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Gesundheit Diätmittel Sensa

Das Märchen vom schlank machenden Wunderpulver

Ein neues Diätpulver soll das Sättigungsgefühl täuschen und Pfunde schmelzen lassen Ein neues Diätpulver soll das Sättigungsgefühl täuschen und Pfunde schmelzen lassen
Ein neues Diätpulver soll das Sättigungsgefühl täuschen und Pfunde schmelzen lassen
Quelle: pa/pa
Ein neues Pulver wird als Wundermittel angepriesen: Einfach wie Salz aufs Essen streuen – und schon sollen die Pfunde purzeln. Doch Forscher warnen.

Nach den Festtagen kneift bei vielen der Hosenbund. Wenn reuige Sünder in Diätforen nun nach Mittelchen fahnden, um die Pfunde loszuwerden, stoßen sie neuerdings auf Sensa. Wie Salz oder Pfeffer wird das Abnehmpulver über jede Mahlzeit gestreut, es soll schneller satt und langfristig schlank machen, heißt es.

Erfinder von Sensa ist Alan Hirsch, Neurologe und Leiter einer Stiftung zur Erforschung von Geruchs- und Geschmackssinn in Chicago. Er geht davon aus, dass das Sättigungsgefühl nicht nur über den Magen, sondern auch über die Nase gesteuert werden wird.

Hirschs These: Eine Gewichtsabnahme kann über den Geruchssinn gefördert werden. Denn die durch die Nase und den Mund aufgenommenen Aromen können dem Gehirn signalisieren, früher satt und zufrieden zu sein.

Seit 2009 wird das Produkt in den USA vertrieben, seit kurzem ist es auch in Deutschland erhältlich. Hirsch will bewiesen haben, dass eine Reihe von Aromen das Sättigungszentrum im Gehirn beeinflussen. 1436 übergewichtige Probanden, mehrheitlich Frauen (87,4%), haben das Streu-Pulver über einen Zeitraum von sechs Monaten getestet.

Angeblich Gewichtsverlust von 2,3 Kilogramm pro Monat

Studienteilnehmer behielten ihre Lebensgewohnheiten bei, verzehrten während des Erhebungszeitraums ausschließlich Mahlzeiten, die mit monatlich wechselnden Duftkristallen für süße und salzige Gerichte bestreut wurden.

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Der Gewichtsverlust pro Monat soll 2,3 Kilogramm betragen haben. Hirschs Fazit: Sensa-Aromen hätten den Sättigungsprozess beschleunigt und dazu geführt, dass Teilnehmer rechtzeitig aufhörten, zu essen.

Der Markt der Abnehmmittel ist unübersichtlich, mit unzähligen Präparaten buhlen Hersteller um Kunden. Renommierte Ernährungswissenschaftler warnen, dass Anbieter eher die eigenen Kassen füllen als Menschen zum Gewichtsverlust verhelfen. Diät- wie Duftforscher reagieren erwartungsgemäß verhalten, wenn sie nach Sensa befragt werden.

Professor Hans Hauner vom Else Kröner-Fresenius-Zentrum für Ernährungsmedizin der TU München stört sich vor allem an den Studien, die Hirsch als Beleg anführt. „Sie zeigen lediglich, dass Gerüche oder Aromen das Verhalten beeinflussen, aber sie zeigen wenig Bezug zur Gewichtsabnahme“, sagt Hauner.

Es sei unklar, ob Originaldaten eingereicht wurden, ebenso undurchsichtig bleibe, wer an der Studie teilgenommen habe. „Bei einer solch euphorischen Diktion erwarte ich eine detaillierter Darstellung der Vorgehensweise und Methoden“, sagt Hauner.

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Auch in diversen Abnehm-Foren wird Sensa kontrovers diskutiert. Kunden bemängeln unseriöse Abrechnungspraktiken und Wirkungslosigkeit der Streu-Diät, bei einigen hat das Pulver offenbar auch allergische Reaktionen und Übelkeitsgefühle hervorgerufen.

Auch der Blick auf die Inhaltsstoffe ist enttäuschend und erklärt keineswegs den monatlichen Preis für zwei Streuer von 60 Euro. Die „geschmacks- und kalorienarmen Duftkristalle“, mit denen Sensa wirbt, sind in vielen Lebensmitteln zu finden.

