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Gesundheit Darmflora

Und zu welchem Darmtyp gehören Sie?

Im Darm tummeln sich von Mensch zu Mensch unterschiedliche Bakterienarten. Mit der Ernährung kann man das beeinflussen – Fleischesser brauchen andere Arten als Vegetarier.

Streng genommen bestehen wir Menschen nur sehr wenig aus "Mensch". Untersucht man unseren Körper näher, mit dem Mikroskop, so erinnert er eher an ein Hotel mit unzähligen Gästen, von denen der Portier kaum jemanden kennt. In unserer Mundhöhle leben beispielsweise bis zu eine Milliarde Einzeller, die von Essensresten leben.

Auf der menschlichen Haut fanden Forscher der New York University kürzlich 182 Bakterienarten, wobei in den feuchten Achselhöhlen mit etwa zwei Millionen Siedlern pro Quadratzentimer das mikrobiotische Leben geradezu tobt. Auch Haare sowie die feuchten Nasennebenhöhlen bergen "extrahumanes" Leben. Doch unübertroffen beherbergt unser Darm die meisten Mikroben: bis zu 100 Billionen, eine Zahl mit 14 Nullen.

Das Mikrobenheer im Unterbauch stellt damit weit mehr als die absolute Mehrheit, nämlich zehnmal so viele Einheiten, wie der Mensch an eigenen Zellen besitzt. Sicherlich, die Mitglieder der Darmflora sind winzig, viel kleiner als etwa eine durchschnittliche Leberzelle.

Aber in der Summe wiegen sie immerhin drei Kilogramm, und sie sind ja keine passiven Gäste auf Urlaub, sondern in permanenter Aktion. Und somit haben sie einen enormen Einfluss auf das Wohlbefinden ihres Wirtes. Allergien, Infekte, Arthritis, Übergewicht und selbst Autismus zeigen Zusammenhänge mit den Siedlern im Bauch.

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Kein Wunder, denn die gemeinsame Zeit des Menschen und seiner Darmflora begann vor ungefähr zwei Milliarden Jahren. Der Homo sapiens war zu diesem Zeitpunkt zwar noch in weiter Ferne, doch es war der Moment, in dem sich Einzeller zu komplexen Organismen verbündeten – und die wurden für umherstreifende und flexible Bakterien schon bald als neuer Lebensraum mit ergiebigem Nahrungsangebot entdeckt.

Ein Teil wurde zu Parasiten, die ihren Wirt einseitig und ohne Rücksicht ausnutzen. Andere hingegen waren rücksichtsvoller und gaben dem Wirt eine Gegenleistung zurück. Beispielsweise dergestalt, dass sie ihm bei der Verdauung helfen. Die Symbiose des Menschen und seiner Darmflora gehört zu den bewährten Erfolgsmodellen der Evolution.

Zudem sind wir dieser Symbiose nicht hilflos ausgeliefert: Denn wir können über die Ernährung unsere Darmflora stark beeinflussen. Die Partnerschaft zwischen Bakterie und Homo sapiens beruht auf einem Pakt, den der Mikrobiologe Gero Beckmann vom Institut Romeis in Bad Kissingen als Win-win-Situation beschreibt: "Der Mehrzeller bietet seinen mikrobiotischen Gästen Kost und Logis, und die stellen ihm dafür ihr Expertenwissen im Gebiet der Verdauung zur Verfügung."

Doch ein Mensch mit starkem Hang zu Fleisch braucht andere bakterielle Verdauungsexperten als jemand, der sich vegetarisch ernährt – und so variiert der sogenannte Enterotyp, wie Mikrobiologen die Zusammensetzung der Darmflora bezeichnen, je nachdem, was sein Herbergsvater zu sich nimmt.

Eine aktuelle brasilianisch-amerikanische Studie belegt, wie sensibel das Darmmilieu auf die Ernährung reagiert. Die Forscher hatten die Speisepläne von 98 Männern und Frauen erfasst und dann deren Stuhl auf DNA-Fragmente untersucht, um Aufschlüsse über ihre Enterotypen zu erhalten. Es zeigte sich: Je nach Ernährungsvorliebe gedeihen bestimmte Darmbakterien besonders gut, während andere ins zweite Glied zurückgedrängt werden.

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So dominiert in Vegetarierdärmen der Prevotella-Bakterienstamm, der sich auf den Abbau von Zucker-Protein-Komplexen sowie auf die Synthese von Folsäure und Thiamin (Vitamin B1) versteht. Die konkurrierenden Bacteroides schaffen es hingegen nur bei jedem zehnten Obst- und Gemüseliebhaber, eine Führungsrolle im unteren Verdauungstrakt einzunehmen.

Der Grund: Diese Mikroben sind auf die Energiegewinnung aus Mehrfachzucker, tierischen Eiweißen und gesättigten Fettsäuren spezialisiert. Davon gibt es im Bauch des Vegetariers allerdings nur wenige.

Allerdings produzieren Bacteroides-Arten große Mengen der Vitamine Biotin (B7), Riboflavin (B2), Pantothensäure (B5) und C. "Der Bacteroides-Enterotyp ist geradezu charakteristisch für den Fleischkonsumenten der westlichen Welt", erklärt Studienleiter Gary Wu von der Pennsylvania University in Philadelphia.

