Er kam übers Meer in prachtvollen Booten. Er war hochgewachsen, kostbar gekleidet und trug einen Kopfschmuck aus blinkendem Edelmetall und schillernden Vogelfedern. Seine Frau kam mit ihm und viele Konkubinen. Auch Gefolgsleute und Krieger waren bei ihm, Diener bestreuten seinen Weg mit Muschelpulver. Sein Name war Naymlap.

Detailliert mit Namen und Anzahl der Ankömmlinge schrieb der spanische Chronist Cabello de Balboa 1586 die volkstümliche Legende auf, die sich die Leute an der nördlichen Pazifikküste von Peru seit Generationen erzählten. Demnach war Naymlap, der Fremdling, der erste König der Sican-Kultur. In der Lambayeque-Region bei der heutigen Stadt Chiclayo sei er gelandet und habe seinen "Tempel-Palast" gebaut, den er "Chot" nannte. Von dort aus errichtete er ein goldstrotzendes Reich.

Nun glaubt der peruanische Archäologe Carlos Wester den Palast des mythischen Dynastiegründers Naymlap in dem Pyramidenkomplex "Chotuna" gefunden zu haben. "Das ist spannend und ganz toll, was Wester da inzwischen alles entdeckt hat", attestiert Bernd Schmelz, wissenschaftlicher Leiter des Museums für Völkerkunde Hamburg , dem Ausgräber. Ethnologe Schmelz hat ein spezielles Interesse an den Ausgrabungen in Peru: Das Hamburger Museum hegt den wissenschaftlichen Nachlass von Hinrich Brüning , der vor über 100 Jahren als Erster die Lehmziegel-Pyramiden von Sican-Lambayeque untersucht hat, zu denen der Chotuna-Komplex gehört. Das unbedingt besuchenswerte "Museo Brüning" in der Stadt Lambayeque beherbergt dagegen die archäologische Sammlung Brünings.

Wie historisch war Naymlap überhaupt?

Auch der archäologische Autodidakt Brüning hatte sich die Geschichte von Naymlap erzählen lassen und in den Pyramidenruinen von Chotuna Naymlaps Palast vermutet . Seitdem schwelt über die Lokalisierung ein Streit der Gelehrten. Gestritten wird auch über die Frage, wie historisch die Gestalt denn überhaupt sei. Wie beim europäischen Streitfall Troja akzeptieren einige peruanische Forscher die Legende vorbehaltlos und sehen es nahezu als nationale Ehrenfrage, den Beweis dafür zu erbringen. Sie stützen sich auf Namensähnlichkeiten zwischen sagenhaften Orten und heutigen Stätten. Andere verweisen Naymlap dagegen komplett ins Reich des Mythos. Bernd Schmelz meint: "Der Mythos hat sicher einen realen Hintergrund. Die archäologischen Nachrichten dazu verdichten sich ja auch zusehends."

Der legendäre Naymlap jedenfalls zeugte zahlreiche Söhne. Sein Ableben wurde verheimlicht und zu einer "Himmelfahrt" mythologisiert: Er sei wie ein Vogel gen Himmel geflogen. Die Naymlap-Sage spiegelt sich in der religiösen Kunst der Lambayeque-Sican-Kultur: Das immer wiederkehrende Hauptmotiv ist eine männliche Gestalt mit ausladendem Kopfputz, geflügelten Augen und Flügeln am Rücken. Oft hält der Mann einen abgeschnittenen Menschenkopf in der einen und das halbkreisförmige Opfermesser ("Tumi") in der anderen Hand – das ist das Porträt von "El Degollador", dem grausigen Köpfergott der Anden. Die realen Tumi, die in vielen archäologischen Grabungen zutage traten, wiederum haben einen Handgriff mit diesem Porträt des Herrschers.

Die neue Regionalmacht startete um 800/900 n.Chr., also 600 bis 700 Jahre vor den Inka. Die Sican-Lambayeque-Leute bauten ihr Reich auf den Ruinen der gerade untergegangenen Moche-Kultur, von der sie viele Elemente in Kunst, Ikonografie und Technik übernahmen. Zwischen 900 und 1100 n. Chr. hatte die Sican-Lambayeque-Kultur ihre Blütezeit. Das entspräche der Herrscherzeit von Naymlaps Sohn Cium und seiner zwölf Nachkommen. Dessen letzter, namens Fempellac, beging der Legende nach eine gravierende Sünde, die mit einer dreißigtägigen Sintflut geahndet wurde. Die Priester stürzten den sündigen Herrscher ins Meer, die Dynastie war beendet. Real wurde das Sican-Lambayeque-Reich um 1375 n. Chr. von den aufstrebenden Chimu übernommen.