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Diäten Low-Carb erhöht Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten

Abnehmen nach Atkins, Logi-Methode, Steinzeitdiät oder das South-Beach-Konzept: Viele Diäten dieser Art sind umstritten. Jetzt bestätigt eine aktuelle Studie die Sorgen von Kritikern. Eine kohlenhydratarme und eiweißreiche Ernährung kann das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall deutlich steigern.
Viel Eiweiß, kaum Kohlenhydrate: Bei vielen Low-Carb-Diäten steht Fleisch häufig auf dem Speiseplan

Viel Eiweiß, kaum Kohlenhydrate: Bei vielen Low-Carb-Diäten steht Fleisch häufig auf dem Speiseplan

Foto: Corbis

Morgens Rührei, mittags Gulasch, abends Zwiebelrostbraten: So kann der Tag eines Abnehmwilligen in einer der vielen Low-Carb-Diäten aussehen. Sie alle haben eines gemein: Auf Kohlenhydrate soll man möglichst verzichten, weil sie angeblich schädlich für den Körper sind. Schließlich, so der Grundgedanke dahinter, habe der Mensch jahrtausendelang ohne viel Kohlenhydrate gelebt. Stattdessen soll, wer an Gewicht verlieren will, sich auf Proteine (Eiweiße) konzentrieren. Daran sei der Körper seit der Steinzeit angepasst.

Die wichtigsten Nährstoffe

Eine große Studie an mehr als 40.000 schwedischen Frauen rüttelt jetzt an den Glaubenssätzen der Low-Carb-Bewegung. Darin geht es nicht darum, mit welcher Ernährungsform Übergewichtige schneller oder dauerhaft abnehmen können. Vielmehr beschäftigen sich die Forscher mit den gesundheitlichen Folgen einseitiger Diäten. Wie Pagona Lagiou von der Athener Universität und ihre Kollegen im Fachmagazin "British Medical Journal"  schreiben, steigt das Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten wie Herzinfarkt oder Schlaganfall, je eiweißreicher und kohlenhydratärmer man sich ernährt.

Auffällig ist, dass die in der Studie untersuchten Frauen sich im Vergleich zu den Empfehlungen vieler Diäten ausgewogen ernährten: Selbst diejenigen unter ihnen, die wenig Kohlenhydrate zu sich nahmen, aßen immer noch mehr davon als nach vielen Diätplänen empfohlen. Die Gruppe von Studienteilnehmerinnen mit den meisten proteinhaltigen Speisen auf dem Plan blieb dagegen immer noch unter den empfohlenen Mengen vieler Abnehmtipps zurück. Viele der Low-Carb-Diätpläne schreiben vor, weniger als 15 Prozent der täglichen Kalorienmenge aus Kohlenhydraten zu sich zu nehmen, dafür aber mehr als 30 Prozent aus Proteinen.

Fünf Gramm mehr Protein steigern das Herz-Kreislauf-Risiko um fünf Prozent

Die Wissenschaftler befragten die Frauen mit Hilfe von Fragebögen, wie sie sich ernähren. Anschließend verfolgten die Forscher über einen durchschnittlichen Zeitraum von mehr als 15 Jahren, welche Frauen mehr Herz-Kreislauf-Krankheiten entwickelten. Anhand der Ernährungsfragebögen verteilten die Mediziner Punktewerte für jede Frau: zwei Punkte bedeuten eine kohlenhydratreiche, eiweißarme Ernährung, 20 Punkte dagegen eine kohlenhydratarme, proteinreiche Ernährung nach dem Modell der Low-Carb-Diäten.

Im Ergebnis steigt das allgemeine Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen an, je weniger Kohlenhydrate und je mehr Eiweiß man zu sich nimmt. Täglich je 20 Gramm Kohlenhydrate weniger und fünf Gramm Protein mehr lassen die Gefahr von Herz-Kreislauf-Krankheiten demnach um fünf Prozent ansteigen. Das Risiko steigt immer weiter, je mehr Protein und je weniger Kohlenhydrate man zu sich nimmt. Eine Banane enthält beispielsweise bereits mehr als 20 Gramm Kohlenhydrate, in einer Handvoll Erdnüsse (25 Gramm) stecken über fünf Gramm Protein.

Dabei machte es keinen grundsätzlichen Unterschied, ob die Eiweiße in der Ernährung vor allem aus tierischen oder pflanzlichen Quellen stammten. Zwar gab es statistische Hinweise darauf, dass das Risiko für Folgekrankheiten an den Gefäßen höher sein könnte, wenn die Proteine vor allem tierischen Ursprungs sind. Doch diese statistischen Unterschiede waren nicht ausreichend groß, um im Ergebnis einen Unterschied zwischen den beiden Eiweißquellen zu machen.

Low-Carb bedeutet häufig weniger Obst, Gemüse und Vollkornprodukte

Seitdem Low-Carb-Diäten beworben werden, gibt es unter Medizinern Bedenken wegen möglicher Langzeitfolgen. Ein Großteil der in der Nahrung aufgenommenen Kohlenhydrate kommt aus Gemüse, Früchten und Getreideprodukten. Wer sich kohlenhydratarm ernährt, verzichtet daher weitgehend auf diese wichtigen Lebensmittel.

Einfach zugängliche Proteinquellen sind dagegen vor allem tierische Produkte wie Fleisch oder Eierspeisen. Gerade große Mengen an Fleisch in der Ernährung werden allerdings in einer Vielzahl an Studien mit Herz-Kreislauf-Krankheiten wie Herzinfarkt oder Schlaganfall in Verbindung gebracht.

"Es gibt Hinweise, dass durch rotes und industriell bearbeitetes Fleisch das Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten steigen könnte. Eine Low-Carb-Ernährung könnte ernährungswissenschaftlich akzeptabel sein, wenn das Eiweiß vor allem aus Pflanzen käme und bei den Kohlenhydraten vor allem die einfachen und raffinierten Zucker vermieden würden", sagt Studienautorin Lagiou zu SPIEGEL ONLINE. "Doch die breite Öffentlichkeit nimmt diese Einschränkungen nicht immer wahr und setzt sie auch nicht immer um."

In den letzten Jahren gab es bereits mehrere kleine europäische Studien, die eine höhere Sterblichkeit wegen Herz-Kreislauf-Krankheiten durch eine Low-Carb-Ernährung nahelegten. Daten aus der großen Nurses Health Study  in den USA zeigten keinen solchen Zusammenhang. Manche Wissenschaftler führten das auf Unterschiede zwischen europäischen und US-Studienteilnehmern zurück, etwa der Verbreitung von Übergewicht in der Bevölkerung und unterschiedlich beliebten Eiweißquellen wie Fleisch oder Gemüse.

In früheren Studien gab es sogar Hinweise, dass Übergewichtige mit kurzfristigen Low-Carb-Diäten nicht nur abnehmen können, sondern auch ihre Blutfettwerte verbessern können. "Das waren allerdings eher kurzzeitige Studien", sagt die Ernährungswissenschaftlerin Anna Flögel vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung  in Potsdam-Rehbrücke. "Die Langzeiteffekte sind bis heute nicht ausreichend geklärt. Aufgrund der widersprüchlichen Studienlage sollten Low-Carb-Diäten derzeitig nicht zur langfristigen Gewichtskontrolle empfohlen werden."

Ernährungsstudien