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Ernährung "Viele Deutsche können nicht mehr kochen"

Immer weniger Menschen wissen, was eine gesunde Ernährung ausmacht, warnt Spezialist Hans Hauner. Im Interview erklärt er, warum viele das Kochen verlernt haben und wie ihre Gesundheit darunter leidet.
Zubereitung von Salat: Frische Lebensmittel selbst verarbeiten ist für viele Menschen nicht mehr selbstverständlich

Zubereitung von Salat: Frische Lebensmittel selbst verarbeiten ist für viele Menschen nicht mehr selbstverständlich

Foto: Corbis
Zur Person

Hans Hauner (Jahrgang 1955) ist langjähriger Direktor des Else Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin mit Standorten am TUM-Klinikum rechts der Isar und am Wissenschaftszentrum Weihenstephan für Ernährung, Landnutzung und Umwelt der TU München.

SPIEGEL ONLINE: Eine Ernährung mit Fertiggerichten und zuckerreichen Getränken gefährde die Gesundheit noch stärker als das Rauchen, warnte jüngst ein UN-Experte . In welche Richtung gehen die aktuellen Ernährungstrends und was bedeutet das für unsere Esskultur?

Hauner: Sie gehen eindeutig in Richtung Außer-Haus-Verzehr und Convenience-Food. Vor allem jüngere Menschen greifen gerne auf diese Essensangebote zurück. Essen und Mahlzeiten haben heutzutage oftmals keinen festen Platz mehr im Tagesablauf. Man isst, wenn man etwas sieht, das man lecker findet und wovon man weiß, dass es satt macht. Das macht eine vernünftige und gesunde Ernährung schwierig, zumal die Menschen den Überblick verlieren, was sie im Laufe des Tages gegessen und wie viel sie zusätzlich genascht haben.

SPIEGEL ONLINE: Sind deshalb so viele Menschen zu dick?

Hauner: Fast-Food-Angebote müssten nicht unbedingt schlecht sein. Nur das, was wir heute als Fast Food erhalten, bedeutet fett-, zucker- und salzreiches, dafür aber ballaststoffarmes Essen. Und es bedeutet hohen Fleischverzehr. Die Nährstoffdichte von Fast Food ist gering, der Kaloriengehalt hoch. Diese Ernährungsweise begünstigt Übergewicht und langfristig einen Typ-2-Diabetes. Man wird allerdings nicht sofort krank. Deshalb finden viele Menschen ihre Ernährungsweise völlig in Ordnung.

SPIEGEL ONLINE: Lässt sich dieser Ernährungstrend umkehren?

Hauner: Wohl eher nicht. Wir müssen mit dem bestehenden Lebensmittelangebot, zu dem auch Fast Food gehört, leben. Aber wir sollten versuchen, die Qualität von Fast Food und Convenience-Lebensmitteln zu verbessern. Das ist möglich. Der Verbraucher muss sich beim Einkaufen für verbesserte Produkte entscheiden. Außerdem benötigen wir eine bessere Lebensmittelkennzeichnung in Fast-Food-Restaurants wie überhaupt in allen gastronomischen Betrieben. Aber das setzt wiederum voraus, dass die Verbraucher zumindest grundlegende Kenntnisse zu gesunder Ernährung haben und sich auch dafür interessieren. Vielfach ist das jedoch eher nicht gegeben.

SPIEGEL ONLINE: Hängt diese Entwicklung auch damit zusammen, dass es kaum noch üblich ist, selbst zu kochen?

Hauner: Ja, das spielt sicher eine wichtige Rolle. Viele Deutsche sehen Kochen als verlorene Zeit an, sind beruflich stark eingespannt, wollen für sich allein nicht kochen. Und sie können häufig auch gar nicht kochen.

SPIEGEL ONLINE: Woran liegt das?

