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Strahlenchirurgie: Chirurgie ohne Skalpell

Foto: Accuray

Krebstherapie Mit dem Cyberknife gegen den Tumor

Münchner Ärzte behandeln Krebspatienten mit dem weltweit modernsten Strahlenchirurgie-Roboter. Das Cyberknife lässt eine Utopie wahr werden: das Operieren ganz ohne Skalpell. Die Methode kann einzelnen Patienten helfen - und ist doch keine Wunderwaffe gegen Krebs.

Scheinbar aus dem Nichts rieselt zurückhaltende Musik, dunkles Holz verkleidet die sanft geschwungenen Wände, in der Ecke stehen Getränke bereit, verdeckte Leuchten erhellen das Wartezimmer. Es sieht nicht aus wie beim Arzt, fühlt sich nicht an wie eine Praxis - und auch Menschen im weißen Kittel sucht man hier vergebens: Alles im Münchner Cyberknife-Zentrum auf dem Campus der Uni-Klinik Großhadern ist darauf ausgelegt, dass Gäste sich nicht als Patienten fühlen.

Dabei sind die Menschen schwerkrank, die hier behandelt werden. Bei vielen wuchert ein Tumor im Gehirn, andere leiden an Lungenkrebs. Wenn sie zu Alexander Muacevic kommen, geht es bei manchen von ihnen schon nicht mehr darum, den Krebs zu heilen. Oft sollen Metastasen behandelt werden, also im Körper verteilte Tochtergeschwulste.

Der Neurochirurg Muacevic und seine Kollegen behandeln ihre Patienten mit Hilfe von Strahlen. Auf weiße Kittel und den Geruch nach Desinfektionsmitteln können die Mediziner auch deshalb verzichten, weil sie etwas Paradoxes schaffen: Sie operieren ohne Skalpell.

Raumschiff Enterprise im Untergeschoss

In den Räumen der Praxis gibt es keinen Operationssaal: Während der Behandlung liegen die Patienten in ihrer Straßenkleidung im Untergeschoss in einem Raum, der an die Kommandobrücke vom Raumschiff Enterprise erinnert. Von der Decke aus wird das Herzstück des Cyberknife-Zentrums abwechselnd in rotes, blaues, grünes und gelbes Licht getaucht. Der Behandlungsraum wirkt merkwürdig leer. Allein eine unscheinbare Liege und ein Roboterarm, ähnlich denen in einer Autofabrik, mit einem Kopf, der aussieht wie ein Projektor, sind zu sehen. Das soll er sein? Der weltweit modernste strahlenchirurgische Strahlenroboter?

Mit den eigenen Sinnen kann man die gewaltige Energie aus der Strahlenquelle des M6 getauften Roboters nicht wahrnehmen, mit der die in diesem Linearbeschleuniger erzeugten Photonen den Krebs im Körper bekämpfen. Auf weniger als einen Millimeter genau konzentriert der Beschleuniger mit Hilfe einer wahnwitzigen Rechenleistung die Strahlenenergie - die Strahlen schädigen das Erbgut der Krebszellen so, dass diese sich nicht mehr teilen können. "Gutartige Tumoren vernarben, bösartige zerfallen", erklärt Alexander Muacevic.

Seit Jahrzehnten bestrahlen Ärzte mit Röntgenstrahlen die Tumoren von Patienten. Diese Bestrahlungen erfolgen über einen längeren Zeitraum, die Strahlendosis wird auf mehrere Termine verteilt, das bremst das Wachstum der Krebsherde. Weil das Cyberknife und ähnliche Verfahren die zerstörerische Energie der Strahlung wesentlich besser konzentrieren können, reicht dagegen in den meisten Fällen eine einzelne Behandlung aus.

Keine Wunderwaffe gegen Krebs

"Das Cyberknife ist keine Wunderwaffe gegen Krebs", stellt Muacevic klar. Doch in bestimmten Fällen könne das futuristisch anmutende Gerät bei Patienten eine Behandlung erlauben, die in dem normalen Operationssaal wenige hundert Meter entfernt nicht mehr möglich wäre. In Sichtweite des Cyberknife-Zentrums erhebt sich der Bettenturm vom Großhaderner Universitätsklinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Das Klinikum ist Kooperationspartner des Cyberknife-Zentrums, ihre Fälle besprechen Muacevic und sein Kollege Berndt Wowra mit den Ärzten der Uni-Klinik.

Nach einem Abkommen mit der AOK Bayern übernehmen nun auch viele gesetzliche Kassen die Behandlungskosten von rund 10.000 Euro im Münchner Zentrum.

Die Ursprünge der Behandlung mit den konzentrierten Strahlen liegt in der Neurochirurgie: Weil sich das Gehirn nicht bewegt, ist es einfacher, Tumoren im Kopf mit der fokussierten Energie zu behandeln als zum Beispiel Geschwulste in Lunge oder Leber. Dieses Problem konnten Ingenieure und Physiker mittlerweile überwinden: Für eine Behandlung mit dem Cyberknife werden zunächst im Computertomografen Aufnahmen des zu behandelnden Tumors erstellt. Daraus errechnet der Computer eine Vielzahl denkbarer Positionen des Patienten auf der Behandlungsliege. Während der Bestrahlung vergleichen zwei digitale Röntgenkameras nahezu in Echtzeit die tatsächliche Position des Patienten mit diesen vorberechneten Bildern, der Roboterarm der Strahlenquelle und der Tisch tarieren selbst minimale Verschiebungen von weniger als einem Millimeter aus.

Das neueste Gerät des Münchner Zentrums, mit dem in diesen Tagen weltweit die ersten Patienten behandelt werden, überwindet noch ein weiteres Problem: Bisher mussten den Patienten für die Behandlung von Tumoren in der Lunge oder der Leber Metallmarkierungen implantiert werden, an denen sich das Cyberknife orientieren konnte. Der neue Roboter kann die Krebsherde in vielen Fällen ohne eine solche Markierung verfolgen. Dank dieses Fortschritts können Patienten operiert werden, ohne dass die Chirurgen ihre Haut verletzen müssen. Zudem können die Photonen mit Hilfe eines Blendensystems so in den Patienten geschickt werden, dass die Strahlen die Form auch unregelmäßiger Tumoren nachbilden können.

Zwar gibt es Studien, die bei bestimmten Patienten Vorteile einer Behandlung mit dem Cyberknife gegenüber anderen Verfahren belegen, unter Umständen ist diese sogar günstiger als eine normale Operation. Das bedeutet aber nicht, dass Cyberknife-Patienten länger überleben als anders Behandelte. Zuvor unbehandelbare Tumorerkrankungen werden durch die Technik auch nicht heilbar.

So funktioniert die Strahlenchirurgie
Foto: SPIEGEL ONLINE

Welche Krankheiten können behandelt werden?Übernimmt die Krankenkasse die Kosten?Welche Beschränkungen gelten für die Methode?

Das Cyberknife-Verfahren wird deshalb eine Methode für wenige Patienten bleiben. "Wir lehnen etwa 70 Prozent aller Anfragen für eine Behandlung ab", sagt Alexander Muacevic. "Und das muss auch so sein. Der Roboter kann zwar nahezu jeden Tumor bestrahlen, aber das ist leider häufig medizinisch nicht sinnvoll."

Lesen Sie hier, wie die Strahlenchirurgie funktioniert.

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