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In Zukunft kommen Organe aus dem Drucker

In Japan wird bereits mit dem Verfahren experimentiert: Mit einem Drucker werden Zellen punktgenau positioniert. In 20 Jahren sollen so Herzen entstehen In Japan wird bereits mit dem Verfahren experimentiert: Mit einem Drucker werden Zellen punktgenau positioniert. In 20 Jahren sollen so Herzen entstehen
In Japan wird bereits mit dem Verfahren experimentiert: Mit einem Drucker werden Zellen punktgenau positioniert. In 20 Jahren sollen so Herzen entstehen
Quelle: Florence Bouchain
In Industrienationen ist jeder Fünfte über 65 Jahren auf ein neues Organ angewiesen. Diese sollen in Zukunft Lage für Lage in 3-D gedruckt werden.

"Der Gedanke an das Auge lässt mich am ganzen Körper erschauern", sagte Charles Darwin. Und in der Tat: Es ist faszinierend, wie sich beim menschlichen Embryo das unglaublich komplizierte Sehorgan ausbildet. Erst stülpt das Hirn eine Augenblase heraus, die sich dann dort, wo sie die Außenhaut berührt, verdichtet und nach innen eindellt.

Dadurch schiebt sich das Linsenbläschen nach vorn – und in Richtung Hirn der Augenbecher samt Netzhaut, jenes mehrschichtige Gewebe aus Sinnes- und Ganglienzellen, das aus dem Menschen eigentlich erst einen Sehenden macht. Ein genialer Schöpfungsakt der Natur. Und doch ist es jetzt japanischen Forschern gelungen, ihn im Labor nachzustellen.

Das Team vom Riken-Center for Developmental Biology in Kobe war selbst überrascht, wie problemlos man die Stammzellen von Mäusen mit Hilfe eines richtigen Umgebungsmilieus dazu bringen kann, sich selbsttätig zu einem sehfähigen Augenbecher zu organisieren. "Denn dies galt bisher, allein schon wegen des komplizierten Aufbaus der Netzhaut, als unmöglich", betont Studienleiter Yoshiki Sasai.

Zwar enthalten Stammzellen prinzipiell alle notwendigen Informationen, um ein Organ auszubilden, doch man muss ihnen den Weg dazu zeigen. In der Natur geschieht das unter anderem durch das Nachbargewebe, wie etwa Haut und Knochen. Doch die gibt es im Labor nicht.

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Also badeten die japanischen Forscher ihre Stammzellkulturen in einer Interzellularsubstanz aus Mehrfachzucker und Proteinen, die normalerweise im Körper wie ein Klettergerüst dafür sorgen, dass Zellen überhaupt in drei Dimensionen wachsen können. Es funktionierte: In den japanischen Bioreaktoren wuchsen Augenbecher heran, fast so gut, wie die natürlichen. Mit einer Netzhaut aus allen möglichen Nervenzelltypen, die auch noch in der richtigen Reihenfolge angeordnet waren. Und das nur, weil man die Stammzellen in der richtigen Wachstumslösung eingelegt hatte. Weswegen Sasai vermutet, dass die Netzhautzellen einem ausgeklügelten inneren Regelwerk folgen, das nur eines leichten Anstoßes bedarf, um aus seinem Schlummer zu erwachen.

Klar, es ist noch ein weiter Weg vom Labor über die Maus zum Homo sapiens. Doch die japanischen Augenimitate sind nur vorläufige Höhepunkte des sogenannten Tissue-Engineerings, das nicht weniger im Sinn hat, als für den Menschen ein komplettes Ersatzteillager zu schaffen.

Gleichgültig, ob der Alkoholiker eine neue Leber, der EHEC-Patient eine neue Niere oder der Selbstmordkandidat nach dem Schlucken eines Rohrreinigers eine neue Luftröhre braucht. "In den Industrienationen ist etwa jeder fünfte 65jährige irgendwann auf eine neues Organ angewiesen", erklärt Biotechnologe Ali Khademhosseini von der amerikanischen National Academy of Science, "und ohne Tissue-Engineering lässt sich dieser Bedarf unmöglich decken".

Organersatz versus Organspender

Allein in Deutschland bräuchte man für Transplantationen 900 Herzen, 1100 Lebern und 3500 Nieren pro Jahr, doch auf eine Millionen Einwohner kommen gerade mal 15 potenzielle Organspender. Und dies ist nur ein zahlenmäßiger Beleg für die Notwendigkeit menschlicher Labororgane. Für sie spricht auch, wie Khademhosseini betont, "dass sie nebenwirkungsärmer sind als der konventionelle Organersatz". Denn ein Organ aus der Retorte kann man immunologisch exakt auf den Empfänger zuschneiden, während man bei Transplantationen von einem Menschen zum anderen immer auch mehr oder weniger heftige Abstoßungsreaktionen bekämpfen muss.

Ihre erste große öffentliche Aufmerksamkeit erntete das Tissue-Engineering im Jahre 1995, durch die berühmte "Ohr-Maus" aus den USA. Die Brüder Jay und Chuck Vacanti von der Harvard-Universität in Cambridge hatten Knorpelzellen aus Rindern isoliert und sie in ein abbaubares Polymergerüst gesät, das die Form eines menschlichen Ohrs hatte. Das Skelett löste sich auf, und was blieb, war eine humanoide Ohrmuschel aus Rinderzellen, die man auf dem Rücken einer Maus verpflanzte.

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Der umgerüstete Nager bekam noch den Phantasienamen "Auriculosauris", und dann ging sein Foto um die Welt. Die Hoffnungen in Tissue-Engineering und Transplantationsmedizin wuchsen daraufhin ins Unermessliche. Schon bald, so dachte man, würde man auch echte menschliche Organe im Bioreaktor heranzüchten und anschließend transplantieren können.

