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Die Geschichte vom "Suppenkasper" ist falsch

Moderne Suppenkaspar: Mama, das schmeckt mir nicht! Moderne Suppenkaspar: Mama, das schmeckt mir nicht!
Moderne Suppenkaspar: Mama, das schmeckt mir nicht!
Quelle: pa
Mäkelige Kinder treiben Eltern zur Verzweiflung – doch Ärzte beruhigen: Wochenlang nur Spaghetti zu essen, wirkt sich nicht negativ auf die Entwicklung aus.

"Herr Doktor, mein Kind isst so schlecht!" – dieser Satz gehört zu den häufigsten Klagen in der Praxis von Kinderärzten. Probleme beim Füttern von Babys, Appetitmangel und Mäkeligkeit bei kleineren Kindern sind weit verbreitet und können ganze Familien zur Verzweiflung treiben.

Dabei brauchen sich Eltern in aller Regel keine Sorgen um die Entwicklung ihres Kindes zu machen, ergab jetzt eine Langzeitstudie in Kalifornien: Selbst Kindern, die sich im zwei Jahre extrem einseitig ernähren, droht keineswegs das Schicksal des "Suppenkaspers" aus dem Struwwelpeter. Sie gedeihen trotzdem und werden vergleichbar groß und schwer wie unproblematische Esser.

Das Problem mit dem Essen beginnt meist schon beim Übergang von der Muttermilch oder vom Fläschchen zu Brei oder fester Kost: Das Kind wird "heikel", mag partout kein Gemüse, will nichts Neues ausprobieren, verlangt tagein, tagaus das gleiche Essen.

Die Mutter hat das Gefühl, dass ihr Kind zu wenig Nährstoffe bekommt, als es zum gesunden Wachstum bräuchte. Sie hat Angst um die Gesundheit des Kindes, macht sich Sorgen um seine Entwicklung und ist verärgert und genervt über den sich täglich wiederholenden Kampf am Mittagessentisch.

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Kinder mit einem "selektiven Essverhalten" (so der Fachterminus) werden im Amerikanischen "picky eaters" genannt. Der Arzt Anthony J. Mascola und seine Kollegen von der "Stanford School of Medicine" in Palo Alto in Kalifornien haben die Entwicklung derartiger Gewohnheiten bei 216 Neugeborenen verfolgt. Sie haben die Kinder bis zum Alter von sieben Jahren jährlich, danach mit 9,5 und 11 Jahren gemessen und gewogen und die Eltern nach den Essgewohnheiten befragt.

Die im Fachblatt "Eating Behaviors" publizierten Ergebnisse lassen eine enorme Häufigkeit der mitunter abstrusen Vorlieben und Abneigungen erkennen: Rund 40 Prozent aller Kinder wurden zu mindestens einem Zeitpunkt im Verlauf der Studie von ihren Eltern als "picky eater" beschrieben. Die Zahlen schwankten je nach Untersuchungsjahr zwischen 13 und 22 Prozent.

Die Konflikte bei Tisch sind leider oft von langer Dauer: Jedes zweite Kind (47 Prozent) hielt zwei Jahre oder länger an seiner Marotte fest. Viele der kleinen Tisch-Tyrannen hielten sich an drei der berüchtigten Murphy'schen Gesetze: 1. Wenn es süß ist, ist es "hmm!". 2. Wenn es grün ist, ist es "igitt". 3. Wenn es "gesund" ist – dann vergiss es!

Auch sonst können Kinder mit Essensmarotten unglaublich einfallsreich sein: Manche essen beispielsweise nur dann etwas, wenn der Fernseher läuft. Oder sie beharren darauf, dass der Vater mit am Tisch sitzt und ein blaues Hemd trägt, bevor sie bereit sind, einen Happen zu sich zu nehmen.

Andere wollen sich wochenlang nur von Spaghetti mit Butter ernähren und bekommen Wutanfälle, wenn die Eltern es wagen, ihnen etwas anderes anzubieten.

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Die für genervte Eltern wichtigste Erkenntnis aus der Stanford-Studie lautet aber: Über kurz oder lang holen sich Kinder doch die Nährstoffe, die sie brauchen. Es schadet ihnen offenbar nicht, wenn man ihnen ihre Lieblingsspeisen so lange vorsetzt, bis sie von selbst nach Abwechslung verlangen.

Die Untersuchung von kleinen "Suppenkaspars" oder Gemüse-Muffel beim Kinder- und Jugendarzt ergibt nämlich meist keinen Verdacht auf eine organische Störung, die Kinder haben ein normales Gewicht oder liegen nur knapp unter der Norm.

Es ist also ganz normal, wenn Kinder Vorlieben für und Abneigungen gegen bestimmte Speisen entwickeln. Gegen die sich kräuselnde Haut auf Milch oder Kakao zum Beispiel oder gegen den Fettrand am Fleisch. Die meisten Eltern selbst haben ihre Lieblingsgerichte und lehnen andere ab, ohne eigentlich sagen zu können, warum.

In vielen Fällen stellt sich auch heraus, dass die Eltern eines "schlechten Essers" sich in ihrer Kindheit genauso mäkelig verhalten haben. Ein kompliziertes Essverhalten scheint zu einem gewissen Maß also sogar in der Familie zu liegen.

  • Für den Umgang mit "picky eaters" hat sich nach Angaben der in München beheimateten "Stiftung Kindergesundheit" folgendes Verhalten bewährt:
  • Feste Mahlzeiten, in einen regelmäßigen Tagesablauf eingebettet, möglichst gemeinsam mit anderen Mitgliedern der Familie.
  • Keine Zusatzangebote zwischen den Mahlzeiten: Das Kind muss hungrig sein.
  • Essenszeiten und Spielzeiten müssen für das Kind verständlich und klar getrennt sein.
  • Berücksichtigung der Hunger- und Sättigungssignale des Kindes.
  • Bei deutlichem Verweigern eine freundliche Beendigung der Mahlzeit, ohne dabei dem Kind Vorwürfe zu machen oder Enttäuschung zu zeigen.
  • Will das Kind die Eltern provozieren oder wehrt das Essen ab, sollte man ihm die Aufmerksamkeit kurz entziehen. Bei Interesse am Essen und aktiver Teilnahme an der Mahlzeit reagiert man dagegen mit positiver Zuwendung.
  • Keine Ablenkung, Druck oder Zwang. Bitte kein Fernsehen beim Essen!
  • Bei Sorgen und Ängsten um das Gedeihen des Kindes den Kinder- und Jugendarzt zu Rate ziehen.

Je älter die kleinen Nahrungsverweigerer werden und je häufiger sie im Kindergarten oder in der Schule gemeinsam mit Gleichaltrigen essen, desto normaler werden ihre Essgewohnheiten.

Ansonsten sollten sich die Eltern darauf verlassen, dass der Organismus ihres Kindes selber weiß, wie viel und was es essen muss.

Die Geschichte vom "Suppenkaspar" nämlich, der seine Suppe partout nicht essen wollte und deshalb elendiglich zugrunde ging, ist schlicht falsch: Es ist noch niemals ein gesundes Kind freiwillig verhungert!

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