Hauner: Kinder lernen das Kochen nicht mehr von den Eltern. Sie bekommen nicht mehr mit, wie Essen entsteht. Früher gab es zumindest für die Mädchen das Fach Hauswirtschaft, in dem Kochgrundkenntnisse vermittelt wurden. In Folge der Emanzipation wurde es abgeschafft, die Frauen sollten studieren und "nicht mehr am Herd stehen". Besser wäre es gewesen, Hauswirtschaft auch für die Jungen einzuführen. Das wäre echte Emanzipation gewesen. So aber können immer weniger Menschen kochen. In Ländern wie Australien und Kanada wird mehr Wert darauf gelegt.

SPIEGEL ONLINE: Warum wird bei uns nicht ein Fach wie "Food Studies" eingeführt?

Hauner: Das wird kaum möglich sein, weil die politisch Verantwortlichen sich nicht wirklich für eine Änderung einsetzen. Der Aufbau von Schulküchen wäre kostenintensiv. Hinzu kommen unsere zahlreichen und mitunter unsinnigen Vorschriften als weitere Hürde. In Deutschland gibt es derzeit etwas Ernährungsunterricht in der Grundschule. Dieser Ansatz ist grundsätzlich begrüßenswert. Doch selbst, wenn die Kinder in der Schule etwas Bewusstsein für gesundes Essen vermittelt bekommen, verliert sich das schnell wieder, wenn zu Hause kein Wert auf gesundes Essen gelegt wird. Trotzdem sollte man es zumindest versuchen und zwar bereits in den Kindertagesstätten. Kinder können hier spielerisch mit Ernährung und Kochen vertraut gemacht werden.

SPIEGEL ONLINE: Sie sind der Meinung, dass fleischreiche Ernährung Nachteile für Gesundheit und Umwelt hat. Wie ist das zu verstehen?

Hauner: Fleisch ist ein wertvolles Lebensmittel. Aber in Deutschland beträgt der Fleischverzehr durchschnittlich 200 Gramm pro Kopf und Tag. Das ist einfach zu viel. Ein individuell hoher Fleischverzehr hatte in den Nachkriegsjahren den psychologischen Effekt "Es geht uns gut". Und so ist es geblieben. In gesundheitlicher Hinsicht ist ausgiebiger Fleischverzehr aber negativ, weil wir wissen, dass ein hoher Konsum von tierischem Eiweiß das Risiko für Darmkrebs erhöht und Typ-2-Diabetes fördert. Der zweite Punkt ist, dass der große Fleischverzehr der Deutschen nur durch Massentierhaltung möglich ist. Diese nicht artgerechte Haltungsweise der Tiere widerspricht massiv dem Tierschutzgedanken. Hinzu kommt, dass in der Tiermast große Mengen Antibiotika eingesetzt werden, was die Entstehung von Resistenzen fördert. Das kann für den Menschen langfristig gefährlich werden. Auch die Ökobilanz ist bei der Fleischproduktion ziemlich schlecht. Der Ressourcenverbrauch an Futtermitteln wie Getreide und an Wasser für die Fleischproduktion ist erheblich. Wenn sich alle Menschen so ernähren würden wie wir Deutschen, wäre die Erde längst ruiniert.

SPIEGEL ONLINE: Kann selber kochen die Einstellung zur Ernährung positiv beeinflussen?

Hauner: Ich glaube, dass es sich positiv auswirken würde, weil die Menschen dann eher sehen, von welcher Qualität die verwendeten Nahrungsmittel sind, und vielleicht fortan bewusster einkaufen würden.

SPIEGEL ONLINE: Ist das ein Plädoyer für mehr Qualität statt Quantität?

Ernährungs-Quiz

Hauner: Auf jeden Fall. Aber viele deutsche Verbraucher sind nicht bereit, fürs Essen mehr Geld auszugeben. Sie schauen zu wenig auf die Qualität. Wer zum Beispiel weniger Fleisch isst, spart Geld und kann qualitativ besseres Fleisch kaufen. Wir sollten es uns wert sein, uns bewusst und gesund zu ernähren. Letztendlich ist der Mensch, was er isst.