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Cholesterin Bewegung schlägt Laborwerte

Die Rollen sind klar verteilt: Schlechtes LDL-Cholesterin erhöht angeblich das Herzinfarktrisiko, gutes HDL-Cholesterin schützt die Gefäße. Rechtzeitig zu den Neujahrsvorsätzen gerät das Dogma durch aktuelle Studien ins Wanken: Viel wichtiger sind offenbar Sport und Bewegung.
Blutzellen (Illustration): Wissenschaftler streiten über die Rolle von HDL- und LDL-Cholesterin

Blutzellen (Illustration): Wissenschaftler streiten über die Rolle von HDL- und LDL-Cholesterin

Foto: Corbis

Zu viel Cholesterin schadet dem Herzen - dieses Ärztemantra gehört mittlerweile zum Allgemeinwissen. Schon weniger bekannt ist, dass Cholesterin nicht gleich Cholesterin ist. Während das LDL-Cholesterin zu Gefäßentzündungen führt, soll HDL-Cholesterin die Adern schützen. Doch genau dieses Dogma gerät jetzt ins Wanken. Denn das HDL-Cholesterin kann seine Schutzwirkung verlieren.

Erste Hinweise hatte bereits eine 2006 beendete Studie (Illuminate) mit über 15.000 Teilnehmern ergeben: Obwohl der vom Hersteller Pfizer entwickelte Wirkstoff Torcetrapib den HDL-Blutspiegel bis auf das Doppelte anhob, starben in der mit dem Medikament behandelten Studiengruppe nicht etwa weniger Teilnehmer als in der Placebo-Gruppe - die Sterblichkeit stieg sogar um fast 60 Prozent, berichteten die Autoren im Fachmagazin "New England Journal of Medicine" . Die Studie wurde umgehend abgebrochen.

Ebenso entmutigend endete im Mai 2012 eine Studie des Schweizer Pharmariesen Hoffmann-La Roche. Dessen Wirkstoff Dalcetrapib erhöht anders als Torcetrapib zwar weder den Blutdruck noch die Sterblichkeit - allerdings sinkt die Sterblichkeit auch nicht, berichtet die Studiengruppe jetzt ebenfalls im "New England Journal of Medicine" .

Und genauso fraglich ist, ob ein dritter Wirkstoff - Anacetrapib von Merck - die in ihn gesetzten Erwartungen bis zum geplanten Studienende 2016 erfüllen wird.

Wieso nutzt HDL-Cholesterin nur manchen Patienten?

Die Frage, wieso HDL-Cholesterin manche Patienten schützt, andere aber nicht, beschäftigt den Kardiologen Ulf Landmesser vom Uni-Spital Zürich. Die Antwort entschlüsselte Landmesser im vergangenen Jahr: "Wir haben herausgefunden, dass das HDL-Cholesterin oxidieren kann", sagt Landmesser. "Dadurch verliert es seine protektive Wirkung."

Die Schutzwirkung des HDL-Cholesterins beruht auf mindestens drei Effekten: Es wäscht Cholesterin aus den Gefäßen heraus und transportiert den Fettspeicher in die Leber zurück, wo die Moleküle abgebaut werden. Zudem steigert das HDL-Cholesterin die Produktion von Stickstoffmonoxid (NO) - das Molekül senkt unter anderem den Blutdruck und verringert den Widerstand der Blutgefäße. Schließlich hemmt HDL-Cholesterin Entzündungen.

Schuld am Verlust der Schutzwirkung des HDL-Cholesterins scheint ein gestörtes Enzym bei betroffenen Patienten zu sein. Kardiologe Landmesser hatte 2011 das Blut von 25 gesunden und 50 herzkranken Personen verglichen . Auffällig war, dass bei den Erkrankten ein Enzym, die Paraoxonase, deutlich weniger wirksam war. Die Paraoxonase schützt die Fette im Cholesterin. Besonders hoch ist das Risiko für eine Paraoxonase-Fehlfunktion bei Typ-2-Diabetikern. Bei ihnen laufen viele Stoffwechselvorgänge völlig aus dem Ruder. Landmessers Team konnte allerdings zeigen, dass Vitamin B3 die Schutzfunktion des HDL-Cholesterins bei Betroffenen bessert.

Bewegung ist das beste Mittel bei zu hohen Cholesterinwerten

Wie könnten Betroffene das unerwünschte, oxidierte HDL-Cholesterin vermeiden helfen? "Eine ebenso einfache wie wirkungsvolle Methode", sagt Volker Adams, Leiter des kardiologischen Forschungslabors am Herzzentrum Leipzig, "stellt eine gesteigerte körperliche Aktivität dar."

Adams Arbeitskreis hatte eine Gruppe von 24 Probanden untersucht, darunter acht herzgesunde, acht mittelgradig sowie acht schwer herzkranke Patienten. Diese absolvierten drei Monate lang fünfmal die Woche ein 20- bis 30-minütiges Ausdauertraining. Die geringe Teilnehmerzahl erklärt sich aus dem enormen Aufwand bei der Analyse der Blutproben: Da es keinerlei Standardverfahren gibt, dauert eine einzige Laboruntersuchung geschlagene zwei Wochen.

"Wir konnten zeigen, dass sich die Konzentration von oxidiertem Cholesterin bei den acht schwer herzkranken Patienten durch Sport deutlich senken lässt", freut sich Adams. Doch es sank nicht nur die Konzentration des veränderten HDL-Cholesterins um rund ein Drittel - auch die Stickstoffmonoxidsynthese (NO) in der Gefäßwand stieg wieder deutlich an. Ob sich auch der Rücktransport des unerwünschten LDL-Cholesterins in die Leber verbessert, untersucht Adams gerade.

Dass Messungen der schieren HDL-Cholesterinspiegel nicht mehr ausreichen, um das Herz-Kreislauf-Risiko eines Menschen zu schätzen, hat mittlerweile auch die zuständige US-Fachgesellschaft erreicht: Bei der letzten Jahrestagung der American Heart Association schlussfolgerten die Experten, die Menge alleine könne die Schutzwirkung des HDL-Cholesterins nicht widerspiegeln - in Zukunft müsse auch die Funktionsfähigkeit berücksichtigt werden.

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