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Zucker-Alternativen Süßstoffe könnten Diabetes-Risiko erhöhen

Sie gelten als hilfreich gegen Übergewicht und Diabetes. Doch jetzt zeigt sich, dass künstliche Süßstoffe wie Aspartam und Saccharin ebenfalls den Blutzuckerspiegel bedenklich in die Höhe treiben können.
Von Nora Schultz
Süßes aus der Tüte: Zuckerersatzstoffe verändern die Darmflora

Süßes aus der Tüte: Zuckerersatzstoffe verändern die Darmflora

Foto: Jenny Kane/ AP/dpa

Kontroversen um künstliche Süßstoffe sind so zahlreich wie die Auswahl an den Zuckerersatzstoffen selbst. Weitgehend entkräftet ist mittlerweile die Sorge, dass normaler Süßstoffkonsum Krebs auslösen könnte. Zweifel hingegen, wie wirksam kalorienarmer Zuckerersatz wirklich vor Übergewicht und Diabetes schützen kann, tauchen immer wieder auf. Auch eine aktuelle Studie im Fachmagazin "Nature"  schürt erneut diese Bedenken. Denn zumindest bei Mäusen und bestimmten Testpersonen verschlechterten Süßstoffe den Stoffwechsel - teilweise noch deutlicher als Zucker.

Eran Elinav und seine Kollegen vom Weizmann Institute of Science untersuchten für ihre Studie Mäuse, denen sie Saccharin, Aspartam oder Sucralose in ihr Trinkwasser gemischt hatten. Sie beobachteten, dass die Mäuse innerhalb weniger Wochen schlechte Blutzuckerwerte entwickelten. Und zwar sehr viel schlechtere als die Tiere einer Vergleichsgruppe, die pures Wasser oder Zuckerwasser tranken.

Da die Forscher vermuteten, dass sich die Darmflora durch die Süßstoffe verändert, übertrugen sie Exkremente der mit Süßstoff-Wasser gefütterten Mäusen auf andere Mäuse, die keine eigene Darmflora hatten. Das Ergebnis: Auch bei diesen Mäusen stieg der Blutzuckerspiegel stark an. Nähere Untersuchungen ergaben, dass sich manche Arten von Darmbakterien vermehrt hatten, während andere seltener geworden waren.

Eine Genanalyse bescheinigte der veränderten Mikrobentruppe zudem andere Stoffwechselfähigkeiten: sie können Kohlenhydrate im Nahrungsbrei besser abbauen und entziehen ihnen so zusätzliche Energie, die über die Darmschleimhaut aufgenommen wird. Im Blut kommt dann pro Mahlzeit mehr Zucker an. Klingt erstmal gut, ist aber problematisch: Eine derart gut futterverwertende Darmflora kann zu Übergewicht und Stoffwechselproblemen beitragen.


Die Forscher sehen ihre These bestätigt und gehen davon aus, dass die Umbrüche im mikrobiellen Ökosystem des Darms der Schlüssel zur Wirkung der Süßstoffe sind. "Diese Ergebnisse sind sehr, sehr eindeutig", sagt auch Cathryn Nagler von der University of Chicago. Sie empfiehlt in einem begleitenden Kommentar im Fachmagazin "Nature" , die Zusammenhänge zwischen Darmflora, Stoffwechselkrankheiten und modernem "westlichen" Lebenswandel dringend näher zu untersuchen.

Schlechtere Blutzuckerwerte auch beim Menschen

Bleibt die Frage, wie übertragbar die Maus-Ergebnisse auf den Menschen sind. Naveed Sattar, Stoffwechselexperte von der Universität Glasgow ist vorsichtig: Im Gegensatz zu gezuckerten Getränken "gibt es für Light-Getränke in der aktuellen epidemiologischen Datenlage keinen eindeutigen Hinweis auf ein erhöhtes Diabetesrisiko".

Doch Elinav und sein Team haben eine Erklärung dafür. "Die uneindeutigen Ergebnisse bisheriger Beobachtungsstudien beim Menschen sind genau das, was man erwarten würde, wenn nicht alle Personen gleichermaßen empfindlich auf Süßstoff reagieren", sagt Elinavs Kollege Eran Segal. Daher unterzogen die Forscher sieben Testpersonen, die normalerweise keinen Süßstoff konsumieren, einem Versuch: Die Wissenschaftler gaben den Probanden eine Woche lang so viel Süßstoff, wie von der US-Lebensmittelbehörde FDA als Höchstwert empfohlen wird.

Bei vier Probanden verschlechterten sich die Blutzuckerwerte deutlich, und auch die Darmflora zeigte ähnliche Veränderungen wie bei den Mäusen - und zwar sogar so ähnlich, dass auch ein Transplantat menschlicher Darmbakterien bei keimfreien Mäusen die gleichen Stoffwechselsymptome auslöste. Interessanterweise ergab ein Vergleich der Darmflora zu Beginn des Süßstoff-Experiments, dass die vier betroffenen Versuchspersonen bereits vor dem Versuch eine andere Bakterienkomposition im Darm hatten als die drei Probanden, die nicht auf den Süßstoff reagierten. "Eine bestimmte Zusammensetzung der Darmflora kann also offenbar die Empfindlichkeit gegenüber Süßstoffen begünstigen", sagt Elinav.

Süßstoff oder lieber nicht?

Wünschenswert wäre ein Test, mit dem sich eine solche Empfindlichkeit bestimmen ließe. Zu kaufen gibt es so einen Test bislang noch nicht. Doch die aktuelle Studie ist Teil des größeren "Personal Nutrition Project" , von dem die Forscher erhoffen, dass es genau solche Vorhersagen langfristig möglich machen wird.

Bisher sind Elinav und seine Kollegen noch vorsichtig mit Empfehlungen, da auch die Gruppe ihrer Testpersonen sehr klein war. Keinesfalls könne man auf Grundlage dieser vorläufigen Ergebnisse neue Handlungsempfehlungen abgeben. Einen Zusammenhang zwischen Süßstoffkonsum, veränderter Darmflora und schlechten Blutzuckerwerten stellte das Team allerdings auch bei der Beobachtung einer größeren Gruppe von 381 Personen fest, die zu ihren Ernährungsgewohnheiten befragt worden waren.

Daher wünscht sich Elinav zumindest weitere Untersuchungen und eine neue Diskussion über Süßstoffe. "In keiner unserer Untersuchungen hatten Süßstoffe auch nur den Hauch eines positiven Effekts auf Tiere oder Menschen", sagt er. Wichtig wäre auch eine Untersuchung, ob sich ein negativer Effekt auf die Darmflora auch für andere Süßmittel wie Stevia oder Zuckeralkohole feststellen lässt, sagt Nagler.

Elinav hat aus seinen Ergebnissen allerdings schon seine persönliche Konsequenz gezogen: "Ich verzichte inzwischen sowohl auf Zucker als auch auf Süßstoff in meinem Kaffee."

GLOSSAR