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Supercomputer soll die Zukunft vorhersagen

Das Projekt FuturICT ist eines der wichtigsten Förderprojekte der EU. Mit dem Schweizer „Living Earth Simulator“ (r.) sollen sich Krisen wie Engpässe und Verschlechterungen in der Umwelt rechtzeitig erkennen lassen, sodass ausreichend Zeit bleibt, um gegen zu steuern. Um zu untersuchen, wie bis zu zehn Milliarden Menschen miteinander umgehen und aufeinander reagieren, wird der Simulator mit frei oder kommerziell verfügbaren Echtzeit-Daten gefüttert Das Projekt FuturICT ist eines der wichtigsten Förderprojekte der EU. Mit dem Schweizer „Living Earth Simulator“ (r.) sollen sich Krisen wie Engpässe und Verschlechterungen in der Umwelt rechtzeitig erkennen lassen, sodass ausreichend Zeit bleibt, um gegen zu steuern. Um zu untersuchen, wie bis zu zehn Milliarden Menschen miteinander umgehen und aufeinander reagieren, wird der Simulator mit frei oder kommerziell verfügbaren Echtzeit-Daten gefüttert
Das Projekt FuturICT ist eines der wichtigsten Förderprojekte der EU. Mit dem Schweizer „Living Earth Simulator“ (r.) sollen sich Krisen wie Engpässe und Verschlechterungen in der ...Umwelt rechtzeitig erkennen lassen, sodass ausreichend Zeit bleibt, um gegen zu steuern. Um zu untersuchen, wie bis zu zehn Milliarden Menschen miteinander umgehen und aufeinander reagieren, wird der Simulator mit frei oder kommerziell verfügbaren Echtzeit-Daten gefüttert
Quelle: Getty Images
Katastrophen, Kriege und Weltwirtschaftskrisen: Ein Schweizer Supercomputer errechnet, was die Welt bewegen wird. Eine Milliarde Euro soll der Simulator kosten.

London 1949: Der neuseeländische Ökonom William Phillips bastelt aus den Teilen der Nachkriegswelt, darunter auch Schrott aus schweren Bombern des kürzlich beendeten zweiten Weltkriegs, einen Apparat aus Schläuchen und Pumpen, der den Geldfluss der Wirtschaft simulieren soll. Einerseits hilft die Maschine namens „MONIAC“ (Monetary National Income Analogue Computer) Wirtschafts-Studenten, die Mechanismen des Marktes besser zu verstehen, andererseits verwenden Forscher den Rechenapparat, um Vorgänge der Wirtschaftswelt zu simulieren.

Das Ungetüm ist groß wie ein Kleiderschrank, rote Wasserfarbe simuliert die Geldströme. Sogar Steuerreformen kann der erste vollautomatische Wirtschaftssimulator der Welt verarbeiten – dafür legen die Pumpen an Tempo zu. Einer der MONIACS blieb als Schulungsinstrument bis Anfang der Neunziger im Einsatz.

Wenn man nur genügend Rechenleistung aufbringt

Heute, mehr als sechzig Jahre später, gibt es ihn immer noch – den Traum, die komplizierte Welt aus Menschen, Katastrophen, Krisen, Geld und Naturgesetzen kontrollierbar – und vorhersagbar zu machen. Heute haben die Forscher mehr als ein paar Schläuche aus einer alten Avro Lancaster, mit denen sie basteln können

Die Rechenleistung moderner Supercomputer ist immens, und genau dieser Umstand macht Mitgliedern der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ) Hoffnung, dass nicht nur die Finanzkrisen der Zukunft vorhersagbar werden – sondern sogar das Verhalten der bald zehn Milliarden Menschen auf der Erde – wenn man nur genügend Rechenleistung aufbringt und dazu die passenden Modelle. Eine komplette zweite Erde soll entstehen – in digitaler Form.

Der Plan ist ehrgeizig: Über einen Zeitraum von zehn Jahren bei einem Budget von einer Milliarde Euro (die Hälfte davon aus EU-Forschungsförderung, der Rest selbst finanziert) sollen die besten Wissenschaftler Europas das menschliche Wirken auf der Erde nebst all seinen Konsequenzen erkunden.

