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Beckenbodentraining im Fitnessstudio "Das ist kein Hokuspokus"

Eine neue Maschine in Fitnesstudios soll die Beckenbodenmuskulatur stärken. Laut den Erfindern soll die Übung sogar zu besseren Orgasmen führen. Trainieren lässt sich der Muskel allerdings auch anderswo.
Beckenbodentraining an der Maschine: "Der Weg zu quantifzierbaren Resultaten"

Beckenbodentraining an der Maschine: "Der Weg zu quantifzierbaren Resultaten"

Foto: Kieser Training AG
Zur Person
Foto: Kieser Training AG

Werner Kieser, Jahrgang 1940, ist ein Schweizer Unternehmer und Gründer der Franchise-Kette Kieser-Training (mehr als 140 Studios in acht Ländern) - Motto: "Ein starker Körper kennt keinen Schmerz." Der ausgebildete Schreiner, ehemalige Boxer, Diplomtrainer und studierte Philosoph (MA) setzt auf intensives Krafttraining. Mit 26 Jahren eröffnete Kieser sein erstes Studio in Zürich, mit eigenen Geräten, die er aus Material vom Schrottplatz zusammengeschweißt hat.

Foto: Kieser Training AG

Gabriela Kieser, Jahrgang 1958, war eine der ersten Ärztinnen, die Rückenschmerzen mit Krafttraining behandelt haben. 1990 eröffnete sie die erste europäische Praxis für Medizinische Kräftigungstherapie gegen chronische Rückenleiden. Gemeinsam mit ihrem Mann Werner Kieser entwickelte sie das Kieser-Training. Das Paar lebt in Zürich.

SPIEGEL ONLINE: Frau Kieser, Herr Kieser, wie geht's Ihren Beckenböden?

Gabriela Kieser: Jetzt gut. Ich bin zwar Ärztin, aber der Beckenboden war für mich lange nur ein Randthema.

Werner Kieser: Mein Beckenboden ist eher zu stark. Bei trainierten Menschen sind die Beckenbodenmuskeln meist ganz gut trainiert. Das Problem ist: Wenn ich Ihnen sage, spannen Sie den Bizeps an, dann können Sie das. Aber den Beckenboden? Die meisten wissen nicht, was sie wo anspannen sollen.

SPIEGEL ONLINE: Warum machen Sie so viel Aufhebens um einen Muskel, von dem die meisten Menschen noch nicht einmal wissen, dass sie ihn haben?

Werner Kieser: Weil ein starker Beckenboden glücklich macht. Ganz klar.

Gabriela Kieser: Weil viele ein großes Problem mit dem Beckenboden haben. Er ist das Zentrum, das Powerhouse vom Rumpf. Leider ist diese Muskulatur oft unterversorgt, weil wir viel sitzen und stehen. Wenn der Beckenboden schwächer wird, kann es zu Inkontinenz kommen, und davon sind auch schon junge Frauen betroffen, vor allem nach Schwangerschaft und Geburt . Von den 60-jährigen Frauen leidet nahezu jede Dritte an Urininkontinenz.

Werner Kieser: Männer trifft es oft nach Prostata-Operationen.

Gabriela Kieser: Wenn man ungewollt einen Tropfen Urin beim Lachen, Husten, Pressen verliert, also nicht mehr seine Ausscheidungen kontrollieren kann, können daraus massive psychologische Probleme folgen. Der Mann ist anatomisch im Vorteil, da sein Becken schmaler ist. Er muss nicht gebären und hat dazu kräftigere Muskeln.

SPIEGEL ONLINE: Deshalb sagen Sie, man müsse den Beckenboden trainieren. Am besten mit der neuen Maschine von Kieser. Aber ist Training an einem Gerät wirklich nötig? Mittlerweile gibt es doch zahlreiche Beckenbodenschulen, Yoga- und Gymnastikübungen.

