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Große Hindernisse für Deutschlands "Silver Worker"

Chefökonomin
Jochen Hoffmann (l.) ist 78 und arbeitet immer noch für die Henkelhausen GmbH in Krefeld. Chef Lutz Goebel (r.) will nicht auf ihn verzichten Jochen Hoffmann (l.) ist 78 und arbeitet immer noch für die Henkelhausen GmbH in Krefeld. Chef Lutz Goebel (r.) will nicht auf ihn verzichten
Jochen Hoffmann (l.) ist 78 und arbeitet immer noch für die Henkelhausen GmbH in Krefeld. Chef Lutz Goebel (r.) will nicht auf ihn verzichten
Quelle: David Klammer
Hochqualifizierte halten nicht viel vom Ruhestand, und deutsche Firmen suchen verzweifelt Fachkräfte. Doch wer länger arbeiten will, wird oft blockiert.

Jochen Hoffmann ist unersetzlich. Der Vertriebsexperte betreut die wichtigsten Kunden seiner Firma, kennt die Nummern sämtlicher Teile im Lager und steht immer bereit, wenn Not am Mann ist. Hoffmann ist 78 Jahre alt – doch ans Aufhören denkt er nicht. Der rüstige Senior ist einer von zwölf Mitarbeitern im Rentenalter, die der Krefelder Technikkonzern Henkelhausen beschäftigt.

Der Chef, Lutz Goebel, schwört auf diese „silver worker“. „Sie haben wertvolle Lebenserfahrung, können mit schwierigen Geschäftspartnern umgehen und arbeiten hocheffizient“, sagt der Mittelständler. Starre Altersgrenzen findet er absurd. Manche Menschen seien mit 63 alt, andere hätten mit 70 noch viel Elan. „Warum soll ich auf jemanden wie Jochen Hoffman verzichten?“

Nicht nur bei Henkelhausen hat man das Potenzial der Älteren erkannt . Laut einer Umfrage des Verbandes der Familienunternehmer beschäftigen 40 Prozent der Mitgliedsfirmen Mitarbeiter, die älter als 65 Jahre alt sind. Vor allem Hochqualifizierte halten häufig nicht viel vom Ruhestand: Mehr als zwölf Prozent der Akademiker im Alter von 65 bis 74 Jahre sind nach einer Studie des Instituts der Zukunft der Arbeit (IZA) hierzulande erwerbstätig. Und es könnten viel mehr sein , sagen Arbeitsmarktexperten. „Bislang gibt es zu viele Hürden, die das längere Arbeiten unattraktiv machen“, moniert IZA-Direktor Klaus Zimmermann.

Das Rentenrecht ist eine davon. Auch Gisela Schneider wollte mit 65 Jahren nicht aufhören, zumal ihr Ehemann kurz zuvor gestorben war und die Arbeit sie von ihrem Kummer ablenkte. Die Medizinisch-Technische Assistentin war deshalb froh, als ihr Chef eine Weiterbeschäftigung anbot.

Doch zwei Jahre später kam das böse Erwachen. Niemand war auf die Idee gekommen, dass ihr Gehalt auf die Witwenrente angerechnet wird. Die Rentenkasse forderte fast alles zurück. „Ich habe dann meinen Job gekündigt, weil ich nicht umsonst arbeiten wollte“, sagt Gisela Schneider. Heute hilft sie noch hin und wieder in dem Labor aus – und achtet streng darauf, nicht über den zulässigen Freibetrag zu kommen.

Wie effektiv das Sozialrecht motivierte Ältere vom Arbeitsmarkt fernhält, weiß auch Manfred Brock. Der Geschäftsführer der Jobbörse „Erfahrung Deutschland“ vermittelt ältere Fach- und Führungskräfte. Seinem Netzwerk gehören mittlerweile 5000 Experten an, die je nach Bedarf für Projekte von mehreren Tagen bis zu neun Monaten engagiert werden.

„Viele Vorruheständler dürfen bis zu ihrem 65. Lebensjahr kaum etwas hinzuverdienen“, klagt Brock. Bislang gilt für Frührentner ein Freibetrag von 4800 Euro im Jahr. Wer darüber kommt, muss ein Drittel der Rente abgeben. „Viele Experten können deshalb nur einen Einsatz im Jahr machen, obwohl sie durchaus Interesse an mehr hätten“, weiß der Personalvermittler.

Von der Leyen setzt auf die Kombi-Rente

Immerhin ist es ein Fortschritt, dass die Bundesregierung jetzt eine deutliche Lockerung dieser Hinzuverdienstgrenzen plant. Künftig darf der Hinzuverdienst so hoch sein, dass er gemeinsam mit der Rente das frühere versicherungspflichtige Bruttoeinkommen erreicht.

Arbeitsministerin Ursula von der Leyen hofft mit dieser Kombirente die Erwerbsquote der Älteren deutlich zu steigern. Denn bislang spiegeln sich in der Arbeitsmarktstatistik noch die Frühverrentungswellen der vergangenen Jahre wider.

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Doch in vielen Unternehmen ist der Jugendwahn passé. Angesichts des Fachkräftemangels wächst das Interesse an den Älteren. Familienunternehmer Goebel ärgert jedoch, dass die Betriebe für ältere Mitarbeiter weiterhin Renten- und Arbeitslosenbeiträge abführen müssen, obwohl die Beschäftigten gar keine Ansprüche mehr erwerben. Auch der Fiskus langt kräftig zu: Denn sowohl die Rente als auch das zusätzliche Einkommen müssen versteuert werden. Um zumindest die Sozialabgaben zu umgehen, arbeiten die Senioren deshalb oft als Selbstständige.

