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Medikamenten-Check Was die Abwehrkräfte wirklich stärkt

Was hält im Herbst gesund und hilft, Erkältungen zu vermeiden? SPIEGEL ONLINE hat Ärzte und Apotheker gefragt - mit einem überraschend eindeutigen Ergebnis.
Stürmisches Wetter an der Nordsee: Bewegung an der frischen Luft hält Abwehrkräfte fit

Stürmisches Wetter an der Nordsee: Bewegung an der frischen Luft hält Abwehrkräfte fit

Foto: Bodo Marks/ dpa

Pullover statt T-Shirt, Schal statt Sonnenbrille: Mit dem Herbst kommt die Schnupfenzeit. Man fühlt sich angeschlagen, und während der Kollege anscheinend stets vor Gesundheit strotzt, nimmt man selbst gefühlt jede Erkältung mit. Vielleicht aber gibt es etwas, das die Abwehrkräfte stärkt?

Was sagen Ärzte, und welche Mittel bekommt man in der Apotheke angeboten? SPIEGEL ONLINE hat den Test gemacht und acht Freiwillige in Apotheken geschickt. Dort schilderten sie ihr Anliegen und ließen sich beraten.

Das Ergebnis war erstaunlich eindeutig: In sieben Fällen bekamen die Tester umgehend Orthomol Immun empfohlen (Wochenpackung für 16,70 Euro). In zwei Fällen wurden dazu Zinktabletten verkauft (5 Euro). Einmal wurde dem Probanden sogar ein pflanzliches Arzneimittel (7 Euro) gegen Erkältungen vorgeschlagen.

"Was Krebskranken hilft, kann nicht schlecht sein"

In allen besuchten Apotheken lag Orthomol Immun nah am Tresen. Die Apotheker empfahlen das Nahrungsergänzungsmittel meist mit einem persönlichen Kommentar: "Ich nehme das auch zwischendurch", hieß es. Oder: "Ich weiß, es ist nicht ganz billig, aber es hilft." Als ein Tester kritisch nachfragte, weshalb er ausgerechnet das Präparat einnehme sollte, erklärte ihm die Apothekerin, das es eigentlich für Patienten gedacht sei, die eine Chemotherapie hinter sich gebracht haben. "Was denen hilft, kann doch für Sie nicht schlecht sein, oder?"

Nur einer der von uns getesteten Apotheker riet zu einer gänzlich anderen Therapie: "Schlechte Abwehrkräfte? Da brauchen Sie nichts von mir. Sie müssen gesund essen, ausreichend schlafen und ein bisschen Sport treiben."

Wir haben den Arzt Peter Sawicki gebeten, die verkauften Mittel für SPIEGEL ONLINE anhand hochwertiger Übersichtsstudien zu bewerten. Als zusätzliche neutrale Quelle haben wir die Ergebnisse des Handbuchs "Rezeptfreie Medikamente" der Stiftung Warentest  hinzugezogen.

ZUR PERSON
Foto: IQWiG

Peter Sawicki, Jahrgang 1957, arbeitet als Internist und Diabetologe. Von 2004 bis 2010 war er Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in Köln. Das unabhängige Institut prüft systematisch den Nutzen und die Schädlichkeit von Medikamenten.

Sehen Sie in unserer Aufstellung, was die Mittel taugen.

Orthomol Immun - Was bringt das Zeug aus den Fläschchen?

Foto: SPIEGEL ONLINE

Wirkstoffe: Kombination aus unter anderem 13 Vitaminen, 8 Spurenelementen und sekundären Pflanzenstoffen (hier geht es zum Beipackzettel )

Der Hersteller: Auf Anfrage gibt die Orthomol GmbH aus Langenfeld an, dass mit Orthomol Immun eine randomisierte, doppelblinde und placebokontrollierte Studie  durchgeführt worden sei (Votum der Ethikkommission des Campus Charité, Berlin-Mitte). Das Produkt sei ein diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke, und die Studie gebe Auskunft über dessen "diätetische Wirksamkeit".

Sawicki: Orthomol Immun hat weder als Einzelstoff noch als Kombination eine belegte Wirkung bei der Prävention von Erkrankungen. Es wird nicht als Arzneimittel angeboten, sondern als Nahrungsergänzungsmittel. Das bedeutet, dass für das Produkt vor der Markteinführung weder der Nachweis einer Wirksamkeit noch einer Unbedenklichkeit erforderlich ist.

Der Hinweis des Herstellers auf das Votum der Ethikkommission ist Unsinn oder eine bewusste Irreführung. Eine Ethikkommission bezieht sich niemals auf die Ergebnisse einer Studie, sondern stets auf das Studienprotokoll - darin findet sich die Planung für die Studie vor ihrem Beginn. Das bedeutet, dass sich die Kommission nie mit der Wirksamkeit dieses Produktes beschäftigt hat. Wäre Orthomol Immun ein Arzneimittel, hätte eine Zulassungsbehörde es aus meiner Sicht auf der Basis dieser Studie nie zum Verkauf zugelassen.

Fazit: Kein Nutzen in der Vorbeugung von Erkältungen.