Werner Kieser: Der Ursprung der Idee war: Wie stellt man fest, dass es tatsächlich der Beckenboden ist, den wir anspannen? Sie können da sitzen, sich konzentrieren und versuchen, den Beckenboden anzuspannen, aber Sie wissen nicht, ob es wirklich der richtige Muskel ist oder nicht vielleicht doch das Gesäßmuskulatur. Und noch entscheidender: Sie sehen keine Resultate und können den Fortschritt nicht messen.

Gabriela Kieser: Es gibt zwar Sonden, die man bei der Frau in die Vagina einführt, aber die sind sehr unangenehm und es ist sehr aufwendig.

Werner Kieser: Viele Fachleute glauben, den Beckenboden könne man gar nicht trainieren - bis sie auf unserer Maschine sitzen, dann merken sie, es geht doch. Wir hatten eine Beckenbodentrainerin als Probandin bei einer internen Studie, die in den vergangenen zehn Jahren noch nie wirklich ihren Beckenboden angespannt hat. Das hat sie aber erst gemerkt, als sie auf unserer Maschine saß. Unser Gerät ist weltweit der einzige Weg zu quantifzierbaren Resultaten - für Frau und Mann.

SPIEGEL ONLINE: Wie kamen Sie auf die Idee?

Werner Kieser: Eine Beckenbodenlehrerin brachte uns auf die Idee. Wir haben dann verschiedene Geräte gebaut, aber nichts hat funktioniert. Fünf Jahre haben wir getüftelt, bis eines Tages ein Therapeut in mein Büro kam und mir die Lösung präsentierte.

SPIEGEL ONLINE: Und wie sieht die aus?

Werner Kieser: Das Becken besteht aus zwei Schalen, die Verbindung ist die Muskulatur des Beckenbodens. Wenn Sie sich hinsetzen, gehen die Schalen auseinander, wenn Sie aufstehen, gehen sie wieder zusammen. Die Maschine funktioniert so: Sie setzen sich längs auf einen Schlauch, der mit einer Flüssigkeit gefüllt ist. Wenn Sie die Muskeln anspannen, drückt es auf den Schlauch. Der Druck wird auf dem Computer-Bildschirm übertragen.

Gabriela Kieser: Sie müssen einer Kurve durch An- und Entspannung der Beckenbodenmuskulatur folgen. Der Computer gibt Ihnen eine Note von 1 bis 10, wie gut Sie der Kurve gefolgt sind.

SPIEGEL ONLINE: Wenn man sich die Werbung für die neue Beckenbodenmaschine durchliest, könnte man glauben, sie sei ein wahres Wunderwerk. Sogar potenzsteigernd soll sie sein. Mal ehrlich, ist das nicht ein wenig plump: Beckenbodentraining als Sextraining zu verkaufen?

Werner Kieser: So gewinnen Sie die Männer.

Gabriela Kieser: Und es stimmt ja. Das ist kein Hokuspokus. Durch gezieltes Beckenbodentraining wird das Lustempfinden gesteigert. Bei der weiblichen Sexualität ist die Vagina nicht besonders enerviert, aber der Beckenboden ist sehr sensibel. Ein kräftiger, gesunder Beckenbodenmuskel, der sich beim Sex kontrahiert und entspannt, erhöht die Lustgefühle für Frau - und für den Mann. Der spürt das. Der Mann wiederum kann durch die Kontraktion des Beckenbodens trainieren, die Erektion länger zu halten.

SPIEGEL ONLINE: Keine Angst vor Schlagzeilen wie "Kieser hat eine Sexmaschine" oder vom "Muskel- zum Sexpapst"?

Werner Kieser: Ob das zur Seriosität beiträgt, weiß ich nicht (lacht). Fakt ist, dass die Beckenbodenregion immer noch eine Tabuzone ist. Der Körper ist vielen in unserer christlich-jüdisch geprägten Kultur nicht geheuer, das gilt besonders fürs Zentrum.

Gabriela Kieser: Man kann überall Bezug zum Beckenboden aufnehmen. Das ist eine tägliche Aufgabe, die überall ausgeübt werden sollte: beim Busfahren, Telefonieren oder bei der Arbeit.

Interview: Frank Joung
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