Großunternehmen wie Osram oder Bosch haben Pools gegründet, um über 65-Jährige gezielt an die Konzerne zu binden. Auf Beraterbasis werden Ingenieure und Techniker flexibel eingesetzt. Für den Wirtschaftspsychologen Jürgen Deller von der Leuphana Universität Lüneburg ist die zunehmende Arbeit der Senioren ein Zukunftstrend.

„Das Interesse, nach Erreichen der Altersgrenze weiterhin erwerbstätig zu sein, wächst insbesondere bei gut ausgebildeten Menschen“, beobachtet Deller. In einer Online-Umfrage unter Beschäftigten im Alter zwischen 49 und 66 Jahren gab fast jeder Zweite an, als Rentner noch erwerbstätig sein zu wollen. Allerdings präferierten die meisten dabei flexible Arbeitsformen und wollten keinen 40-Stunden-Job.

„Für viele Menschen ist die Arbeit von so zentraler Bedeutung, dass sie auch im Rentenalter dabeibleiben wollen, aber man sehnt sich nach humanen, maßgeschneiderten Arbeitsbedingungen“, so Deller. Nicht Geld, sondern vor allem der Wunsch, aktiv zu bleiben, ist nach den Ergebnissen der Umfrage das wichtigste Motiv für die Arbeit im Alter. Anerkennung und Wertschätzung sind weitere Motive. Viele Befragten nannten zudem Freude an der Arbeit und soziale Kontakte. Nur jeder Zehnte führte finanzielle Gründe an.

Auch Eckardt Kunert macht die Arbeit Spaß. „Ich bin ein Genussarbeiter“, sagt der 68-Jährige. „Die Jobs mache ich, weil ich meinen Verstand frisch halten will.“ Rund ein Duzend Projekte hat der gelernte Techniker und Kaufmann bereits durchgezogen, seit er sich vor einigen Jahren der Jobbörse Erfahrung Deutschland angeschlossen hat.

Gut bezahltes Expertenwissen

Seine Einsätze führten ihn in die Rüstungsindustrie, in Handwerksbetriebe und in einen Stahlkonzern. Zurzeit ist der Einkaufs- und Logistikexperte in einem Stadtwerk aktiv: In den ersten drei Monaten arbeitet Kunert Vollzeit, ein weiteres Quartal dann in Form einer Dreitagewoche.

Sein Expertenwissen lässt sich der Freiberufler sehr gut bezahlen. Dennoch stehen finanzielle Gründe für ihn nicht im Vordergrund. „Diese Einnahmen sind das Sahnehäubchen“, sagt der Kölner. Von seinem vorherigen Honorar habe er sich sein Traumauto gekauft – und bar bezahlt. Doch nicht allen Menschen gelingt es, im fortgeschrittenen Alter noch einmal voll durchzustarten. „Es gibt so viele Ältere, die sich noch einbringen wollen und die keinen Zugang in den Arbeitsmarkt finden“, sagt Wirtschaftsexperte Deller. Dies müsse sich dringend ändern.

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Angesichts des sinkenden Rentenniveaus könnte Altersarbeit eine neue und wichtige Säule zur Einkommenssicherung sein, sagt der Experte. Gerade für Frauen und gewerblich Beschäftigte im mittleren und niedrigen Einkommensbereich würde eine Weiterbeschäftigung im Rentenalter helfen, den Lebensstandard im Alter zu halten.

„Eine Altersgrenze für alle wird den individuell sehr unterschiedlichen Situationen und Bedürfnisse der Menschen nicht gerecht“, kritisiert Deller. Doch in vielen Betrieben herrsche weiter die Regel, dass jeder mit Erreichen des gesetzlichen Rentenalters zu gehen habe. „Die tarifvertraglichen Regeln sind furchtbar starr“, sagt Deller. Nicht nur die Gewerkschaften blockierten die Weiterbeschäftigung. Auch viele Arbeitgeber fänden starre Altersgrenzen bequemer, weil sie dann nicht im Einzelfall begründen müssten, warum der eine bleiben darf und ein anderer nicht.

Tatsächlich sind in vielen deutschen Konzernen die Regelungen so streng, dass selbst Manager ihren Hut nehmen müssen, wenn sie in die Jahre kommen. Über diese Altersdiskriminierung mokierte sich jüngst Fritz Vahrenholt, Chef der RWE-Tochterfirma Innogy.

Bei dem Energiekonzern dürfen Vorstände nur bis zum 60. Lebensjahr neu berufen werden. Deshalb wird der Vertrag des 62-jährigen Vahrenholt auch nicht verlängert. Immerhin kann der frühere Politiker und langjährige Manager in den Aufsichtsrat wechseln und auf diese Weise noch ein paar Jahre weitermachen.

Wer dagegen Beamter oder Angestellter im öffentlichen Dienst ist, muss sich endgültig verabschieden, wenn er die Altersgrenze erreicht hat. Auch bei dem ehemaligen Staatskonzern Deutsche Bahn gilt dies. Manchmal aber zwingt die Not zur Flexibilität. So hat die Berliner S-Bahn jüngst alte Züge wieder auf die Gleise geschoben. Keiner der Beschäftigten war in der Lage, sie zu warten. Und so holte das Management notgedrungen die frühverrenteten Bahnbeschäftigten aus dem Ruhestand zurück.

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