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Impulse für ein gesünderes Arbeiten

Immer mehr Firmen erkennen die Bedeutung einer gesunden Arbeitsumgebung. Eine vierteilige Serie beleuchtet die Aspekte Betrieblichen Gesundheitsmanagements. Heute Teil 1: Fit durch den Alltag

Das Büro von Annette Rebmann-Schmelzer liegt im 12. Stock des Rathauses von Lörrach. Ein Fahrstuhl hat die Personalleiterin jahrelang an ihren Arbeitsplatz gebracht. Seit Juli aber geht sie zu Fuß in ihr Büro: Zwölf Stockwerke, mehr als 200 Stufen. Sie tut es freiwillig, der Gesundheit zuliebe, aber auch, um Kollegen ein Vorbild zu sein.

Ausschlaggebend für die sportliche Aktion war das Projekt "Stadt läuft - 17. Juli - 17 Stockwerke" der Stadt Lörrach. Einen ganzen Arbeitstag lang, so hatte es ein Team von Auszubildenden geplant, sollten die Rathausmitarbeiter auf den Aufzug verzichten und die rund 310 Stufen im Treppenhaus des 17-stöckigen Hauses hoch laufen. "Inzwischen gibt es bei uns einige, die den Fahrstuhl überhaupt nicht mehr benutzen und mehrmals täglich sämtliche Wege zu Fuß zurücklegen", sagt Annette Rebmann-Schmelzer. Das Projekt ist ein Erfolg, weil es sich besonders leicht in den Alltag integrieren lässt und weil es sportliche Betätigung mit einem Kunstprojekt verbindet. Junge Graffiti-Künstler haben die Wände an den Treppenabsätzen gestaltet, das Auge findet auf dem anstrengenden Weg Abwechslung.

Die "Aktion Treppe" ist nur eine der Maßnahmen, mit denen sich die Stadt Lörrach um die Gesundheit ihrer Mitarbeiter bemüht. Es gibt Nordic-Walking- und Laufgruppen und das Projekt "Aktive Mittagspause" mit Pilates- oder Yoga-Kursen. "Auch öffentliche Institutionen sind keine Insel der Glückseligkeit mehr, wir spüren den drohenden Fachkräftemangel und bemühen uns deshalb um ein gezieltes Betriebliches Gesundheitsmanagement", sagt Annette Rebmann-Schmelzer. Die Herausforderung: Das Durchschnittsalter der Rathaus-Mitarbeiter liegt bei 46 Jahren, mehr als ein Viertel ist älter als 55. Primäres Ziel ist mehr Fitness für den einzelnen. Langfristig soll sich der durchschnittliche Krankenstand verringern, genau wie die Anzahl der Frühverrentungen.

Die Belastung durch harte körperliche Arbeit ist in Deutschland zurückgegangen, da in Wirtschaftszweigen wie dem Bergbau nur noch wenige Menschen beschäftigt sind und viele Unternehmen ihre Produktion ins Ausland verlegt haben. Gestiegen sind jedoch die Anforderungen an das psychische Leistungsvermögen und die Zahl der Arbeitsplätze, an denen Monotonie dominiert. Die häufigsten Diagnosen, die Betriebsärzte in ihrem Berufsalltag stellen, sind Erkrankungen des Skeletts und der Muskulatur, Diabetes, Herz- und Kreislauferkrankungen sowie psychische Krankheiten.

Dass häufige Arbeit mit der Computer-Maus zu einer verspannten Schulter führen kann und sitzende Tätigkeiten Rückenprobleme verursachen können, leuchtet ein. "Im Idealfall analysiert ein Unternehmen regelmäßig Arbeitsplätze und -abläufe und verbessert die Bedingungen für die Mitarbeiter", sagt Anette Wahl-Wachendorf, Vizepräsidentin des Verbands Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW). Die Einrichtung von ergonomisch gestalteten Produktionsstrecken oder von Büros mit speziellen Stehpulten kann Entlastung für schmerzgeplagte Mitarbeiter bringen. Anders sieht es bei Wohlstandserkrankungen wie Diabetes aus. Als wichtige Ursachen gelten Übergewicht, ungesunde Ernährung und Bewegungsmangel. "Eine Diabetes hat primär nichts mit der Arbeit zu tun, dennoch ist es wichtig, dass sich Betriebliches Gesundheitsmanagement auch mit solchen Krankheiten befasst", sagt die Betriebsärztin. Schuldzuweisungen nutzen nichts. Entscheidend ist, dass sich Unternehmen für Prävention und Rehabilitation engagieren: "Erfreulicherweise gibt es zunehmend Arbeitgeber, die bei ihrem Gesundheitsmanagement einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen."

Eine repräsentative Befragung der "Initiative Gesundheit und Arbeit" (iga), einer Kooperation von Verbänden der gesetzlichen Kranken- und Unfallversicherung, zeigt, dass mittlerweile jeder dritte Arbeitgeber aktives Betriebliches Gesundheitsmanagement betreibt. Darunter versteht man alle Angebote, die Belastungen für die Beschäftigten verringern und ihre Gesundheit stärken wollen. Die iga befragte 500 Unternehmen des produzierenden Gewerbes mit 50 bis 500 Beschäftigten. 35 Prozent der Betriebe mit 50 bis 99 Mitarbeitern setzten Betriebliches Gesundheitsmanagement ein. Bei Betrieben mit 100 bis 199 Mitarbeitern waren es lediglich 30 Prozent. Von Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten betrieb dagegen fast jedes zweite (47 Prozent) Vorsorge. Oft steht dabei Sport im Vordergrund. So hat etwa der Marzipan-Produzent Niederegger tägliche Gymnastikübungen für Bandarbeiter eingeführt und die Deka-Bank ein Fitness- und Gesundheitszentrum für seine Angestellten eingerichtet. Alle Bemühungen von Unternehmen sind jedoch zum Scheitern verurteilt, wenn die Beschäftigten nicht mitziehen. Erfahrungsgemäß sprechen gerade diejenigen Mitarbeiter, die ohnehin regelmäßig Sport treiben und auf eine gesunde Lebensführung Wert legen, auf betriebliche Sportangebote an. Wer sich seit Jahren zu wenig bewegt, ist seltener bereit, einer Laufgruppe beizutreten oder in der Mittagspause Pilatesübungen zu machen. Unsicherheit und die Angst vor der Blamage sind die großen Hemmschwellen auf dem Weg zu gesünderen Lebensweisen.

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