Risiko für Allergiker

Etwa Maltodextrin, ein aus Mais gewonnenes Bindemittel. Ein üblicher Trägerstoff, der dafür sorgt, dass das Produkt eine pulverartige Substanz bekommt und tatsächlich Allergikern Probleme bereiten kann. Außerdem Tricalciumphosphat, ein Salz, das aus Kalzium und Phosphat auch in vielen Getränken, etwa in Cola vorkommt.

Hans Hatt ist seit 1992 Professor an der Fakultät für Biologie und Inhaber des Lehrstuhls für Zellphysiologie an der Ruhr-Universität Bochum. Der Riechforscher kennt Alan Hirsch von Fachtagungen in den USA, seine wissenschaftliche Expertise in der Grundlagenforschung hält er für begrenzt.

Hirsch publiziere weniger in hochkarätigen Fachzeitschriften, umso mehr habe er sich der angewandten und kommerziellen Schiene verschrieben, sagt Hatt. Eine Reihe von Produkten stammt aus seinem Labor, die, wie nun auch Sensa, über Apotheken, Internet oder Verkaufssender vermarktet und für viel Geld verkauft werden. Er erinnert sich noch gut an das Parfum, das einen speziellen Duft versprühen soll, welcher einen jünger und leichter wirken lassen soll.

An einer langfristigen Wirkung von Sensa auf die Gewichtsreduktion zweifelt Professor Hatt. „Die Idee ist uralt“ sagt er. Wer Essensgeruch länger oder intensiver wahrnehme, könne davon zwar ein kurzfristiges Sättigungsgefühl bekommen, später komme der Appetit aber meist umso stärker.

Ähnliches Produkt floppte bereits

„Das Hungergefühl ist sehr komplex, es wird über viele Sensoren gesteuert, der Duft ist nur eine davon“, sagt er. Das Hunger- und Sättigungszentrum im Gehirn werde auch über Kauen, Zuckergehalt im Blut, Magenfüllung, Schluck- oder Darmbewegung gesteuert.

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Hatt verweist auf den Flop eines ähnlichen Produkts, das amerikanische Duftforscher vor zehn Jahren erfanden. Eine Spraydose, die in Mund und Nase Geruch und Geschmack von Popkorn und Schokolade freisetzte. „Das reichte nicht aus, um die Lust auf diese Dinge zu befriedigen und macht auch nicht satt“, sagt Hatt.

„Wer sein Gewicht dauerhaft reduzieren will, muss seine Ernähung umstellen und sich sportlich betätigen“, betonen sowohl der Biologe und Mediziner Hatt und auch Ernährungsforscher Hauner. Genau darin liege auch das wichtigste Hauptargument gegen Sensa und sämtliche andere Appetitzügler, Diätpillen oder Eiweißpulver.

Der Mensch mache sich keine Gedanken, wo er falsch und zuviel esse. Schlechte Gewohnheiten bleiben erhalten. Das Pulver führe eher zu einer Abhängigkeit von Diätmitteln.

Was tatsächlich beim Abnehmen hilft

Wer nach der Schlemmerei die angefutterten Kilos wieder loswerden möchte, dem rät der Stoffwechselexperte Michael Boschmann von der Charité in Berlin, besonders auf den Fett-, Zucker- und Salzgehalt der Mahlzeiten zu achten.

Fettreiche Mahlzeiten werden „schnell und einfach in den Fettdepots gespeichert“, so Boschmann. Auch das richtige Trinkverhalten kann helfen: Anstelle von Fruchtsäften (der Zucker- und Kaloriengehalt gleicht dem von Softdrinks) Schorlen trinken.

Untersuchungen von Boschmann ergaben: Auf nüchternen Magen erhöht Wasser den Energieumsatz um etwa 30 Prozent und wirkt so als Stoffwechselaktivator.

Wichtig sei, auf genügend Bewegung zu achten und „Genussmittel wieder beim Wort zu nehmen“, es nicht mit Süßigkeiten und Alkohol zu übertreiben – sie sich aber auch nicht zu verbieten. Denn: „Verbote bringen gar nichts. Höchstens Frust.“

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