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Gesundheit Demenz

Hoher Blutdruck steigert Risiko für Alzheimer

Chefkorrespondent Wissenschaft
Erst will Neues nicht mehr so leicht im Gedächtnis bleiben. Dann funktioniert das Multitasking nicht mehr. Die wichtigsten Fragen zur Alzheimer-Erkrankung.

Alzheimer ist die gefürchtete Krankheit des Vergessens. Ins öffentliche Bewusstsein rückt die Krankheit vor allem dann, wenn bekannte Persönlichkeiten daran leiden. In seinem Buch „Wie ausgewechselt – Verblassende Erinnerungen an mein Leben“ bekennt jetzt der frühere Manager von Schalke 04, Rudi Assauer , seit Jahren daran erkrankt zu sein. Experten beantworten die wichtigsten Fragen: die Charité-Professorin Elisabeth Steinhagen-Thiessen, Dr. Elisabeth Stechl vom Evangelischen Geriatriezentrum Berlin und Rosemarie Drenhaus-Wagner, Vorsitzende der Alzheimer Angehörigen-Initiative .

Welt Online : Wie viele Menschen leiden hierzulande an einer Demenz?

Steinhagen-Thiessen : In Deutschland sind rund 1,3 Millionen Menschen von Alzheimer oder einer anderen Demenzerkrankung betroffen. Experten schätzen, dass sich diese Zahl bis 2050 annähernd verdoppeln wird. Alzheimer ist nur eine Unterform von Demenz. Es gibt viele andere Formen. Eine große Rolle spielt auch die vaskuläre Demenz, die durch Gefäßveränderungen im Gehirn hervorgerufen wird. Typisch für Alzheimer sind hingegen Ablagerungen im Hirn, die Plaques.

Welt Online : Ist Demenz heilbar?

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Steinhagen-Thiessen : In den meisten Fällen nicht. Aber es gibt Medikamente, die den Verlauf der Krankheit mindestens um ein Jahr verzögern können, sodass die Phase der Pflegebedürftigkeit entsprechend später beginnt. Gleichwohl eröffnet eine frühe Diagnose die Chance, sich auf die Demenz rechtzeitig vorzubereiten, etwa Vorsorgevollmachten auszustellen.

Welt Online : Was sind die ersten Symptome?

Stechl : Im Frühstadium können neue Informationen nicht mehr so gut behalten werden. Man vergisst Gesprächsinhalte, Termine und womöglich auch die Einnahme wichtiger Medikamente. Es ist nicht nur das Gedächtnis betroffen, sondern auch die Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit. Das hat zur Folge, dass man Tätigkeiten, die man früher problemlos zeitgleich erledigen konnte, nur nacheinander machen kann. Auch das Denkvermögen ist betroffen. Es beginnt damit, dass komplexere Zusammenhänge nicht mehr so schnell erfasst werden können. Mit zunehmender Demenz wird es schwieriger, den Überblick zu behalten. Das macht sich bei geschäftlichen Angelegenheiten bemerkbar. Es kommt zu Problemen bei der zeitlichen und räumlichen Orientierung. Betroffene können sich nicht mehr so gut in neuen Umgebungen zurechtfinden, etwa im Urlaub. Man muss immer vergleichen, was konnte die Person vorher und was kann sie nun nicht mehr. Das ist ganz wichtig für die Diagnostik. Die genannten Defizite führen dazu, dass die Betroffenen immer weniger aktiv sind. Nach außen wirkt das oft so, als wollten sich diese Menschen zurückziehen. Viele reagieren auf ihre nachlassenden Fähigkeiten mit Depressionen; manche auch gereizt. Von den ersten Symptomen bis zur schweren Demenz können zehn Jahre und mehr vergehen.

Drenhaus-Wagner : Wenn erste Defizite auftreten, muss man genau schauen, ob diese eine Alltagsrelevanz haben. Im frühen Stadium, das sind durchaus drei bis vier Jahre, ist eine selbstständige Lebensführung mit Unterstützung durchaus möglich. Man muss nicht alles auf einmal aufgeben, nur weil Demenz diagnostiziert wurde.

Welt Online : Gibt es Präventionsmöglichkeiten?

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Steinhagen-Thiessen : Ja. Der Blutdruck spielt eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Demenz. Mehrere große Studien haben gezeigt, dass ein zu hoher Blutdruck nicht nur das Risiko für eine vaskuläre Demenz steigert, sondern auch das Risiko für Alzheimer. Weitere Risiken sind Diabetes oder zu hohes Cholesterin. All das lässt sich gut behandeln. Man muss es nur tun. Professor Verena Stangl von der Charité hat die Wirkung des grünen Tees erforscht und gefunden, dass er eine vorbeugende Wirkung bei Demenz haben kann.

Welt Online : Warum werden Demenzen selten im Frühstadium diagnostiziert?

