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Vorsorge Sport könnte Medikamente überflüssig machen

Sport statt Pillen: Bewegung kann bei manchen Krankheiten so gut vor dem Tod schützen wie gängige Medikamente. Das zeigt jetzt eine weltweite Studie. Forscher bemängeln, dass dieses Potential zu wenig ausgenutzt wird.
Freude an der Bewegung: Richtig eingesetzt kann Sport Medikamente überflüssig machen

Freude an der Bewegung: Richtig eingesetzt kann Sport Medikamente überflüssig machen

Foto: AP/dpa

Was ist die bessere Lösung, wenn der Preis das Leben sein kann: Jeden Tag eine Pille schlucken oder regelmäßig und gezielt Sport treiben? Die Frage mag im ersten Moment reißerisch klingen, doch sie verdeutlicht die Tragweite einer aktuellen Studie. Forscher haben anhand der Daten von mehr als 300.000 Menschen analysiert, ob gezielte Bewegung im Frühstadium von Erkrankungen wie Diabetes oder Herzproblemen besser vor dem Tod schützen kann als gängige Medikamente wie etwa die beliebten Blutdrucksenker. Das Ergebnis: Ja, Sport kann die bessere Präventionsmaßnahme sein.

Für ihre Analyse trugen Huseyin Naci von der London School of Economics and Political Science und John Ioannidis von der Stanford University alle verfügbaren klinischen Daten zum Effekt von Sport auf die Sterblichkeit zusammen. Insgesamt stießen sie auf vier Übersichtsstudien zu vier verschiedenen Krankheitsbildern. Eine beschäftigte sich mit dem Effekt von Bewegung bei einer Vorform des Diabetes, eine andere bei Erkrankungen der Herzkranzgefäße. Bei den beiden anderen Studien hatten die Patienten einen Schlaganfall oder Herzversagen.

Alle Studien bis auf die Diabetesuntersuchung kamen zu dem Schluss, dass die Patienten vom verordneten Training deutlich profitierten. Bewegten sie sich regelmäßig, hatten sie ein geringeres Risiko, im Zeitraum der Studie zu sterben, als Patienten ohne Sportprogramm.

Um die Erfolge mit den Effekten vorbeugender Medikamente zu vergleichen, durchforsteten die Forscher anschließend erneut die medizinischen Datenbanken. Dieses Mal suchten sie nach Studien, in denen die Wirkung von Arzneimittel auf die vier Krankheitsbilder analysiert worden war.

Bewegung übertrifft bei Schlaganfall Medikamente

Das Ergebnis: Abgesehen vom Diabetes können zwar auch Medikamente vor einem frühzeitigen Tod durch die Krankheiten schützen. Allerdings ist der Schutz nicht besser als der durch Bewegung: Bei Erkrankungen der Herzkranzgefäße war Sport ähnlich effektiv wie häufig verordnete Medikamente, darunter Statine und Betablocker. Bei der Behandlung der Schlaganfallpatienten übertraf der Effekt der Bewegung sogar die Medikamente, bei einem Herzversagen wirkten Diuretika etwas besser als das verordnete Training.

"Die herausragende Stärke dieser großangelegten Netzwerk-Metaanalyse ist, dass sie erstmals alle weltweit verfügbaren Daten aus kontrollierten klinischen Studien zusammengeführt und den Effekt körperlicher Aktivität auf das Sterberisiko mit dem von medikamentöser Therapie verglichen hat", schreibt Michael Leitzmann, der das Institut für Epidemiologie und Präventivmedizin an der Universität Regensburg leitet und nicht an der Studie beteiligt war.

Allerdings offenbarten sich beim Zusammentragen der Studien auch Lücken: "Bei allen vier Krankheitsbildern gibt es deutlich mehr Daten zum Effekt der Medikamente als zum Effekt der Bewegung", schreiben die Forscher in ihrer Veröffentlichung im "British Medical Journal" . Beim Schlaganfall etwa wurden die Erfolge durch Bewegung nur bei 227 Patienten untersucht, die Ergebnisse sind deshalb sehr vorsichtig zu interpretieren. Die Wirkung von blutverdünnenden Mitteln hingegen wurde beim selben Krankheitsbild bei weit mehr als 70.000 Menschen getestet.

"Wert der Bewegung nicht ausgeschöpft"

"Die einseitige, auf Medikamente konzentrierte Forschung führt möglicherweise dazu, dass die effektivsten Therapien für Krankheitsbilder unerkannt bleiben, falls es sich dabei nicht um eine Behandlung mit Arzneimitteln handelt", warnen die Forscher in ihrer Studie. Sie fordern die Wissenschaft dazu auf, die Wirkung präventiv eingenommener Medikamente in weiteren Studien direkt mit der Wirkung von Bewegungsprogrammen zu vergleichen - bisher fehlt es an derartigen Untersuchungen.

Dadurch könnte noch eine weitere Unsicherheit der jetzigen Studie behoben werden: Die Patientengruppen bei den Medikamenten- und den Bewegungsstudien unterschieden sich zum Teil deutlich. Dies könne möglicherweise das Gesamtergebnis verzerrt haben, so Leitzmann. "Es ist beispielsweise denkbar, dass Patienten in den Medikamentenstudien schwerer krank waren als solche in den Bewegungsstudien."

Könnten die Resultate der Studie gefestigt und die Erkenntnisse über den Effekt der Bewegung ausgebaut werden, dürfte wohl vor allem der Patient profitieren: Körperliche Aktivität bringt nach derzeitigem Kenntnisstand keine kritischen Nebenwirkungen. Dennoch werde ihr Wert bei der Prävention von Krankheiten in der Praxis heute nicht vollständig ausgeschöpft, sagt Leitzmann. Ein Grund dafür sei, dass es auch an wissenschaftlich gesicherten Daten bezüglich der genauen Art, Häufigkeit Frequenz und Intensität präventiv wirkender körperlichen Bewegung mangele. "Dadurch ist es für den Arzt eine Herausforderung, seinen Patienten eine präzise Dosis körperlicher Aktivität zu verordnen."