Doch so weit ist es noch nicht. Denn Knorpel bestehen nur aus einer Zellart, und sie sind nicht durchblutet und ihnen bleiben keine Narben, sofern man ihn mal mit dem Skalpell verletzen sollte. Weswegen in Deutschland auch schon mehrere hundert Zuchtknorpel jährlich verpflanzt werden, beispielsweise zur Ausbesserung von Gelenkschäden. Und für einfache Organe wie Harnröhren und Harnblasen gibt es bereits ähnliche Erfolge. Die Fachzeitschrift "Lancet" berichtet aktuell von fünf mexikanischen Jugendlichen, die mit Harnröhren aus körpereigenem Gewebe versorgt wurden und sechs Jahre später immer noch damit leben.

Künstliche Blutgefäße für den Bypass

Für Leber, Lunge und Muskeln gelten jedoch andere Maßstäbe. Sie bestehen aus unterschiedlichen Zelltypen und müssen mit einem verzweigten Adersystem ausgestattet sein, das sie ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. "Die Herstellung funktionstüchtiger, kompletter Organe bleibt die größte Herausforderung der Transplantationsmedizin", gesteht Khademhosseini. Doch jetzt gibt es auch hier konkrete Perspektiven.

So gelang an der Yale University in Connecticut die Zucht größerer Blutgefäße, indem man abbaubare Gerüststrukturen mit adertypischen Wand- und Muskelzellen besprühte und sie dann einem pulsierenden Flüssigkeitsstrom aussetzte, um sie für den rhythmischen Blutfluss im Körper fitzumachen.

Auf diese Weise erhielt man robuste und austrainierte Blutgefäße, die man nicht nur für Bypässe verwenden, sondern auch in größere Gewebekonstruktionen einbauen könnte, um deren Versorgungsproblem zu lösen.

Der japanische Forscher Makoto Nakamura setzt hingegen auf Organe aus dem Tintenstrahldrucker. Denn diese Geräte, so das Argument des Biotechnologen von der Toyama University, "können hochaufgelöste Bilder drucken, also können sie auch verschiedene Zelltypen exakt positionieren".

Das Prinzip: Statt mikroskopisch kleiner Tintentröpfchen spritzt der Drucker sekündlich Tausende menschlicher Zellen aus seinem Druckkopf, Schicht für Schicht, inklusive versorgender Blutgefäße, bis ein dreidimensionales Organ entstanden ist. In 20 Jahren sollte es möglich sein, verspricht Nakamura, ein komplettes Herz per Drucker herzustellen.

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Klingt utopisch, doch dem "Bioprinting" scheint tatsächlich die Zukunft zu gehören. Internationale Kongresse und weltweite Forschungsarbeiten zu ihm dokumentieren, dass es weit mehr ist als eine Außenseitermethode. An der Cornell University kommen bereits die ersten – allerdings noch synthetischen – Herzklappen aus dem Drucker, und an den deutschen Fraunhofer-Instituten arbeitet man mit 3-D-Inkjet-Printern an der Herstellung von Blutgefäßen.

Adern aus dem 3-D-Drucker

Das Forscherteam um den Stuttgarter Chemiker Günter Tovar kombiniert dabei die etablierte Drucktechnik mit der so genannten Multiphotonenpolymerisation. Das heißt: Die vom Printer aufgetragenen Schichten - sie bestehen zunächst aus Kunststoff - werden zusätzlich mit intensiven Laserimpulsen bestrahlt, die das Material polymerisieren und dadurch gleichzeitig fest und elastisch machen. Genauso eben wie ein Blutgefäß im richtigen Leben.

Wenn die Röhren schließlich "gedruckt" sind, werden sie mit Heparin und anderen Ankerproteinen ausgekleidet, damit sich dort echte Endothelzellen ansiedeln können, wie man sie sonst von den Innenwänden der Blutgefäße kennt. "Diese Auskleidung ist wichtig", erklärt Tovar, "damit die Bestandteile des Blutes nicht kleben bleiben". Nur wenn es gelingt, die Innenwände der Laborgefäße komplett mit lebenden Endothelzellen auszukleiden, könne man sie später auch implantieren.

Am Ende, so die Hoffnung der Forscher, könnte man mit ihren Gefäßen aus dem Drucker einen per Tissue-Engineering gezüchteten Muskel – also auch einen Herzmuskel – mit Blut versorgen. Der taugt dann wohl noch nicht zur Transplantation, aber dafür durchaus für Testzwecke im Labor.

Womit man bei einem weiteren wichtigen Argument für die Organe aus der Retorte ist: Dass man sie nämlich als Testobjekte für Strahlen und chemische Substanzen nutzen und sich dadurch Tierversuche ersparen kann. Wenn man die Nebenwirkungen eines Insektizids an humanen Labororganen ausprobieren kann, muss keine Maus mehr ihr Leben dafür lassen.

Dieses Ziel verfolgt auch die "Hautfabrik", die jetzt am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik eingerichtet worden ist. Dort sollen demnächst monatlich 5000 menschliche Hautstücke in Daumennagelgröße vom Band laufen. Je nach Bedarf weiß oder auch mit einem bräunlichen Teint, und der Verkaufspreis ist auf 50 Euro das Stück taxiert.

Was natürlich schon nach Industrieproduktion und großem Business klingt. Doch Leiterin des Projekts ist die Würzburger Biologin und Regenerativmedizinerin Heike Walles – und sie ist seit dem Juni 2010 Mitglied des Deutschen Ethikrats.

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