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Welt-Alzheimer-Bericht 2011 28 Millionen Menschen ahnen nichts von ihrer Demenz

Alzheimer wird häufig zu spät diagnostiziert, drei Viertel aller Demenzkranken wissen nicht, dass sie die Krankheit haben. Das ist das Ergebnis des Welt-Alzheimer-Berichts 2011. Jetzt fordern Forscher die Regierungen auf, die Behandlungslücken zu schließen. Einen Pauschalweg gibt es jedoch nicht.
Mann mit adressiertem Schlüsselbund: Alzheimer-Diagnose kommt oft zu spät

Mann mit adressiertem Schlüsselbund: Alzheimer-Diagnose kommt oft zu spät

Foto: Hans-Jürgen Wiedl/ dpa

London - Es ist eine schleichende Reise ins Vergessen. "Ich beginne nun die Reise, die mich zum Sonnenuntergang meines Lebens führt." Das sind die Zeilen, die der ehemalige US-Präsident Ronald Reagan an die Öffentlichkeit richtete, als er von seiner Diagnose Alzheimer erfuhr. Auch wenn der Abschied schmerzlich war, innerlich konnten sich der Präsident und seine Gattin auf das Bevorstehende vorbereiten.

Doch oft kommt die Diagnose unnötig spät. Das sagen jetzt Forscher des Londoner King's College, die am Dienstag den Welt-Alzheimer-Bericht 2011  vorgelegt haben. Demnach leben rund um den Globus bis zu 28 Millionen Menschen mit einer Demenzerkrankung - ohne davon zu wissen. Damit zeige sich in den letzten Jahren kein Fortschritt in der Diagnose der Krankheit - und dies, obwohl ein Handeln in frühen Krankheitsstadien gerade bei Alzheimer wichtig sei.

Bei bis zu drei Vierteln der geschätzten insgesamt 36 Millionen Demenzkranken weltweit sei das Leiden bisher nicht diagnostiziert worden, heißt es in dem Report. "28 Millionen Menschen mit Demenz haben noch keine Diagnose erhalten und haben daher keinen Zugang zu Behandlung, Information oder Versorgung", konstatieren die Autoren des Reports. Regierungen sollen "jetzt Geld ausgeben, um später zu sparen", fordern die Forscher in dem Bericht von den Politikern.

Die wichtigsten Fragen zur Alzheimer-Erkrankung (AD)

In Industrieländern wird demnach bei 20 bis 50 Prozent der Erkrankten die richtige Diagnose gestellt. In Entwicklungsländern sogar nur bei etwa zehn Prozent. Die Alzheimer-Diagnose erfolge zudem meist sehr spät im Krankheitsverlauf, sagen die Forscher. Das führe zu einer substanziellen Behandlungslücke. "Die Unfähigkeit, Alzheimer rechtzeitig zu diagnostizieren, repräsentiert eine tragisch verpasste Möglichkeit, die Lebensqualität von Millionen von Menschen zu verbessern", sagt Daisy Acosta, Direktorin der Organisation Alzheimer's Disease International (ADI), die den Report in Auftrag gegeben hatte.

Die Experten haben nach eigenen Angaben erstmals das gesamte bekannte Forschungsmaterial zur Frühdiagnose bei Demenzerkrankungen gesichtet. Dabei fanden sie heraus, dass Medikamente umso effektiver sind, je früher sie eingesetzt werden. "Es ist einfach nicht wahr, dass eine frühe Diagnose eh keinen Sinn hat, oder dass ohnehin nichts getan werden kann", schreiben die Autoren des Berichtes.

Es gebe bereits Maßnahmen, die vor allem in den Frühstadien der Alzheimer-Erkrankung wirksam seien und das Fortschreiten des geistigen Abbaus verlangsamen können. Auch eine Einweisung in ein Pflegeheim ließe sich mit solchen Behandlungen oft deutlich herauszögern.

24.000 Euro im Jahr pro Alzheimer-Patient

"Das ist auch ein starkes wirtschaftliches Argument für frühe Diagnosen und rechtzeitige Intervention." Denn mit einer solchen ließen sich die Kosten durch Alzheimer für die Gesundheitssysteme stark reduzieren, so die Forscher. In Zahlen sieht das demzufolge konkret so aus: Rund 7500 Euro pro Patient in den Industrieländern könnten dadurch gespart werden, dass Patienten später in Heimen untergebracht werden oder im Krankenhaus behandelt werden müssen.

Zurzeit schätze man die durchschnittlichen gesellschaftlichen Kosten auf umgerechnet etwa 24.000 Euro pro Jahr und Alzheimer-Patient. "Die Daten deuten darauf hin, dass die Regierungen jetzt ausgeben sollten, um später zu sparen", schreiben die Wissenschaftler.

"Es gibt allerdings keinen allgemeingültigen Weg, um die Behandlungslücke weltweit zu schließen", sagt Martin Prince vom King's College London, Hauptautor der Studie, die dem Bericht zugrunde liegt. "Klar ist aber, dass jedes Land eine eigene Demenzstrategie braucht, die frühe Diagnosen begünstigt und kontinuierliche Pflege gewährleistet."

Als mögliche Maßnahmen nennen die Forscher die Einführung von diagnostisch ausgerichteten Schwerpunktkliniken, die Schulung von niedergelassenen Ärzten und eine bessere Kommunikation zwischen verschiedenen Teilen des Gesundheitssystems.

Bereits in den vergangenen beiden Welt-Alzheimer-Berichten prognostizierten Forscher, dass sich die Anzahl der Menschen mit Demenzerkrankungen alle 20 Jahre verdoppeln wird. Von geschätzten 36 Millionen im Jahr 2010 soll sie sich auf 115 Millionen bis zum Jahr 2050 erhöhen. Der Grund dafür sei, dass das durchschnittliche Lebensalter steigt, schreiben die Forscher. Da die Demenz vor allem ältere Menschen treffe, nehme damit auch die Anzahl der Alzheimer-Betroffenen zu.

Die Krankheit verursache Kosten in der Höhe von einem Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts, berichten die Wissenschaftler. "Wenn Demenzkrankheiten ein Land wären, hätte es die achtzehntgrößte Wirtschaft der Erde", schreiben sie in ihrem Bericht.

cib/dapd/dpa