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Wissenschaftsförderung: EU-Milliarden für große Ziele

Foto: Corbis

Flaggschiff-Initiative EU gibt Milliarden für Wundermaterial und Hirnsimulation

Die Pläne der Wissenschaftler sind futuristisch, manche grenzen an Größenwahn: Die EU hat zwei von sechs Großforschungsprojekten ausgewählt, die jeweils mit einer Milliarde Euro gefördert werden. Es geht um ein neues Wundermaterial und die Simulation des menschlichen Gehirns.

Berlin - Diese Frage bekommen Wissenschaftler nicht jeden Tag gestellt: Was würden Sie erforschen, wenn Sie einen Etat von einer Milliarde Euro hätten? Vor drei Jahren formulierte die EU genau diese Frage - und Wissenschaftler aus ganz Europa steckten die Köpfe zusammen, um Ideen zu entwickeln.

26 Vorschläge wurden eingereicht. Sechs sogenannte Flagschiff-Projekte schafften es schließlich in die Endauswahl. Nun ist entschieden, wer den Forscher-Jackpot bekommt. Zwei Vorhaben dürfen sich über den Geldsegen aus Brüssel freuen: das Materialforschungsprojekt Graphen  und das Human Brain Project .

Jedes der beiden Projekte bekommt die Milliarde - verteilt über zehn Jahre. Die Entscheidung der EU-Kommission ist pragmatisch und gewagt zugleich. Pragmatisch, weil Graphen als Wundermaterial der Zukunft gilt und große Forschungserfolge hier auf jeden Fall möglich erscheinen. Gewagt, weil das von Henry Markram geleitete Human Brain Project unter Hirnforschern und Informatikern durchaus umstritten ist. Die Unwägbarkeiten dürften größer sein als bei Graphen.

Graphen - hoffen auf das Wundermaterial

Das Wundermaterial Graphen hat bereits 2010 für Schlagzeilen gesorgt. Damals erhielten Andre Geim und Konstantin Novoselov für seine Entdeckung den Physiknobelpreis. Graphen ist eine besondere Form von Kohlenstoff. Es besteht aus einer einzigen Atomlage, in der die Atome eine sechseckige Wabenstruktur bilden.

Das Hightech-Material, das anfangs auf äußerst simple Weise mit Tesa-Klebeband hergestellt wurde, könnte eines Tages Silizium in der Halbleiterindustrie ablösen. Es ist flexibel und sehr robust, daher eignet es sich auch für biegsame Touchscreens. Auch der Bau neuartiger Batterien und leichterer Flugzeuge sollen mit dem Material eines Tages möglich sein.

Jari Kinaret von der Chalmers University in Göteborg leitet das Graphen-Projekt, an dem 126 Forschergruppen aus 17 europäischen Ländern beteiligt sind. In den ersten 30 Monaten des Forschungsprojekts fließen zunächst 54 Millionen Euro an das Projekt - genau die gleiche Summe wie an das Human Brain Project.

Human Brain Project - ungewisse Reise ins Gehirn

Henry Markram koordiniert die Gehirnsimulation - das zweite von der EU ausgewählte Flaggschiff. An der École Polytechnique Fédérale im schweizerischen Lausanne hat er bereits Teile eines Rattengehirns an einem Großrechner simuliert. Nun wagt er sich mit Dutzenden Forscherteams aus 23 Ländern Europas ans menschliche Gehirn.

Der Forschungsbedarf ist groß: Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson sind kaum verstanden. Auch wie Lernen funktioniert und wie Intelligenz entsteht, wissen Hirnforscher nur ansatzweise. Ziel des Human Brain Projects ist es, die Abläufe im Gehirn so detailliert wie möglich zu modellieren und dann quasi am Modell zu verstehen, wie das Gehirn funktioniert. Das soll auch mit spezieller Hardware, sogenannten neuromorphen Chips gelingen. Deren kleinste Bauteile sind elektronische Varianten von Neuronen und Synapsen.

Das Human Brain Project ist ambitioniert - nicht nur wegen des gewaltigen Rechenaufwands, den eine Gehirnsimulation erfordert. Noch weiß niemand, ob die Modellierung von Nervenzellen, wie sie Markram vorschlägt, alle erforderlichen Details enthält, um die Abläufe im Gehirn abbilden zu können. Sollte das Vorhaben gelingen, wäre es allerdings eine Sensation. Menschen könnten dann neuartige, intelligente Computer bauen.

Ziel ist die Weltspitze

Mit beiden Projekten verbindet die EU große Hoffnungen. Die Milliardenhilfen seien der "größte von der EU je für Forschungsprojekte verteilte Betrag", sagte Neelie Kroes, EU-Kommissarin für die Digitale Agenda. Die Finanzierung ist allerdings noch nicht endgültig gesichert, weil das Geld nicht nur direkt von der EU, sondern auch aus anderen Quellen fließen soll, etwa von privaten Initiativen oder aus dem Forschungsetat von einzelnen Staaten oder Organisationen.

Mit der Flaggschiff-Initiative will die EU Europa in der Entwicklung neuer Technologien an die Weltspitze bringen. "Europas Position als Supermacht des Wissens hängt davon ab, wie es uns gelingt, das Undenkbare zu denken und die besten Ideen zu verwirklichen", sagte Kroes. Das Projekt Graphen ist das Paradebeispiel dafür: "Graphen wird wahrscheinlich viele Materialien ersetzen", so Kroes auf der Pressekonferenz in Brüssel. "Das Graphen Valley in Europa kann der Nachfolger des Silicon Valley werden", betonte die Kommissarin. Die Frage sei nur, wo genau in Europa dieses Tal liegen werde.

Das Nachsehen haben nun jene vier Flaggschiff-Initiativen, die es im Finale nicht geschafft haben, darunter die ambitionierten Simulationen sozialer Systeme wie der Finanzmärkte (Future ICT ). Ziel von IT Future of Medicine  war eine Modellierung der molekularen Abläufe in menschlichen Zellen, um passgenau Medikamente entwickeln zu können, die zum Beispiel Krebs bekämpfen. In den beiden anderen nicht berücksichtigten Projekten sollten Roboter entwickelt werden, die den Menschen im Alltag begleiten (Robot Companions ) und Netze von Sensoren, die permanent medizinische Daten oder Schadstoffkonzentrationen erfassen (Guardian Angels ).

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