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G-8-Gipfel "Demenz ist die Pest des 21. Jahrhunderts"

Es ist ein Treffen von historischer Bedeutung: In London haben die G-8-Gesundheitsminister erstmals gemeinsam über Strategien zum Umgang mit Demenz diskutiert. Am schleichenden Gedächtnisverlust leiden weltweit rund 44 Millionen Menschen, dies kostet jährlich mehr als 430 Milliarden Euro.
Demenzkranke: Oft übernehmen Angehörige einen Großteil der Pflege

Demenzkranke: Oft übernehmen Angehörige einen Großteil der Pflege

Foto: Corbis

London - Vielleicht wird der 11. Dezember 2013 als mutiger Tag in die Geschichte eingehen. Als der Tag, an dem Vertreter der G-8-Staaten in einem klassizistischen Herrenhaus im feinen St. James's in London eine Strategie entwarfen, um fortan gemeinsam und erfolgreich gegen Demenzerkrankungen vorzugehen. Für viele Betroffene ist dieser Mittwoch jedoch vor allem ein Tag, an dem die Erkrankung erneut mit einem Stigma belegt wurde.

"Die Demenz ist die Pest-Erkrankung des 21. Jahrhunderts", hatte der britische Premierminister David Cameron vor Auftakt des G-8-Demenzgipfels verkündet. Und übersah offensichtlich den fatalen Nebensinn seiner Äußerung: Im Mittelalter wurde nämlich gesunden Menschen empfohlen, einen großen Bogen um die Häuser pestkranker Zeitgenossen zu schlagen.

Dabei soll es beim G-8-Gipfel darum gehen, den Demenzkranken und ihren Angehörigen zu helfen, die Forschung zur Vorbeugung und Therapie voranzutreiben und die Gesellschaft weltweit an ein Leben mit Demenzkranken zu gewöhnen. Zum ersten Mal widmen sich die G-8-Staaten gemeinsam dem Thema. Cameron hatte Gesundheitspolitiker, Wissenschaftler und Vertreter der Pharmaindustrie aus allen Erdteilen zusammengerufen.

"Noch nie wurde dem Thema Demenz so eine hohe politische Priorität gegeben", frohlockten vorab die Herausgeber der renommierten Zeitschrift "Lancet Neurology". Schon jetzt legten die Teilnehmer fest, dass sie in Zukunft alle zwei Jahre auf G-8-Ebene über die Fortschritte in der Forschung berichten werden. Die Forschungsausgaben wolle man deutlich steigern.

Jährlich 42.000 Euro für die Pflege eines schwer Dementen

"Demenz ist eine globale Herausforderung", appelliert Margaret Chan, Direktorin der Weltgesundheitsorganisation (WHO), bei dem Treffen an die Teilnehmer. "Alarmierend" sei die Anzahl der Demenzpatienten weltweit, sekundiert Yves Leterme, Generalsekretär der OECD. Rund 44 Millionen Menschen leiden weltweit an Demenz, und Schätzungen zufolge werden es bis zum Jahr 2050 dreimal so viele sein. Allein in Deutschland leben 1,4 Millionen Demenzpatienten.

Die Kosten für die Pflege sind enorm. Mehr als 430 Milliarden Euro jährlich kostet die Versorgung der Demenzpatienten heute weltweit. Eine Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf ergab, dass für die Pflege eines schwer dementen Menschen in Deutschland pro Jahr 42.000 Euro notwendig sind.

Politiker wie Wissenschaftler des Londoner Gipfels betonen vor allem, wie wichtig die Erforschung der Demenzerkrankungen sei, bisher können Medikamente die Krankheit kaum aufhalten. "Wir können jedoch nicht für die nächsten 20 Jahre auf Therapien starren, die da möglicherweise kommen", sagt Andreas Fellgiebel, Leitender Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychiatrie der Universitätsmedizin Mainz. Stattdessen sollte den Patienten wie Angehörigen schon heute geholfen werden. "Wir können bereits sehr viel tun", sagt der Mediziner.

Großteil der Pflege wird von Angehörigen getragen

So sind Menschen mit einer Demenzerkrankung in ihrem Alltag früh auf Unterstützung angewiesen. Rund 80 Prozent aller Demenzkranken in Deutschland werden von Angehörigen betreut und gepflegt. "Oft findet die Pflege rund um die Uhr statt und sieben Tage pro Woche", sagt Susanna Saxl, Mitarbeiterin der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Bis den Angehörigen die Kraft ausgeht. Studien zufolge leiden bis zu 60 Prozent aller Menschen, die einen Demenzkranken pflegen, an einer Depression.

Dabei wirkt sich das psychische Befinden der Angehörigen auf die Demenzpatienten aus. "Je besser die Angehörigen mit der Situation zurechtkommen, umso höher auch die Lebensqualität der Patienten", sagt Fellgiebel. Daher müssten Patienten und Angehörige frühzeitig beraten werden. In einer Pilotstudie an der Universitätsmedizin Mainz hatte eine Gruppenpsychotherapie leicht dementer Patienten und ihrer Angehörigen gute Erfolge gezeigt. Ebenso verbesserte sich einer amerikanische Studie zufolge die Zufriedenheit in Familien erheblich, wenn sie in schwierigen Situationen regelmäßig Beistand von einer Pflegekraft bekamen.

Auch künftig werden Demenzpatienten vor allem zu Hause gepflegt werden müssen. "Alle Erkrankten in Pflegeheimen unterzubringen, wäre gar nicht zu finanzieren", sagt Fellgiebel. Zumal sich die geistige Leistungsfähigkeit der Demenzkranken nach Verlegung in ein Pflegeheim oft drastisch verschlechtere. Allerdings wird durch die Alterung der Bevölkerung die Zahl der Angehörigen zurückgehen, die sich um die Patienten kümmern können.

"Wir werden mehr ehrenamtliche Helfer brauchen", sagt Fellgiebel. Daher seien dringend Konzepte nötig, die eine bessere Versorgung der Demenzkranken und ihrer Angehörigen bewirken, da sind sich auch die Teilnehmer des G-8-Gipfels einig. "Patienten und ihre Angehörigen werden bei unserer Arbeit im Mittelpunkt stehen", verspricht der britische Premierminister Cameron.

Dafür müssten Demenzkranke allerdings mehr in die Gesellschaft integriert werden, fordert Fellgiebel. So wie es in den Gemeinden speziell zugeschnittene Veranstaltungen für Kinder gebe, könnte es künftig Events für Demenzkranke geben. Statt die Patienten - wie früher die Pestkranken - in ihren Häusern zu verstecken.