Wenn Wohlstand krank macht...: 112 Kilo! Das Metabolische Syndrom ist schuld!

Von: Von Anna Meissner, Volker Weinl und Kerstin Quassowsky
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Metabolisches Syndrom – ein schwer verständlicher Begriff für ein schwerwiegendes Problem. Wörtlich handelt es sich dabei um ein Krankheitsbild, das den Stoffwechsel angeht.

Jeder vierte Deutsche leidet bereits darunter, schätzen Mediziner – doch viele der Betroffenen ahnen nicht einmal etwas davon, denn die Stoffwechselstörung verursacht keine Schmerzen. Dabei ist sie sehr gefährlich: Das metabolische Syndrom – auch „tödliches Quartett“ genannt – gilt als entscheidender Risikofaktor für Herzinfarkt und Schlaganfall. Wie sich das Risiko erkennen lässt, und was notfalls zu tun ist, erklären Experten in BILD am SONNTAG.

Was ist das metabolische Syndrom?

„Darunter versteht man das gemeinsame Auftreten von vier Faktoren: Übergewicht, schlechte Blutfettwerte, Bluthochdruck und Insulinresistenz, die zu Diabetes führen kann“, sagt Privatdozent Dr. Rainer Lundershausen, Sprecher der Regionalgesellschaften der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) und niedergelassener Diabetologe in Erfurt.

Müssen alle vier Erkrankungen für ein metabolisches Syndrom vorliegen?

Professorin Karen Nieber, Leiterin des Lehrstuhls für Pharmazie, Universität Leipzig: „Nein. Man spricht bei einem Patienten schon vom metabolischen Syndrom, wenn drei der vier Symptome vorhanden sind.“

Warum ist dieses metabolische Syndrom so gefährlich?

Prof. Nieber: „Jede der einzelnen Erkrankungen stellt schon für sich allein ein Risiko für schwere Gefäßerkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall dar. Treten die Erkrankungen in Kombination auf, verstärken sie sich gegenseitig und das Risiko wird potenziert. Das Problem aller dieser Erkrankungen ist, dass sie ohne Schmerzen und akute Symptome verlaufen. Deshalb wird häufig viel zu spät der Arzt aufgesucht und die Behandlung beginnt erst, wenn bereits Schäden vorliegen.“

Ist das Syndrom typisch für unsere Zeit?

Prof. Nieber: „Ja. Es tritt fast ausschließlich in der westlichen, wohlhabenden Welt auf und nimmt stark zu. Ursachen dafür sind hauptsächlich Über- und Fehlernährung sowie Bewegungsmangel, typisch für unsere Gesellschaft. Die direkte Folge dieses Lebensstils ist Übergewicht – die Hauptursache eines sich entwickelnden metabolischen Syndroms.“

Wer muss besonders aufpassen?

Prof. Nieber: „Übergewichtige. Eine Messung des Bauchumfangs an der Taille gilt als einfacher und schneller Weg, eine erste Risikoeinschätzung vorzunehmen. Ein erhöhtes Risiko liegt für Frauen mit einem Bauchumfang über 88 Zentimetern vor. Bei Männern beginnt der Risikobereich bei 102 Zentimetern. Gefährdet sind besonders diejenigen, die sich außerdem wenig körperlich bewegen.“

Welche Risikofaktoren gibt es noch?

Prof. Nieber: „Zu fette und cholesterinhaltige Nahrung, erhöhter Konsum von Alkohol und Kochsalz, Rauchen sowie Stress über längere Zeit. Außerdem ist das Risiko zu erkranken erhöht, wenn schon eine der anderen Störungen wie Diabetes oder eine Fettstoffwechselstörung vorliegt.“

Spielen die Gene eine Rolle?

Dr. Lundershausen: „Ja. Wer Verwandte ersten Grades hat, die bereits an Diabetes Typ 2, einer Fettstoffwechselstörung oder Bluthochdruck leiden, hat ein erhöhtes Risiko, später selbst zu erkranken.“

Wieso ist es so schwierig, Menschen rechtzeitig zu behandeln?