Denn Fleischesser müssen nicht nur gesättigte Fette und tierische Eiweiße gut verdauen, sondern auch Vitamin C in Eigenregie herstellen können, denn das findet man bekanntlich nur in Obst und Gemüse, die bei ihnen eher selten auf den Tisch kommen.

Am häufigsten, mit bis zu 70 Prozent, wird der menschliche Darm von Ruminococcus-Bakterien dominiert. Man findet sie auch billionenfach im Pansen und Darm einer Kuh, was bereits deutlich macht, worin ein wesentlicher Sinn ihres Daseins besteht: nämlich im Verdauen pflanzlicher Hartfasern, also der Zellulose. Was aber nicht heißen soll, dass die meisten Menschen sozusagen verhinderte Wiederkäuer sind, die eigentlich auf Gräser, Vollkornprodukte und andere hartfaserige Nahrungsmittel geeicht sind.

Denn eine große Stärke der Ruminococcen besteht auch darin, dass sie die bei der Proteinverdauung anfallenden Zuckermoleküle gut verwerten können. Für Allesesser sind sie also genauso nützlich wie für Wiederkäuer.

Aber lassen sich bei einem Menschen, der beispielsweise einen Vitamin-B-Mangel hat, durch Nahrungsumstellung kurzfristig mehr Bacteroides beheimaten? Zur Beantwortung dieser Frage kredenzten Forscher um Gary Wu zehn Probanden zur einen Hälfte eine Kost aus viel Fett und wenig Ballaststoffen und zur anderen Hälfte aus wenig Fett und vielen Ballaststoffen.

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Die gute Nachricht: Die Probanden bekamen keine Verdauungsprobleme, wer als ursprünglicher Fleischesser viele Ballaststoffe aß, entwickelte sogar eine deutlich zügigere Verdauung. Allerdings zeigte sich das Darmmilieu selbst zehn Tage nach der Nahrungsumstellung unbeeindruckt. "Die Enterotypen blieben so, wie sie waren", bilanziert Wu. "Sie werden offenbar nur durch langfristige Diäten geprägt."

Wer langfristig etwas an dem Leben in seinem Darm ändern will, darf also nicht ungeduldig sein. Aber diese Geduld könnte sich durchaus lohnen. Denn die Darmflora prägt, eben weil sie nicht zu den körpereigenen Zellen gehört, in entscheidender Weise das menschliche Immunsystem.

So entdeckte man an der Yale University im amerikanischen New Haven, dass sich ein Grippevirus im Organismus deutlich schneller vermehrt, sofern im unteren Verdauungstrakt bestimmte Bakterien fehlen. Der Grund: Sie lösen über ihre Enzyme jene Entzündungen aus, die das Virus in seine Schranken weisen könnten.

Auch Autoimmunerkrankungen wie multiple Sklerose, Morbus Crohn, Colitis und Arthritis, bei denen sich die Immunabwehr gegen den eigenen Körper richtet, zeigen einen Zusammenhang mit dem Darmmilieu. So fanden Forscher der New York University im Darm von Rheumatikern ein deutliches Übergewicht an Bakterien des Prevotella-Stammes. "Sie machten etwa 38 Prozent der Darmflora aus", erklärt Studienleiter Jose Sher. Normal wären weniger als zehn Prozent.

Ein erstaunlicher Befund, da Rheuma häufig als typische Folge einer fleischreichen Ernährung betrachtet wird, und die Prevotella-Bakterien passen ja eigentlich eher zu Vegetariern. Doch prinzipiell ist es auch möglich, dass ihre Dominanz ja nicht die Ursache, sondern die Folge der Erkrankung ist.

An der Columbia University in New York entdeckte man bei Autisten ein deutliches Defizit an Bacteroides-Stämmen im Darm, die sogenannten Firmicuten hingegen waren deutlich überrepräsentiert. Auch bei übergewichtigen Menschen fand sich diese Konstellation.

Möglich also, dass auch zwischen Darmflora, Fettleibigkeit und Autismus Zusammenhänge bestehen. Dies würde bedeuten, dass man Übergewichtigen eine harte Diät ersparen könnte, indem man ihren Speiseplan so umstellt, dass ihr Darm umbesiedelt würde. Bis jedoch derartige Therapien reif sind für den medizinischen Alltag, muss noch viel geforscht werden.

Aber was ist nun mit den angeblich hochgelobten Milchsäurebakterien, die ja so gut für die Darmflora sein sollen? Ihretwegen schützen Joghurt, Kefir und andere probiotische Lebensmittel angeblich vor diversen Erkrankungen. Doch Mikrobiologe Beckmann, der schwerpunktmäßig zur "Mikroökologie des Darmes" forscht, ist skeptisch: "Wenn ich oben eine probiotische Kultur hineingebe, heißt das nicht, dass sich unten etwas an der Flora ändert."

Denn ein Billionenheer im Darm lasse sich nicht von ein paar versprengten Truppen aus dem Joghurtbecher beeindrucken. "Nichtsdestoweniger können probiotische Kulturen im Dünndarm für einen Reiz am Immunsystem und dadurch indirekt für eine Verschiebung im Darmmilieu sorgen", sagt Beckmann. Wie man diese in die erwünschte Richtung dirigiert, sei eine ernährungsmedizinische Kunst "und kein Fall für das Supermarktregal".

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