Stiftung Warentest: Da Orthomol kein Arznei-, sondern ein Nahrungsergänzungsmittel ist, werden in dem Handbuch keine Angaben gemacht.

Curazink - Zink, Zink und noch mal Zink?

Foto: SPIEGEL ONLINE

Wirkstoff: Zink-Histidin, 94 mg pro Hartkapsel = 15 mg Zink (hier geht es zum Beipackzettel )

Der Hersteller: Laut Hersteller Stada ist Curazink ein Arzneimittel zur Behebung eines klinisch gesicherten Zinkmangels. Ein zu niedriger Zinkstatus führe zu einer Schwächung des Immunsystems, da das Element Zink in der Funktion diverser Abläufe in der Immunabwehr involviert sei. Durch den Ausgleich des Zinkhaushalts trage Curazink also durchaus dazu bei, das Immunsystem zu stärken.

Sawicki: Zink hat einen schützenden und heilenden Effekt - wenn man spätestens innerhalb der ersten 24 Stunden nach Beginn der Erkältungssymptome mehr als 75 Milligramm pro Tag einnimmt.

Fazit: Damit das Produkt vorbeugend wirkt, müsste man bei ersten Anzeichen einer Erkältung mindestens fünf Curazink-15-mg-Hartkapseln einnehmen. Als Dauereinnahme zur Stärkung der Immunabwehr ist es nicht geeignet.

Stiftung Warentest: Mit einer guten täglichen Kost können zumeist alle wichtigen Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente aufgenommen werden. Bevor man sich mit einem bestimmten Nährstoff gezielt versorgt, sollte ein ärztlicher Rat eingeholt werden.

Esberitox Compact - Wie hilfreich ist das Trockenextrakt?

Foto: SPIEGEL ONLINE

Wirkstoffe: 16 mg Trockenextrakt aus einer Mischung von Färberhülsenwurzelstock, Purpursonnenhutwurzel, Blassfarbener Sonnenhutwurzel, Lebensbaumspitzen und -blättern (hier geht es zur Fachinformation )

Der Hersteller: Esberitox-Tabletten werden laut Hersteller Schaper & Brümmer zur unterstützenden Behandlung viraler Erkältungskrankheiten angewendet. Der Einsatz bei gesunden Menschen zum Zwecke der Stärkung des Immunsystems sei kein zugelassenes Anwendungsgebiet. Ärzten und Apothekern stehe es jedoch frei, im Rahmen ihrer Therapiefreiheit oder Beratungskompetenz, im Falle der rezeptfrei verkäuflichen Arzneimittel ein Medikament außerhalb des zugelassenen Anwendungsgebiets zu verordnen und zu empfehlen.

Sawicki: Eine Stärkung der Abwehrkräfte, die zu einer Abnahme der Infekthäufigkeit führt, ist mit Esberitox nicht sinnvoll. Die mehrheitlichen Empfehlungen der Apotheken basieren vermutlich direkt oder indirekt auf ihrem merkantilen Interesse.

Stiftung Warentest: Wenig geeignet zur unterstützenden Behandlung von Atemwegsinfekten, weil die therapeutische Wirksamkeit der Einzelwirkstoffe und der Kombination nicht ausreichend nachgewiesen ist.

Was Ärzte raten: Wem Immunstärker wirklich helfen

Orthomol Immun, Zinktabletten oder ein pflanzliches Erkältungsmittel helfen also kaum, die Abwehrkräfte zu stärken. Was raten Ärzte ihren Patienten?

"Präparate zur Stärkung des Immunsystems helfen sofort - allerdings nur dem Hersteller und dem Apotheker", sagt Ferdinand Gerlach. Er ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (Degam) sowie Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Eine echte Immunschwächekrankheit sei selten und ließe sich nicht durch frei verkäufliche Nahrungsergänzungsmittel oder unspezifische Vitamincocktails bekämpfen. Nur bei begründetem Verdacht mache eine aufwendige Spezialdiagnostik Sinn.

Für die meisten Menschen, so Gerlach, sei es völlig ausreichend, wissenschaftlich gut belegt und zudem kostengünstig, auf einige bewährte Allgemeinmaßnahmen zu setzen:

  • Während der Erkältungszeit häufig die Hände waschen und möglichst wenig die eigenen Schleimhäute (Nase, Mund) oder die Augen berühren. So können von vornherein sehr viele Ansteckungen vermieden werden.
  • Mehr Bewegung an frischer Luft und mehr Schlaf wirken Wunder - zudem tut beides gut und ist kostenlos.
  • Eine ausgewogene (nicht einseitige) mediterrane Ernährung mit frischem Obst und Gemüse, Fisch, Olivenöl und ein nur mäßiger Alkoholkonsum tragen ebenfalls nachweislich zum Wohlbefinden bei und wirken krankheitsvorbeugend.
  • Soweit besondere berufliche oder private Belastungen eine Rolle spielen, sind Maßnahmen zur Stressvermeidung oder -reduktion wirkungsvoll.

"Sollten dennoch wiederholte, sonst nicht erklärbare Infektionserkrankungen auftreten, ist die Hausarztpraxis die erste Adresse", sagt Gerlach. Dort könne abgeklärt werden, ob es Hinweise auf ernste Erkrankungen gibt.

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