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Sport bei Rückenschmerzen "Besser man sucht sich was, das Spaß bringt"

Welche Sportart ist die beste für den Rücken? Die Kölner Sportwissenschaftlerin Christiane Wilke erklärt, warum es nicht immer Wirbelsäulengymnastik oder Krafttraining sein muss - und warum im Kampf gegen die Schmerzen Spaß das Beste ist.
Yogatreffen: Für einen gesunden Rücken muss es nicht immer Yoga sein

Yogatreffen: Für einen gesunden Rücken muss es nicht immer Yoga sein

Foto: EMMANUEL DUNAND/ AFP
ZUR PERSON

Christiane Wilke lehrt und forscht an der Sporthochschule Köln im Fachbereich "Bewegungsorientierte Präventions- und Rehabilitationswissenschaften".

SPIEGEL ONLINE: Welche Sportart ist die beste für den Rücken - Wirbelsäulengymnastik?

Wilke: Mit chronischen Rückenschmerzen zur Wirbelsäulengymnastik zu gehen ist großer Sport! Wenn man mal ehrlich ist, ist das doch grottenlangweilig, und deshalb hören viele Menschen schnell wieder auf damit. Besser, man sucht sich etwas, das einem Spaß bringt.

SPIEGEL ONLINE: Aber Skifahren oder Tennis zum Beispiel haben nicht gerade den Ruf, besonders rückenfreundlich zu sein?

Wilke: Wenn jemand Spaß hat am Tennisspielen oder am Skifahren, dann geht es ihm damit besser. Unter Umständen macht es jemanden todunglücklich, wenn man ihm das Tennisspielen verbietet. Man weiß heute, dass Rückenschmerzen, die chronisch sind oder immer wieder auftauchen, ein biopsychosoziales Problem sind. Die Biologie ist dabei vielleicht sogar die geringste Komponente. Deshalb helfen auch Sportarten gegen Rückenschmerzen, von denen man das gar nicht annehmen würde.

SPIEGEL ONLINE: Es gibt eine ganze Industrie, die sich damit beschäftigt, Sport anzubieten, der gesund für den Rücken sein soll - alles Unsinn?

Wilke: Es gibt eine berühmte Studie aus der Schweiz, in der verglichen wurde, inwiefern Physiotherapie, Krafttraining an Geräten und Aerobic den Rückenschmerz reduzieren. Man hätte erwartet, dass die Kräftigungstherapie oder die Physiotherapie am wirksamsten sei. In Wirklichkeit zeigte sich: Am effektivsten war Aerobic, weil die Leute daran am meisten Spaß hatten und nicht so schnell damit aufgehört haben.

SPIEGEL ONLINE: Das wird viele Menschen enttäuschen, die sich zum Beispiel beim Krafttraining abmühen, um etwas Gutes für Ihren Rücken zu tun.

Wilke: Wenn man dieses Training zusätzlich zu einem Ausdauersport nutzt, den man draußen betreibt, ist das sehr gut. Auch als Prävention ist es sinnvoll, sofern man nicht mit zu hoher Intensität einsteigt. Unsere Organsysteme passen sich in unterschiedlichen Geschwindigkeiten an das Training an. Erst reagiert das Nervensystem, dann das Herz-Kreislauf-System, dann die Muskulatur, dann Knorpel und Knochen. Es kann also sein, dass ein Krafttraining von der Muskulatur toleriert wird, nicht aber von der Bandscheibe, einer knorpeligen Struktur. Außerdem sollte man sich im Klaren sein, dass es nicht ausreicht, die oberflächliche Muskulatur zu trainieren.

SPIEGEL ONLINE: Was sollte man außerdem trainieren?

Wilke: Selbst Spitzensportler, die ein sehr gutes Muskelkorsett am Rumpf haben, bekommen zum Teil enorme Rückenschmerzen. Die Rückenmuskulatur besteht nämlich aus einem oberflächlichen und einem tiefen Anteil - bei Sportlern ist der oberflächliche Anteil sehr gut trainiert. Der tiefe Anteil ist aber für Menschen, die Rückenschmerzen haben, noch wichtiger, weil er die Wirbelsäule stabilisiert - und da haben auch Spitzensportler manchmal Defizite. Dieses Wissen hat sich erst in den letzten fünf bis zehn Jahren durchgesetzt.

SPIEGEL ONLINE: Wie kann man die tiefe Muskulatur trainieren?

Wilke: Mit den großen Maschinen im Fitnessstudio erreicht man die tiefen Bauchmuskeln nicht. Man kann sie zum Großteil nicht willentlich anspannen. Sie kontrahieren aber immer als Reflex, wenn die Wirbelsäule kippt oder rotiert. Also muss man den Körper in eine wackelige Situation bringen, um die tiefen Rückenmuskeln zu trainieren, etwa indem man auf einem Petziball sitzt, einen Fuß anhebt und dann versucht, die Wirbelsäule zu stabilisieren. Es helfen auch Dinge, die man schon lange macht, im Vierfüßlerstand diagonal einen Arm und ein Bein ausstrecken zum Beispiel.

SPIEGEL ONLINE: Was hat es mit der tiefen Bauchmuskulatur auf sich?

Wilke: Für die Stabilität der Lendenwirbelsäule sind die tiefen Bauchmuskeln sogar noch wichtiger als die am Rücken. Außerdem ist der Beckenboden wichtig, auch für Männer. Die tiefen Muskelsysteme bezeichnet man heute zusammen als "Core Stability". Es ist wichtig, diese zu trainieren, denn wenn man nur die oberflächliche Muskulatur trainiert, bekommt man dort einen Massezuwachs, den die untrainierte tiefe Muskulatur eventuell nicht mehr stabilisieren kann.

SPIEGEL ONLINE: Wie oft muss man trainieren, um einen positiven Effekt für den Rücken zu bekommen?

Wilke: Wenn man Muskulatur aufbauen will, sollte man anfangs zwei- bis dreimal pro Woche trainieren, auf einem Level, das einen nicht überfordert. Wenn man das wirklich nur wegen seines Rückens macht und keinen Spaß daran hat, ist es später möglich, die Kraft zu erhalten, indem man nur einmal trainiert. Aber anfangs muss man mehr Zeit investieren, um einen Trainingseffekt zu bekommen.

Dieser Text stammt aus dem Buch "Viel Rücken. Wenig Rat. Wie ich der Ursache meiner Schmerzen auf die Spur kam. Ein Kreuz-Krimi" von Frederik Jötten (rororo).