juni legte sie laut einer ersten Schätzung von Eurostat um 0,3 Prozent zu. Deutlich war das Wachstum mit 0,7 Prozent in Deutschland, aber auch Frankreich konnte mit einem Plus von 0,5 Prozent überraschen. Portugals Wirtschaft wuchs sogar erstmals seit zweieinhalb Jahren - um stolze 1,1 Prozent.

Mittlerweile wagen auch deutsche Ökonomen ähnliche Aussagen wie vor anderthalb Jahren Draghi. "Wir haben einen Trendwechsel, das Schwierigste liegt hinter uns", sagte Michael Hüther, Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Ähnlich äußerte sich Ifo-Konjunkturchef Kai Carstensen mit Blick auf Deutschland: "Alles geht in die richtige Richtung - nach oben."

Tatsächlich stimmen nicht nur die jüngsten Wachstumszahlen hoffnungsvoll:

  • Unternehmen in der Euro-Zone sind mit Blick auf ihre Geschäfte so optimistisch wie seit anderthalb Jahren nicht mehr. Im Juli stieg der Markit-Einkaufsmanagerindex von 48,7 auf 50,5 Punkte und damit über jene Schwelle, die Wachstum markiert.
  • Neben Unternehmern sind auch die Konsumenten in der Währungsunion wieder optimistischer. Das Verbrauchervertrauen stieg im Juli bereits den achten Monat in Folge. In Deutschland trug der private Konsum infolge von Lohnerhöhungen und wachsender Beschäftigung entscheidend zum Wachstum bei.
  • Aus südeuropäischen Krisenländern kommen ermutigende Zeichen. Vor dem jetzt verkündeten Wachstum konnte Portugal kürzlich ebenso wie Spanien erstmals seit zwei Jahren sinkende Arbeitslosenzahlen melden. Beide Länder senkten ihre Lohnstückkosten deutlich und steigerten ihre Exporte. Selbst das Sorgenkind Griechenland steigerte seine Ausfuhren und konnte seine Neuverschuldung zuletzt mehr als halbieren. Mit einem Minus von 4,6 Prozent schrumpfte die Wirtschaft des Landes nach Angaben des griechischen Statistikamts zuletzt auch nicht so stark wie befürchtet. Von Eurostat lagen für Griechenland ebenso wie Irland zunächst noch keine Wachstumszahlen vor.
  • Die zwischenzeitlich dramatische Lage an den Anleihemärkten hat sich beruhigt. Der Abstand zwischen den Zinssätzen für Krisenländer und Deutschland ist viel geringer als noch vor einem Jahr, Italien und Spanien konnten sich am Dienstag über die niedrigsten Aufschläge seit zwei Jahren freuen.

Für allzu lauten Jubel ist es trotz allem noch zu früh. Das zeigt sich schon daran, dass andere große Euro-Länder wie Italien (-0,2 Prozent) und Spanien (-0,1 Prozent) weiter schrumpfen - wenn auch weniger stark als in den Monaten zuvor. Dass die Euro-Zone auch übers ganze Jahr gesehen wächst, wäre laut Jens Boysen-Hogrefe vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) "schon sehr überraschend. Aber die Aussicht für 2014 bessert sich deutlich."

Gegen eine allzu schnelle Erholung sprechen auch andere Faktoren:

  • Ende 2012 ging es in vielen Ländern deutlich bergab, auch in den ersten drei Monaten des neuen Jahres war die Wirtschaft dann noch von schlechtem Wetter gedämpft. Das Plus in vielen Ländern ist auch vor dem Hintergrund dieser Entwicklung zu sehen. "Es war unwahrscheinlich, dass wir in der Dauerrezession bleiben", sagt Boysen-Hogrefe. Auch in Deutschland holt etwa die Bauwirtschaft nun Arbeiten aus dem strengen Winter nach. "Ein merklicher Anteil sind Nachholeffekte gewesen", so Ifo-Ökonom Carstensen.
  • Die Arbeitslosigkeit bleibt Europas entscheidendes Problem. Mit 12,1 Prozent verharrte sie im Juli in der Euro-Zone auf dem höchsten Niveau seit Beginn der Erfassung im Jahr 1995. Dass in Ländern wie Griechenland und Spanien mehr als jeder vierte ohne Job ist, erklärt auch scheinbar positive Zahlen: So sinken die Lohnkosten, weil zunächst weniger produktive Mitarbeiter entlassen werden, die Leistungsbilanzen gegenüber dem Ausland verbessern sich, weil die Südeuropäer weniger konsumieren können.
  • Die verbesserte Lage ist entscheidend der Europäischen Zentralbank zu verdanken. Ihre Niedrigzinspolitik befeuert derzeit die Börsen, ihre Ankündigung notfalls unbegrenzter Anleihekäufe hat Spekulationen eingedämmt. Beide Schritte lösen jedoch nicht die Probleme der Krisenländer, sondern könnten Reformen verschleppen und neue Blasen begünstigen.
  • Die Lage der Weltwirtschaft ist weiter unsicher. Laut dem am Mittwoch veröffentlichten Ifo-Weltwirtschaftsklima hat sich zwar die Stimmung in Europa und vor allem den USA deutlich verbessert. In Asien trübte sie sich jedoch nach einem starken Anstieg im zweiten Quartal wieder ein. Das dürfte vor allem an den verschlechterten Prognosen für China liegen. Zwar will die dortige Regierung notfalls mit Konjunkturspritzen ein Wachstum von sieben Prozent verteidigen. Zugleich hat sie aber gerade erst damit begonnen, den an vielen Stellen überhitzten Finanzmarkt schärfer zu regulieren. "Die Scherben aufzuwischen ist das eine", sagt Ifo-Ökonom Carstensen. "Das andere ist die Frage, was eigentlich mit dem Kapital passiert ist."

Trotz allem bleibt unterm Strich ein Plus für die Euro-Zone. Dies könnte in Krisenländern die Hoffnung darauf nähren, dass Deutschland nach der Bundestagswahl seine Forderung nach einer harten Sparpolitik lockert. IW-Chef Hüther glaubt jedoch nicht, dass dies erfolgreich sein wird. Schließlich könne die Bundesregierung gerade jetzt argumentieren, dass sich die Erwartungen an den Sparkurs erfüllt haben. "Die Krisenländer können nicht sagen, wir brauchen mehr - und wir können nicht sagen, wir geben weniger."

Auch Boysen-Hogrefe erwartet keinen entscheidenden Kurswechsel. "Die EU-Kommission drückt jetzt schon jetzt das ein oder andere Auge zu", sagt der IfW-Ökonom. "Und ich habe nicht das Gefühl, dass jedes Mal in Berlin zum roten Telefon gegriffen wird."