Dr. Lundershausen: „Viele Menschen, die unter einem metabolischen Syndrom leiden, fühlen sich lange Zeit nicht krank und wissen nichts von ihrem Problem. Zu hoher Blutdruck, zu hoher Blutzucker und zu hohes Cholesterin verursachen lange keine Beschwerden, bis sie plötzlich zum Schlaganfall oder Herzinfarkt führen. Deshalb ist die Erkrankung auch so gefährlich.“

Wenn ich die Krankheit nicht spüre – wie kann ich mein persönliches Risiko erkennen?

Prof. Nieber: „Mit einer Blut-Untersuchung. Die sollte auf jeden Fall die Bestimmung des aktuellen Blutzuckers und der Blutfettwerte einschließen. Auch Faktoren wie ein erhöhter Harnsäurespiegel im Blut oder das vermehrte Ausscheiden von Eiweißen über den Harn geben zusätzliche Hinweise auf ein metabolisches Syndrom. Die Leberwerte im Blut zeigen, ob sich aufgrund von Übergewicht oder eines schlecht eingestellten Diabetes eine Fettleber entwickelt hat.“

Wie werden beim metabolischen Syndrom so viele Erkrankungen auf einmal behandelt?

Prof. Nieber: „Das Behandlungskonzept umfasst drei Säulen. Erstens: Die Umstellung des Lebensstils mit mehr Bewegung, möglichst 30 Minuten täglich; dadurch werden übrigens auch die Blutfettwerte gesenkt. Außerdem gehört eine ausgewogene Ernährung und der Verzicht auf Nikotin und Alkohol dazu. Wer aufhört zu rauchen, beeinflusst seinen Cholesterinwert positiv; Alkoholverzicht senkt den Blutdruck.“

Was ist Therapiesäule Nummer zwei?

Prof. Nieber: „Die medikamentöse Therapie. Bei Bluthochdruck ist oft eine Kombination von Blutdrucksenkern nötig. Bei schlechten Blutfettwerten gibt es Mittel, die das gute HDL-Cholesterin anheben und solche, die das böse LDL-Cholesterin senken. Auch ein zu hoher Triglyzeridspiegel kann mit Medikamenten gesenkt werden. Bei Insulinresistenz gibt es eine Reihe verschiedener Antidiabetika, die als Tabletten eingenommen werden. Es muss also nicht sofort Insulin gespritzt werden. So gibt es Antidiabetika, welche die Sensibilität der Körperzellen für Insulin erhöhen.“

Und Säule Nummer drei?

Prof. Nieber: „Das sind nicht-medikamentöse Behandlungen, wie die Magenband-Operation bei schwerem Übergewicht oder die LDL-Apherese bei schweren Fettstoffwechselstörungen. Das ist ein Blutwäscheverfahren zur Entfernung schädlicher Fette aus dem Blut.“

Am einfachsten scheint doch, sich mehr zu bewegen und die Ernährung umzustellen. Warum schaffen das viele Betroffene nicht?

Dr. Lundershausen: „Längst nicht alles, was man mit dem Verstand einsieht, setzt man auch um. Bestes Beispiel: Noch immer rauchen Millionen Deutsche, obwohl sie um die Krebsgefahr wissen. Der Mensch ändert seine Gewohnheiten ungern, solange ihm die Folgen seines Handels nicht wehtun. Das ist auch beim metabolischen Syndrom der Fall. Das Angenehme und Bequeme gibt er nicht ohne Weiteres auf. Tabletten einnehmen ist bislang einfacher als abzunehmen und sich mehr zu bewegen. Ernährungsgewohnheiten werden als Kind verinnerlich und sind mit zunehmendem Alter immer schwerer zu ändern. Wir brauchen in Deutschland auch Vorsorgeprogramme, die bereits im Kindergartenalter starten.“

Und wie können es Erwachsene schaffen, in Form zu kommen?

Dr. Lundershausen: „Es gibt auch Menschen, die es schaffen. Es klappt, wenn man sich gegenseitig anspornt. Interessierte sollte sich eine Sportgruppe mit Gleichgesinnten suchen, beispielsweise in Reha-Sportgruppen oder Selbsthilfegruppen. Hilfreich ist, wenn die Gruppe zur Motivation auch psychologisch begleitet wird. Fragen Sie auch Ihren Arzt oder Ihre Krankenkasse nach Infos.“

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