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Fehlende Mobil-Strategie Smartphone-Boom bedroht Facebooks Geschäft

Facebooks Aktienkurs schwächelt seit dem Börsengang. Wenn in dieser Woche Mitarbeiter des Netzwerks Papiere verkaufen, droht das nächste Tief. Der Sinkflug zeigt ein grundlegendes Strategieproblem: Die Smartphone-Revolution bedroht Facebooks Werbegeschäft - die Lösung fällt dem Unternehmen schwer.
Smartphone-Nutzer: Die dritte Epoche des Internets bricht an

Smartphone-Nutzer: Die dritte Epoche des Internets bricht an

Foto: Marc Serota/ Getty Images

Hamburg - Es geht bergab. Seit dem Börsengang vor 89 Tagen hat sich der Wert der Facebook-Aktie   um rund 45 Prozent verringert - und jetzt könnte er noch weiter fallen. Denn am Donnerstag läuft die Haltefrist für 271 Millionen Anteile aus, die Angestellte des Unternehmens besitzen. Sollte ein Teil der Papiere abgestoßen werden, würde das den Kurs weiter drücken.

Möglich, dass Facebook glimpflich davonkommt, weil die meisten, die verkaufen wollen, es schon vorab getan haben - per Optionsschein. Dann wären die Verkäufe im derzeitigen Aktienkurs bereits berücksichtigt. Dennoch dürfte die Aktie unter Druck bleiben, denn in den kommenden Monaten laufen weitere Haltefristen aus.

Es ist bezeichnend, dass sich Facebook - beim Börsendebüt am 18. Mai noch als neuer Star gefeiert - inzwischen um profane Dinge wie das Auslaufen von Haltefristen scheren muss. Die Aktie war so stark überbewertet, dass der Firmenwert selbst jetzt, nach dem Absturz, noch gut 48 Milliarden Dollar beträgt, das 48-fache des Jahresgewinns 2011. Bei den ungewissen Aussichten ist das selbst für die hochgehandelte Digitalbranche sehr optimistisch.

Noch immer spiegelt der Aktienkurs die Hoffnung wider, Facebook könnte in den kommenden Jahren exponentiell wachsen. Dabei wird das Geschäftsmodell des sozialen Netzwerks gerade erschüttert. Durch den Boom der internetfähigen Handys verändert sich der Markt rapide. Nicht nur Facebook gerät dabei ins Hintertreffen, auch Google   und andere Web-Riesen, die ihr Geld vor allem mit Werbung verdienen, bekommen Probleme.

Anbruch einer neuen Web-Ära

Weltweit werden die Internet-Zugriffe via Handy und Tablet im kommenden Jahr erstmals ein größeres Datenvolumen haben als die Zugriffe über den PC daheim oder im Büro, schätzt das Marktforschungsunternehmen Gartner. Facebook spürt die mobile Revolution bereits deutlich: Von seinen rund 955 Millionen Nutzern haben bereits mehr als die Hälfte die Facebook-App auf ihrem Handy. Die täglichen Zugriffe erfolgen immer öfter über mobile Endgeräte statt über stationäre. Eine Umfrage unter Google-Nutzern  ergab ähnliche Ergebnisse für die Web-Suche. Daraus ergeben sich drei Probleme:

  • Die Seitenabrufe über Smartphones bringen nur einen Bruchteil der Werbeeinnahmen.
  • Neue Geschäftsmodelle, die diese Verluste kompensieren befinden sich noch im Entwicklungsstadium.
  • Es ist nicht sicher, dass die Giganten des stationären Internets ihre Marktführerschaft im mobilen Web verteidigen können.

Jay Jamison, Autor beim IT-Blog Techcrunch, nennt das mobile Web die dritte Epoche des Internets . Die erste Epoche war das Web der Portale wie Yahoo und der Suchmaschine Google; die zweite das von Facebook, LinkedIn und Zynga geprägte soziale Web. Jede Web-Ära hatte ihre speziellen Anforderungen, und stets taten sich die Herrscher eines Zeitalters schwer, sich auf den Anbruch einer neuen Zeit einzustellen.

Der Web-1.0-Pionier AOL spielt inzwischen keine Rolle mehr. Yahoo ist ein Sanierungsfall. Google geht es zwar noch blendend, doch der Konzern verdient seine Milliarden nach wie vor weitgehend mit einem Web-1.0-Geschäftsmodell: der Internetsuche. Das soziale Netzwerk Google+ ist weit von den Erfolgen Facebooks entfernt.

Facebook hat in seinem Börsenprospekt  angekündigt, seine mobilen Aktivitäten deutlich auszuweiten. Firmenchef Mark Zuckerberg soll neue Funktionen des sozialen Netzwerks mittlerweile immer zuerst auf dem Handy testen. Doch steht Facebook bei der Umsetzung seiner Mobilstrategie vor ganz ähnlichen Problemen wie Google im sozialen Netz. Die Umstellung erfordert nicht weniger als einen Kulturwandel.

Mobiler Kulturwandel

Wer mit dem Smartphone im Internet surft, greift zwar prinzipiell auf dieselben Informationen zu wie über den Rechner; doch er erwartet eine ganz andere Aufbereitung. Mobile Dienste können Aufenthaltsort, Tageszeit, kontextabhängige Informationen und persönliche Vorlieben des Nutzers mit einbeziehen. Der App-Kunde erwartet auf dem kleinen Handy-Display weniger Informationen, dafür müssen sie maßgeschneidert sein.

