Zum Inhalt springen

Anti-Milch-Kampagnen Milch ist besser als ihr Ruf

Milch macht dick und krank, das sind Botschaften einer aktuellen Veganer-Kampagne. Ernährungswissenschaftler Gerhard Rechkemmer erklärt, warum die Milchgegner in den meisten Fällen falsch liegen.
Milch: Ist vor allem für Kinder sehr gut geeignet

Milch: Ist vor allem für Kinder sehr gut geeignet

Foto: Corbis
Zur Person

Gerhard Rechkemmer ist Präsident des Max Rubner-Instituts (MRI), des Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel, in Karlsruhe. Der Ernährungswissenschaftler ist zudem Mitglied im Direktionsteam des International Life Science Institute und Professor an der Tierärztlichen Hochschule Hannover und am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) sowie Chef-Herausgeber des "European Journal of Nutrition", der europaweit führenden wissenschaftlichen Zeitschrift für Ernährungswissenschaft.

SPIEGEL ONLINE: Milch als Nahrungsmittel wird im Moment häufig kritisiert und für viele Zivilisations-Krankheiten verantwortlich gemacht - zu Recht?

Rechkemmer: Das sind zum Großteil aus alternativ-medizinischen Kreisen gestreute Falschinformationen, für die es keine wissenschaftliche Grundlage gibt.

SPIEGEL ONLINE: Milchkritiker behaupten, es könne nicht gesund sein, wenn wir die Babynahrung eines anderen Säugetiers zu uns nehmen.

Rechkemmer: Dass wir als Menschen Organismen zu uns nehmen, die fremd sind, ist ja nichts Besonderes - ansonsten müssten wir uns ja als Kannibalen ernähren. Wir nutzen nicht nur Milch von Kühen, die für uns nicht vorgesehen ist, sondern wir essen auch Früchte von Pflanzen, die diese für ihre Fortpflanzung gebildet haben.

SPIEGEL ONLINE: Aber Säugetiere müssen als Kind ja besonders versorgt werden - gibt es Anhaltspunkte, dass Substanzen aus der Milch, die dafür sorgen, dass Kälber gedeihen, für Menschen schädlich sind?

Rechkemmer: In der Kuhmilch kommt der Wachstumsfaktor IGF (Insulin-like Growth Factor) vor, den es auch in der Muttermilch gibt, dort allerdings in geringeren Mengen. Man weiß aus epidemiologischen Untersuchungen, dass die Menschen, die in der Kindheit und Jugend Milch konsumieren, größer werden - ob das auf den IGF oder einfach auf die gute Ernährung durch Milch zurückzuführen ist, ist bislang nicht geklärt.

SPIEGEL ONLINE: Das spricht aber dafür, dass diese Wachstumsfaktoren auch beim erwachsenen Menschen einen Effekt haben könnten.

Rechkemmer: Wobei Körpergröße nicht mit einem Risikofaktor für Erkrankungen gleichzusetzen ist. Aus heutiger Sicht ist die Konzentration der Hormone in der Kuhmilch zu gering, um sich auf den Körper des Menschen gesundheitsschädlich auszuwirken.

SPIEGEL ONLINE: Ein häufiger Vorwurf lautet, Milch verursache Fettleibigkeit. Gibt es dafür Anhaltspunkte?

Rechkemmer: Wenn ich über meinen Milchkonsum mehr Kalorien aufnehme, als ich an Energie verbrauche, wird das als Fett gespeichert. Das gilt aber für jedes Lebensmittel. In der Realität ist es so, dass die Hälfte der Studien keinen Zusammenhang zwischen Milchverzehr und Gewicht feststellen konnten - und die restlichen sogar darauf hindeuten, dass Milch in geringem Maße vor Übergewicht schützt .

SPIEGEL ONLINE: Wie sieht es mit Herz-Kreislauferkrankungen und Diabetes aus?

Rechkemmer: Ein vermehrter Verzehr von Milch und Milchprodukten erhöht weder das Risiko für Herzkreislauferkrankungen noch für Schlaganfälle. Stattdessen findet man bei Menschen, die viele Milchprodukte zu sich nehmen, sogar ein verringertes Risiko für Bluthochdruck  und Diabetes mellitus Typ 2.

SPIEGEL ONLINE: Weiter geht es mit den Anschuldigungen: Gibt es irgendeinen Einfluss auf Cellulitis, Konzentrationsschwierigkeiten und Schlafstörungen?

