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Die Deutschen gehen immer früher am Stock

Ursachen für vorzeitige Verrentungen Ursachen für vorzeitige Verrentungen
Ursachen für vorzeitige Verrentungen
Zwei von fünf Beschäftigten glauben, dass ihr Beruf krank macht. Gerüstbauer gilt als gefährlichster Beruf. Doch Ursache Nummer eins für Frühverrentungen sind psychische Störungen.

Fit in die Rente gehen und dann rüstig den Ruhestand genießen? Wer würde sich das nicht wünschen? Viele Deutsche sind allerdings skeptisch, dass sie das tatsächlich schaffen werden: Zwei von fünf Beschäftigten glauben, dass ihr Beruf für die Gesundheit schädlich ist. In einer Umfrage der Krankenversicherung DKV, die der „Welt“ exklusiv vorliegt, stimmten 38 Prozent der Befragten dem Satz zu: „Wenn man gesund bleiben will, sollte man meinen Beruf nicht bis zum Rentenalter ausüben“. 45 Prozent lehnten ihn ab.

Vor allem Arbeiter und Facharbeiter sind überzeugt, dass ihre Tätigkeit auf die Knochen geht: 51 Prozent von ihnen meinen, dass man ihren Beruf lieber nicht bis zum Rentenalter ausüben sollte, wenn man seine Gesundheit erhalten will. Bei den Beamten sind es 39 Prozent, bei den in der Wirtschaft Beschäftigten 36 Prozent.

Am zuversichtlichsten sind die Selbstständigen: Nur jeder vierte von ihnen hält die eigene Tätigkeit für gesundheitsgefährdend; 61 Prozent meinen, dies treffe auf sie nicht zu.

Etwas anders sehen die Ergebnisse aus, wenn es um die Frage geht, ob sich der Arbeitgeber mehr um die Gesundheit seiner Mitarbeiter kümmern sollte. Bei den Beamten finden 51 Prozent, dass ihre Organisation hier Nachholbedarf hat. Bei den Arbeitern sind es 44 Prozent, bei den Angestellten 39 Prozent. Immerhin: nur eine Minderheit glaubt, dass ihrem Arbeitgeber ihre Gesundheit egal sei. 57 Prozent widersprechen sogar entschieden.

2011 gingen 180.240 Beschäftigte früher in Rente

Die Umfrage wurde im Rahmen des DKV-Gesundheitsreports 2012 „Wie gesund lebt Deutschland“ erhoben. Die Zahlen beruhen auf den Antworten von mehr als 1700 Beschäftigten, die von der Konsumforschungsgesellschaft GfK befragt wurden.

Tatsächlich gibt es mehrere Erhebungen, die das subjektive Empfinden der Befragten zumindest in der Tendenz spiegeln: Demnach haben die Frühverrentungen unter Beschäftigten seit Mitte der 2000er Jahre zugenommen. Der Statistik der Deutschen Rentenversicherung (DRV) zufolge schieden 2011 rund 180.240 Menschen wegen Erwerbsunfähigkeit vorzeitig aus dem Berufsleben aus. Das war zwar ein leichter Rückgang gegenüber 2010, als noch 182.680 Menschen in Frührente gingen – aber doch deutlich mehr als im Jahr des Tiefststands 2005 mit damals 159.700 Frührentnern. Bis 2011 waren die Zahlen kontinuierlich gestiegen.

Hinweise darauf, welche Berufsgruppen besonders betroffen sind, gibt Versicherungsexperte Manfred Poweleit. In einer Studie aus dem Jahr 2009 führt er als „die gefährlichsten Berufe“ den Gerüstbauer, den Dachdecker und Bergleute an. Bei diesen drei Berufsgruppen bleibt nicht einmal jeder zweite Beschäftigte bis zum regulären Renteneintrittsalter gesund: 52,18 Prozent der Gerüstbauer kommen nicht regulär in die Altersrente, sondern beziehen vorher Erwerbsminderungsrente.