Facebook hat einen anderen Ansatz. Das Netzwerk stellte nach und nach immer mehr Informationen auf immer auflösungsstärkeren Bildschirmen dar: Statusnachrichten, Einladungen zu Partys, Spiele, Werbung, Chat und vieles mehr umfasst der Dienst heute. Die Facebook-App überträgt diese Fülle an Informationen aus dem stationären Web aufs Handy. Die App wirkt überladen, gleichzeitig hält sich der Nutzwert ihrer orts- und kontextbezogenen Dienste in Grenzen.

Firmen, die direkt im mobilen Web starteten, konzipieren ihre Dienste ganz anders. Eine App pro Aufgabe, lautet die Devise, dafür so nah am Kunden wie möglich. Dem Dienst Foodspotting etwa sind selbst Restaurantempfehlungen zu unpersönlich: Er zeigt seinen Nutzern, in welchem Restaurant sie das Gericht bekommen, auf das sie gerade Lust haben - und Angaben, wie es zubereitet wird.

Gegen die mobile Foto-Community Instagram sehen Yahoos Bilderdienst Flickr und Facebooks Bilder-Upload alt aus. Instagram hat in gut zwei Jahren mehr als 80 Millionen Nutzer gewonnen. Anfang April kaufte Facebook den Dienst für eine Milliarden Dollar.

Neue Werbewelt

Auch die Geschäftsmodelle ändern sich im mobilen Web. Für Unternehmen, die sich vor allem durch Werbung finanzieren, ist das ein Problem. Die Aufmerksamkeit des Werbekunden ist auf dem Smartphone eine andere als vor dem heimischen PC, und für Werbebanner sind die kleinen Handy-Bildschirme schlecht geeignet. Es fehlen die richtigen Werbeformen. Das schlägt sich auch bei den Einnahmen nieder. Nach Angaben des Wagniskapitalgebers Kleiner Perkins kosten in den USA 1000 Aufrufe eines mobilen Werbebanners 35 bis 40 Cent; Premium-Web-Seiten seien bis zu 20-mal so teuer.

Die niedrigen Preise machen sich in den Bilanzen der Web-Größen bemerkbar. Zum Beispiel bei Google, einem Konzern, dessen Umsatz zu mehr als 90 Prozent von Werbung abhängt. In den vergangenen drei Quartalen sind die Einnahmen pro Klick auf einen Werbebanner kontinuierlich gesunken - im vergangenen Quartal um ganze 16 Prozent. Google versucht mit seinem kostenlosen Handy-Betriebssystem Android gegenzusteuern. Dieses sichert dem Konzern Zugriff auf den Endgerätemarkt - und damit auf Millionen potentielle Werbekunden. Profit wirft Android bislang kaum ab.

Facebooks Umsätze werden ebenfalls zu gut 85 Prozent durch Werbung generiert. Die Umsätze steigen inzwischen langsamer, weil Nutzerzahlen und Werbeerträge weniger stark wachsen als zuvor. 2011 betrug das Plus noch 88 Prozent, im ersten Quartal 2012 waren es 45 Prozent, im zweiten Quartal 32 Prozent.

Schwächelndes Wachstum verträgt sich nicht mit den hohen Erwartungen an die Facebook-Aktie. Eine neue Wachstumsstrategie sucht das Unternehmen vor allem im mobilen Web - doch bislang sind die Erträge bescheiden. Das Netzwerk will zur Plattform mobiler Dienstleister werden, doch die offerieren ihre Angebote immer öfter außerhalb des Facebook-Universums. Kürzlich hat das Netzwerk begonnen, Werbung unter Statusmeldungen zu mischen, wenn die Nutzer oder deren Freunde mit dem jeweiligen Unternehmen befreundet sind. Nach eigenen Angaben macht das Unternehmen damit gut eine halbe Million Dollar Umsatz pro Tag.

Kunden statt Klicks

Andere Firmen schöpfen die Möglichkeiten mobiler Werbung bereits jetzt besser aus. Denn mit Werbeeinblendungen, wie man sie aus dem stationären Web kennt, ist das Potential mobiler Dienste nicht erschöpft. Warum für Klicks zahlen, wenn man Kunden via Handy zu sich lotsen kann?

Da ist zum Beispiel die App Waze, ein GPS-Navigationssystem mit angebundener Community. Autofahrer übertragen bei der Fahrt auch ihre Geschwindigkeit, Waze errechnet daraus, wie verstopft welche Straßen sind und leitet Nutzer bei Bedarf um. Seit kurzem informiert die 20 Millionen Nutzer starke Community ihre Kunden auch über günstige Tankstellen auf ihrer Route - nützlich für Autofahrer, perfektes Marketing für Tankstellenbesitzer.

Facebook, Google und Co. haben beste Voraussetzungen, selbst solche Dienste zu starten. Sie verfügen über mehr Nutzer als irgendeine mobile Community - und damit über die nötige Reichweite. Dennoch sind sie derzeit nicht diejenigen, die die mobile Revolution vorantreiben. Ebenso wenig wie es Web-Portale aus der ersten Web-Epoche waren, die das Web 2.0 prägten.