Stechl : Ein Grund liegt in den Betroffenen selbst. Gedächtnisstörungen werden von ihnen oft auf das Alter zurückgeführt und als normal eingeschätzt. Altersbedingte Einschränkungen wirken sich nie auf die Selbstständigkeit im Alltag aus. Meine Studien haben gezeigt, dass Menschen beim Wort Demenz an fortgeschrittene Demenz-Patienten denken, die im Nachthemd durch Straßen irren. Wenn jemand leichte Symptome bei sich beobachtet, kann er das nicht mit dem Bild in Einklang bringen, das er von Demenz hat. Das ist eine Barriere für die Früherkennung. Betroffene haben Angst vor der Konfrontation mit ihren Fehlern und ihrem Unvermögen. Schamgefühl und Ohnmacht führen dazu, dass sie Defizite verleugnen oder verbergen. Sie haben Angst, ihren Lebensstil aufgeben zu müssen, sowie Angst vor Kontrollverlust und drohender Entmündigung. Ihre Gegenstrategie besteht oft darin, sich und anderen beweisen zu wollen, was sie noch können. Wenn sie sich dann partout nicht helfen lassen wollen, führt dies zu den typischen Konflikten mit den Angehörigen. Wenn Außenstehende ihre Ängste besser verstehen, können sie mit Umgangsstrategien den Leidensdruck und das Konfliktpotenzial lindern.

Welt Online : Was bringt die frühe Diagnose?

Stechl : Es gibt viele nicht-medikamentöse Strategien, die den Verlauf der Krankheit positiv beeinflussen. Wenn Angehörige, Betroffene und Ärzte an einem Strang ziehen, dann ist Lebensqualität trotz Demenz möglich. Eine frühe Diagnose ist wichtig, damit Betroffene Entscheidungen zu medizinischen und pflegerischen Maßnahmen eigenständig treffen können. Stichworte sind hier Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht. Das können Menschen mit einer frühen Demenz noch verfügen. Mit einer mittelschweren Demenz ist der Betroffene aber nicht mehr geschäftsfähig. Eine frühe Diagnose ist ganz besonders wichtig bei alleinstehenden Menschen, damit die notwendig werdende Hilfe organisiert werden kann – etwa die Medikamenteneinnahme durch einen ambulanten Pflegedienst oder Hilfe bei Behördengängen durch einen Sozialarbeiter.

Welt Online : Ist das Lösen von Kreuzworträtseln eine sinnvolle Prävention?

Stechl : Wer einen geistig anspruchvollen Beruf hat, muss nicht noch Kreuzworträtsel lösen. Lebenslanges Lernen beugt sicherlich Demenzerkrankungen vor. Es ist auch nicht schlecht, noch mit 60 ein Musikinstrument zu erlernen oder einen Tanzkurs zu besuchen. Das alles fördert das Gehirn und ist nicht nur gut zur Prävention – es kann auch den Verlauf von Demenzerkrankungen verzögern. Wenn man bereits eine Demenz hat, bringt es gar nichts, stur Zahlen auswendig zu lernen. Meist ist das sogar kontraproduktiv, weil die Betroffenen überfordert werden. Frust ist sehr schlecht für das Gedächtnis.

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Drenhaus-Wagner : Patienten mit einer Demenz sollten gefordert, aber nicht überfordert werden. Manche Angehörige schicken die Betroffenen zu Gedächtnistrainings. Dabei muss man sehr vorsichtig sein, damit kein zu großer Leistungsdruck entsteht. Man kann auch einfach spazieren gehen und über Dinge sprechen, die noch im Langzeitgedächtnis vorhanden sind. Dann blühen manche Patienten richtig auf. Ohne Leistungsdruck können Demenzpatienten mehr leisten.

Welt Online : Erkranken Menschen mit geistig anspruchsvoller Tätigkeit seltener?

Stechl : Nein. Die Erfahrungen zeigen, dass bei diesen Menschen die Symptome nur später auftreten. Weil ihr Hirn eine größere Plastizität besitzt, kann es Ausfälle länger kompensieren. Aber irgendwann ist eine Grenze erreicht, dann schreitet die Demenz umso schneller voran. Ich möchte alle ermuntern, nicht in den Ruhe- sondern in den Unruhestand zu gehen.

Welt Online : Senken Blutverdünner das Risiko?

Steinhagen-Thiessen : Ganz klare Antwort: nein!

Welt Online : Beschleunigen Alkohol und Rauchen den Verlauf von Alzheimer?

Steinhagen-Thiessen : Ja, und Alkohol in besonderem Maße. Jedoch wirkt ein Stoff im Rotwein sogar gegen die Erkrankung. Der Genuss von Rotwein in geringen Maßen, vielleicht zwei Mal in der Woche ein Gläschen, ist in Ordnung.

Die Experten diskutierten auf einem Medizinforum der Berliner Morgenpost .

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