Physiker gilt als ungefährlichster Beruf

Bei Dachdeckern liegt die Quote bei 51,26 Prozent, bei Bergleuten bei 50,06 Prozent. Dahinter folgen Pflasterer (41,81), Fleisch- und Wurstwarenhersteller (41,77) und Estrich- (40,57) beziehungsweise Fliesenleger (39,98 Prozent). Als erster klassischer Frauenberuf wird die Krankenschwester auf Platz 16 geführt – hier beziehen 37,47 Prozent eine Erwerbsminderungsrente.

Als „den ungefährlichsten Beruf“ führt der Poweleit den Physiker an, weil in diesem Beruf im Untersuchungszeitraum 2007 bis 2009 nur 3,62 Prozent eine Erwerbsminderungsrente bezogen. Dahinter folgen Ärzte (4,1 Prozent) und Maschinenbauingenieure (4,62). Gymnasiallehrer stehen auf Platz 22 der ungefährlichsten Berufe (9,31 Prozent), Real-, Volks- und Sonderschullehrer auf Platz 24 (9,62 Prozent).

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Andererseits gehören gerade Lehrer zu den am stärksten vom Burnout betroffenen Berufsgruppen, wie der Freiburger Neurobiologe und Psychotherapeut Joachim Bauer ermittelt hat: Zwischen 20 und 30 Prozent hätten eine „signifikante stressassoziierte Gesundheitsstörung“. Dass das alles andere als harmlos ist, zeigt die Statistik der Deutschen Rentenversicherung: Psychische Störungen sind inzwischen die Ursache Nummer eins für eine Frühverrentung. Im Jahr 2011 gingen in 41 Prozent der Fälle Beschäftigte wegen psychischer Probleme in den Ruhestand.

Rentenkasse zahlt bei Erwerbsminderung kaum noch

Muskel- und Skeletterkrankungen waren in 14 Prozent der Fälle die Ursache für Frühverrentung, Krebs bei rund 13 Prozent, Herz-Kreislauferkrankungen in jedem zehnten Fall. Insgesamt muss fast jeder vierte Beschäftigte vorzeitig aus dem Berufsleben ausscheiden.

Auch deshalb empfehlen der Bund der Versicherten und der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) in seltener Einhelligkeit allen Beschäftigten, eine Berufsunfähigkeitsversicherung abzuschließen. „Wer wegen einer Krankheit nicht mehr arbeiten kann, dem drohen harte finanzielle Konsequenzen“, warnt Una Großmann vom GDV. „Wenn das Gehalt wegfällt, droht eine enorme Versorgungslücke, denn der Staat zahlt bei Erwerbsminderung nur noch ganz eingeschränkt.“

„Seit 2001 ist die gesetzliche Erwerbsminderungsrente nur noch sehr schwer zu bekommen und wenn, dann bekommt man daraus nur sehr wenig Geld. Zum Leben reicht das nicht“, pflichtet Thorsten Rudnik vom Bund der Versicherten (BdV) bei. Schon Auszubildende und Studenten sollten eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen.

Handwerker müssen oft Risikozuschlag zahlen

Je eher man sich einen Vertrag sichern kann, desto besser, denn die Aufnahmebedingungen sind oft hart: „Gerade bei handwerklichen Berufen kalkulieren die Gesellschaften einen Risikozuschlag ein“, so Rudnik. Und der sei oft so hoch, dass sich viele Arbeiter die wichtige Versicherung schlicht nicht leisten könnten.

Wer Vorerkrankungen hat, muss zudem mit Leistungsausschlüssen rechnen. „Dann reicht es schon, wenn man wegen einer Sportverletzung beim Physiotherapeuten war, dass der Versicherer für das Risiko von Erkrankungen am Bewegungsapparat einen Zuschlag auf den Beitrag verlangt oder diesen Bereich aus der Leistung ausschließt“, sagt Rudnik.

Mindestens genauso heikel ist alles, was auf psychische Angreifbarkeit hinweisen könnte. „Die Psyche ist für viele Unternehmen das K.o.-Kriterium.“ Empfehlen würde er den Versicherungsabschluss aber trotz aller Ausschlüsse, betont der Verbraucherschützer: „Auch junge Menschen können Multiple Sklerose oder Krebs bekommen.“ Und wer partout keine Versicherung bekommt, sollte eventuell rechtzeitig über eine Umschulung nachdenken.

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