Ein Mann mit Zehn-Tage-Bart und Bommelmütze steht auf einer Brücke in Berlin-Kreuzberg. "Hallo", sagt er in die Kamera, "ich heiße David. Ich bin Atheist und Schumacher." So beginnt das Werbevideo für die Atheist Shoes , angepriesen werden handgenähte Lederhalbschuhe, in deren Gummisohle der Schriftzug "Ich bin Atheist" eingeprägt ist. 30.000 Dollar sollte der charmante Auftritt einspielen – so viel Kapital war nötig, um zukünftig in Portugal in die serielle Produktion zu gehen. Am Ende bekam Schumacher David Bonney, der aus Irland stammt und in Berlin eine kleine Werkstatt betreibt, knapp 60.000 Dollar zusammen, inklusive 300 Schuh-Vorbestellungen.

Die Erfolgsmeldungen um Kickstarter, den weltweiten Marktführer im Bereich Crowdfunding, reißen seit Monaten nicht ab. Über 10 Millionen Dollar erreichte die E-Paper-Uhr Pebble , das Computerspiel Double Fine Adventure brachte es auf 3,3 Millionen, Wasteland 2 schaffte 2,9 Millionen. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs: "Über 23.000 erfolgreich finanzierte Projekte, 20 Millionen private Geldgeber und 230 Millionen Dollar Finanzierungszusagen", fasst Pressesprecher Justin Kazmark die Bilanz des erst drei Jahre alten Unternehmens zusammen. Dabei hat die Idee der Gründer Perry Chen, Yancey Strickler und Charles Adler längst Hunderte Nachahmer gefunden. Crowdfunding-Plattformen gelten derzeit als aussichtsreicher Weg, im Internet Geld zu verdienen.

Kickstarter gibt dabei den Takt vor. Das Unternehmen hat binnen kurzer Zeit nicht nur Produktionsprozesse verändert, sondern vor allem Konsumgewohnheiten. Denn mittlerweile hat sich die Plattform, die ursprünglich als Zufluchtsort für brotlose Künstler gedacht war, zum perfekten Verkaufsumfeld für Unterhaltungselektronik und Spiele entwickelt. Eine aktuelle Statistik der New York Times zeigt, dass in der Masse zwar Filme und Musik gefördert werden, die Spitzenumsätze aber im Bereich Design, Games und Technologie gemacht werden. Dort erreichen die Produkte mittlerweile durchschnittlich Finanzierungen von rund 29.000 Dollar, bei Filmen, Musik und anderen Kulturprojekten werden lediglich fünf- bis achttausend Dollar erzielt.

Dass sich die Erfolge so deutlich zuordnen lassen, hat mit den Statuten von Kickstarter zu tun. Denn die Crowd, so steht es in den Geschäftsbedingungen, soll keineswegs uneigennützig oder aus rein idealistischen Motiven Geld spenden, etwa im Sinne eines Kunstmäzens. Die Zahlungen sind immer an konkrete Gegenleistungen geknüpft, meistens läuft es darauf hinaus, dass das Produkt zum Vorzugspreis vorbestellt wird. Bei höheren Summen gibt es noch Merchandising-Artikel obendrauf. Oder die Designer produzieren für die Kickstarter-Community limitierte Sondereditionen. Auch das wird von der Kundschaft sehr geschätzt – und auf Facebook und Twitter entsprechend weitererzählt.

Nebenbei ein innovatives Marketinginstrument

"Im Gegensatz zu den europäischen Plattformen hat es Kickstarter geschafft, sich ganz nebenbei als innovatives Marketing-Instrument zu etablieren", sagt Konrad Lauten, der seit 2010 die deutsche Crowdfunding-Seite Inkubato betreibt. "Das funktioniert besonders gut für Produkte und Software, hinter denen prominente Namen stehen." So war es etwa beim Spiel Double Fine Adventure , hinter dem der bekannte Entwickler Tim Schafer steht.

Kickstarter selbst betont den Marketing-Effekt ausdrücklich: "Es geht nicht nur um die Sicherung einer Finanzierung, sondern immer auch darum, ein Publikum aufzubauen", erklärt Kazmark. Hier können Produkte schon vor ihrer offiziellen Markteinführung bekannt gemacht, alte oder neue Fan-Communitys aktiviert werden. Und das alles im Rahmen eines bequemen Subskriptions-Geschäfts, das für den Kunden – anders als für einen klassischen Investor – kaum Risiko birgt.

Restriktive Richtlinien

Denn bei Kickstarter verliert niemand Geld. Nur wenn die vorab festgesetzte Finanzierungssumme erreicht wird, zieht das Unternehmen die zugesagten Beträge ein und schüttet sie (abzüglich acht bis zehn Prozent Provision und Überweisungsgebühr) an die Projektinitiatoren aus. Auch sonst sind die Richtlinien restriktiv: Eingereichte Projekte werden vor der Freischaltung einer Qualitätsprüfung unterzogen, es gibt inhaltliche und ästhetische Vorgaben, geworben werden darf nur für Kreativprodukte, nichts mit Babys, Beauty, Gesundheit. Auch Ratgeberbücher oder Spendenaufrufe sind verboten.

"Die hohen Hürden bewirken, dass sich die Leute mit ihren Konzepten wirklich Mühe geben", sagt Tino Kreßner, Gründer und Geschäftsführer von Startnext , der größten deutschen Crowdfunding-Plattform. Und das Konzept scheint aufzugehen, 40 bis 45 Prozent aller auf Kickstarter präsentierten Projekte erreichen ihr Finanzierungsziel.