WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Wirtschaft
  3. Trainingsprogramm: Wie die Bahn ihre Mitarbeiter fit halten will

Wirtschaft Trainingsprogramm

Wie die Bahn ihre Mitarbeiter fit halten will

Spezialisten der Bahn reparieren Oberleitungen auf der Bahnstrecke Hamburg-Niebüll: Für viele Mitarbeiter des Konzerns ist körperliche Fitness sehr wichtig Spezialisten der Bahn reparieren Oberleitungen auf der Bahnstrecke Hamburg-Niebüll: Für viele Mitarbeiter des Konzerns ist körperliche Fitness sehr wichtig
Spezialisten der Bahn reparieren Oberleitungen auf der Bahnstrecke Hamburg-Niebüll: Für viele Mitarbeiter des Konzerns ist körperliche Fitness sehr wichtig
Quelle: dpa
Damit die Mitarbeiter produktiv bleiben und möglichst lange arbeiten, bietet die Bahn ihnen ein Trainingsprogramm für körperliche und geistige Fitness an. Das sollen sie in ihrer Freizeit ausüben.

Worum geht es

Wenn Zugchef Andreas Lojewski während seiner Nachtschicht hungrig wurde, ging er bisher gern zu McDonald’s oder anderen Imbissen im Bahnhof. „Ich habe nicht weiter darüber nachgedacht“, sagt er. Seit 25 Jahren arbeitet der 43-Jährige bei der Deutschen Bahn als Zugchef. Ein Job, der die Gesundheit strapazieren kann. Doch seit kurzem hat er seine Gewohnheiten geändert: Er bringt sich jetzt häufig eine Butterbrot mit, oder eine Suppe. Wenn er Zeit hat, geht er spazieren.

Bei der Arbeit im Zug denkt er jetzt immer daran, seine Schultern nach hinten zu ziehen, um seine Körperhaltung zu optimieren. In seiner Freizeit will er mit Nordic Walking anfangen. Außerdem hat er sein Gedächtnis trainiert. „Ich kann mir ziemlich gut Zahlen merken“ , sagt er stolz.

Lojewski hat in den vergangenen Monaten an einem Pilotprogramm seines Arbeitgebers teilgenommen, das „CLARA“ heißt – „Clever und Aktiv in Richtung Alter“. Fünf Trainingstage in vier Monaten absolvierte er innerhalb seiner Arbeitszeit. Nach einer individuellen Untersuchung bekam er eine maßgeschneiderte Beratung, die ihm seine „Potenziale“ aufzeigte.

Es folgten Trainings für körperliche und geistige Fitness und für das allgemeine Gesundheitswissen. Dann bekam er Zeit, das Ganze selbst auszuprobieren. Zum Schluss erfolgte eine Abschlussuntersuchung, die ihm Verbesserungen seiner Fitnesswerte bescheinigte. Das hat Lojewski gefreut – aber auch seinen Arbeitgeber.

Mitarbeiter sollen später in Rente gehen

Denn die Bahn leidet stark unter dem demografischen Wandel. Die Belegschaft hat ein Durchschnittsalter von 46 Jahren, fast 44 Prozent der 197.000 Beschäftigten in Deutschland sind älter als 50 Jahre. Lange hat die Deutsche Bahn, wie viele andere Unternehmen auch, nichts getan, um das drohende Fachkräfteproblem in den Griff zu bekommen.

Personal wurde abgebaut, kein Nachwuchs eingestellt. Im Sommer kam es auch deshalb zu gravierenden Personalengpässen im Stellwerk Mainz. Nun will das Unternehmen die Mitarbeiter dazu bringen, später in Rente zu gehen. „Wir wünschen uns, dass die Mitarbeiter bis zum Alter von 66 Jahren arbeiten“, sagt Christian Gravert, Leiter Gesundheitsmanagement bei der Deutschen Bahn. Dazu müssen sie aber körperlich und geistig fit bleiben. „CLARA“ soll dabei helfen. Das Programm ist Teil einer umfassenden personalpolitischen Demografieoffensive der Bahn, die auch zum Abschluss eines Demografietarifvertrages führte, der im April in Kraft trat.