Rechkemmer: Mir wäre nichts bekannt, was da einen seriösen Zusammenhang herstellen würde.

SPIEGEL ONLINE: Aber bei Akne wurde ein Zusammenhang mit Milchkonsum gefunden.

Rechkemmer: Bei Akne gibt es einen Zusammenhang , wobei das nur für Menschen gilt, die genetisch hinsichtlich Akne vorbelastet sind. Bei diesen Personen kann es durch einen hohen Milchkonsum dazu kommen, dass sich das Krankheitsbild verstärkt.

SPIEGEL ONLINE: Bei Krebs und Milch gibt es immer wieder widersprüchliche Aussagen. Was stimmt?

Rechkemmer: Milch und Milchprodukte verringern das Risiko von Dickdarmkrebs  ab 200 Milliliter Milch pro Tag, den stärksten Effekt gab es bei 500 bis 800 Millilitern pro Tag. Auch das Brustkrebsrisiko wird durch Milchprodukte sogar verringert. Nur für den Prostatakrebs könnte das Risiko erhöht sein durch Milchkonsum. Dafür gibt es Hinweise, diese werden aber noch nicht als überzeugend klassifiziert.

SPIEGEL ONLINE: Trotzdem beunruhigend für Männer. Welche Menge Milch darf man unbesorgt zu sich nehmen?

Rechkemmer: Es gibt von den Ernährungsgesellschaften Richtwerte - 250 Milliliter Trinkmilch pro Tag werden empfohlen. Milchprodukte insgesamt sind eine wichtige Quelle für Kalzium. Die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) liegt bei 1000 Milligramm Kalzium pro Tag. Wenn man sie mit Milchprodukten erreichen will, braucht man neben den 250 Millilitern Milch zum Beispiel noch zwei Scheiben Hartkäse und einen Joghurt von 150 Gramm.

SPIEGEL ONLINE: Das Prostata-Krebsrisiko wäre damit noch nicht erhöht?

Rechkemmer: Nein, erst ab 1,25 Liter Trinkmilch oder 140 Gramm Hartkäse pro Tag.

SPIEGEL ONLINE: Lange wurde behauptet, dass Milch die Knochen schützt - heute hört man manchmal das Gegenteil. Was sagt die Ernährungsforschung dazu?

Rechkemmer: Man sollte insbesondere in der Jugend und im jungen Erwachsenenalter ausreichend Kalzium zu sich nehmen. Zwischen dem 20. und 25. Lebensjahr besteht die höchste Knochendichte. Es ist wichtig, dass die Knochen zu diesem Zeitpunkt gut mineralisiert sind, denn danach beginnt der Abbau. Je stärker der Knochen ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es im späteren Leben zur Osteoporose kommt. Milch ist in unseren Breiten ein wichtiger Kalziumlieferant.

SPIEGEL ONLINE: Trotzdem gibt es in westlichen Gesellschaften, in denen verhältnismäßig viel Milch getrunken wird, mehr Osteoporose als in Ländern, in denen weniger Milch getrunken wird.

Rechkemmer: Wenn man Stadtbewohner aus Milch trinkenden Gesellschaften mit Stadtbewohnern aus Gesellschaften, in denen wenig Milch getrunken wird, vergleicht, unterscheidet sich die Osteoporose-Rate nicht. Das liegt wahrscheinlich daran, dass in traditionelleren Gesellschaften mehr körperlich gearbeitet wird. Wir wissen heute, dass die körperliche Aktivität, sei es durch Arbeit oder Sport, sehr wichtig ist, um Osteoporose vorzubeugen.

SPIEGEL ONLINE: Zum Teil heißt es auch, dass Milchprodukte den Körper übersäuern und so dem Körper und den Knochen Kalzium entziehen würden.

Rechkemmer: Das ist falsch . Milch und Milchprodukte sorgen weder dafür, dass Säure gebildet wird, noch können Lebensmittel den pH-Wert im Körper überhaupt beeinflussen. Auch wenn man im Urin unterschiedliche Säuregehalte messen kann - im Körper wird der pH-Wert konstant gehalten. Die Säureausscheidung hat außerdem kaum Einfluss auf den Kalziumstoffwechsel. Milch ist weiterhin ein gutes Lebensmittel, um Kalzium aufzunehmen und die Knochen zu stärken.

Ernährungs-Quiz