Ein neuer „Living Earth Simulator“ wird dazu einen gigantischen Wust von Daten verdauen, deren Verknüpfungsqualität in der Geschichte beispiellos ist: Soziale Graphen aus sozialen Netzwerken, Verkehrsdaten, GPS-Daten, Satellitendaten, terrestrische Sensoren, die Börsen, die Politik, Telekommunikationsdaten, sie alle sollen zu statistischen und probabilistischen Vorhersagen führen, die zwar nicht die Aktionen des Einzelnen vorhersagen, wohl aber wahrscheinliche Bewegungen in größeren Zusammenhängen ausmachen können.

Viele dieser Daten werden dabei in Echtzeit integriert, neue Szenarien sollen in virtuellen 3D-Umgebungen mit direkt teilnehmenden Nutzern erforscht werden. Dirk Helbing von der ETHZ vergleicht das Vorgehen mit anderen Simulatoren.

„Wir haben Windtunnel, Fahrzeug- und Flugsimulatoren, aber es fehlen uns Rechenmodelle für vernetzte technologische, soziale, ökonomische, umwelttechnische Systeme, die Entscheidern ein besseres Bild vom Geschehen geben, andere Perspektiven auf die wichtigen anstehenden Probleme“, schreibt er in seinem Weißbuch.

Drohende Abgründe, wie sie etwa unmittelbar vor der Finanzkrise 2008 in den verfügbare Daten zu erkennen waren, sollen Alarme in speziellen „Crisis Observatories“ auslösen, in denen menschliche Operatoren auf potenzielle künftige Schreckensszenarien hingewiesen werden. Dabei können sie dann schon im Simulator Lösungsideen durchspielen, auf wahrscheinliche Effizienz testen.

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„Was wir brauchen ist ein Wissens-Beschleuniger, in dem wir unterschiedliche Wissensbereiche zusammen bringen“, sagt Helbing. Denn momentan gilt immer noch das Credo des Hollywood-Autors William Goldman („Die Brautprinzessin“): „Nobody knows anything.“ Mit diesen drei Wörtern hat Goldman die stammelnde Hilflosigkeit der größten Köpfe Hollywoods zusammengefasst, wenn diese vorhersagen sollten, welcher Film es zum Blockbuster bringt. Die Beatles, Star Wars und Harry Potter? Alle diese Filme haben eines gemeinsam: Dass Experten ihnen rundheraus jeglichen Erfolg abgesprochen hatten.

Wie hilflos Menschen sich benehmen, wenn es darum geht, menschliches Verhalten voraus zu sagen, zeigt auch eine Studie, die der Soziologe Duncan J. Watts vor einigen Jahren an der Universität Columbia durchführte. Er spielte 14.000 Testpersonen Musik vor, die sie noch nie gehört hatten. Welche Stücke würden es zu Hits bringen?

Watts teilte seine menschlichen Versuchskaninchen in acht Gruppen ein – und in jeder zeigte sich das gleiche Ergebnis: In der Gruppe erweist sich der Mensch als schlechter Musikkritiker. Beliebte Stücke wurden beliebter, wenn die Probanden sehen konnten, wie beliebt sie waren, und unbeliebte Stücke unbeliebter. Diese Erkenntnis war zu erwarten.

Weniger offensichtlich war jedoch zweitens: In jeder der acht Versuchsgruppen ergaben sich andere Hits und Loser. Offenbar genügt schon ein anfängliches statistisches Rauschen mit Ausschlag an einem Punkt, um aus einer Masse vergleichbar guter Stücke einen Hit zu erschaffen. Doch wo, wann und warum vereinigen sich die vielen tausend Meinungen zu einem Massengeschmack? Das konnte Watts nicht beantworten.

In diese und andere Formen von unvorhersehbarem Chaos wollen die Schweizer Weltsimulatoren nun eine Ordnung bringen. Viele Experten gehen davon aus, dass solche Vorhersagen rundheraus unmöglich sind. Bringt doch schon der berühmte Schmetterling mit seinem Flügelschlag den Wetterforschern bei, wie schwer sich komplexe Systeme auf Muster herunterbrechen lassen. Auch die Finanzmärkte widersetzen sich Prognosen.

Doch das Ziel ist viel ambitionierter: Dirk Helbing will das Verhalten von zehn Milliarden Menschen in seinem Supercomputer vorhersagbar machen – der voraussichtlichen Erdbevölkerung im Jahre 2050.

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