Das Rezept, auf das die Bahn setzt, ist die gesundheitliche Umerziehung der Mitarbeiter. Es geht darum, ihr Verhalten zu ändern, indem ihnen klargemacht wird, wo sie selbst gesundheitlich stehen. Bei BMW etwa geschieht das über eine Art Schocktherapie: Mitarbeiter können einen Test machen, der ihnen ihr biologisches Alter verrät. Wer Pech hat, erfährt dann, dass er zwar erst 50 Jahre alt ist, sein Körper aber eher in dem Zustand eines 60-Jährigen ähnelt.

Da jeder auch ein Eigeninteresse an einer guten Gesundheit hat, hoffen die Arbeitgeber auf eine Verhaltensänderung. Bei der Bahn soll den Mitarbeitern die Diagnose positiv vermittelt werden, indem ihnen gezeigt wird, wo ihre Potenziale liegen und wie sie sich dort verbessern können.

Die Bahn und BMW sind Vorreiter in dem Bereich: Nur jedes dritte Unternehmen in Deutschland hat nach Angaben der Initiative „Gesundheit und Arbeit“ bisher überhaupt ein betriebliches Gesundheitsmanagement.

Lernen in jedem Alter

Anzeige

Das Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg hat das Trainingsprogramm für die Deutsche Bahn entworfen. Grundlage ist die Annahme, dass Lernen in jedem Alter möglich ist. „Dadurch, dass die Mitarbeiter einen Einblick in die eigenen Ressourcen bekommen, setzt die Selbstreflexion ein“, sagt Andreas Kruse, Direktor des Instituts. „Wir wollen den Menschen signalisieren, dass sie die Entwicklung ihrer körperlichen und geistigen Fitness selbst beeinflussen können.“

Sie sollen Wissen vermittelt bekommen, das sie selbst einsetzen können. Zum Beispiel mit Gruppenkursen über „Stressbewältigung“, „Progressive Muskelentspannung“, „Aufmerksamkeit“ oder auch „Intelligenz und Alter“.

Um auch diejenigen zu erreichen, die sich bisher nur wenig um ihre Fitness kümmern, finden die ersten fünf Trainingstage innerhalb der Arbeitszeit statt. Danach sollen die Mitarbeiter das Training in ihrer Freizeit fortführen. Für optimale Ergebnisse ist das ziemlich zeitaufwendig: Gerontologe Andreas Kruse empfiehlt, sich für die körperliche Fitness drei Mal in der Woche 40 Minuten über dem normalen Niveau zu bewegen. Um kognitiv leistungsfähiger zu werden, sind ihm zufolge sogar 30 bis 40 Minuten Training am Tag nötig.

Programm soll konzernweit ausgerollt werden

Die Bahn stellt den Mitarbeitern im Internet Trainingsangebote zur Verfügung. Eine solche Übung könne aber auch schlicht darin bestehen, sich die Inhalte der Tagesschau zu merken und sie sich am kommenden Morgen in Erinnerung zu rufen, sagt Kruse.

Nach der Evaluation des Testlaufs ist Kruse zufrieden: „Unsere Ergebnisse sind durchweg positiv. Wir können belegen, dass sich die geistige und körperliche Fitness der Teilnehmer deutlich verbessert hat“, sagt er. Deutliche Verbesserungen zeigten sich hinsichtlich der Präzision und der Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung, im Bereich des Kurzzeitgedächtnisses sowie in der Konzentrationsfähigkeit.

Auch die körperliche Fitness der Teilnehmer habe sich hinsichtlich Beweglichkeit, Kraft und Ausdauer nachweislich verbessert. Das habe sich bei den meisten auch in den Wochen des Programms gezeigt, als es kein Trainingsangebot der Bahn gab – das heißt, die Mitarbeiter haben in ihrer Freizeit weiter gemacht. „Das Ziel der Aktivierung der Selbstgestaltungskräfte konnte damit im Pilot erreicht werden“, beschreibt die Bahn das Ergebnis. Sie will „CLARA“ nun im ganzen Konzern ausrollen.

Andreas Lojewski will auch nach Ablauf des offiziellen Programms weitertrainieren. Auch wenn das viel Zeit beansprucht. „Ich werde das auf Beruf und Privatleben aufteilen“, sagt er. Er wolle künftig „öfters an seine Gesundheit denken“.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema