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Verhütungspanne: Die "Pille danach" aus dem Internet

DrEd.com Online-Ärzte verschreiben ab jetzt "Pille danach"

Just um die Eisprung-Tage ist das Kondom gerissen? Bisher mussten Frauen sich vom Arzt die "Pille danach" verschreiben lassen. Ab sofort übernehmen das auch Ärzte der Online-Praxis DrEd. Das Medikament kommt tags drauf mit der Post. Kritiker warnen vor einem zu leichtfertigen Einsatz.

Hamburg - Nach einer Verhütungspanne sollte es schnell gehen. Anders als in vielen Ländern Europas können sich Frauen in Deutschland die "Pille danach" allerdings nicht einfach in der nächsten Apotheke besorgen. Sie benötigen ein Rezept, müssen also zum Arzt. Die englische Website DrEd.com will diesen Vorgang erleichtern: Von heute an können Frauen die "Pille danach" dort einfach über das Internet beziehen , wie der SPIEGEL berichtet.

Hatte eine Frau Sex, ohne ausreichend geschützt zu sein, muss sie auf der Webseite zunächst einen medizinischen Fragebogen mit zwanzig Punkten ausfüllen. Angaben unter anderem zum Zeitpunkt des ungeschützten Geschlechtsverkehrs und zu Allergien sollen sicherstellen, dass die Frau die Notfallpille auch tatsächlich benötigt und keine Krankheit oder Unverträglichkeit gegen eine Einnahme spricht. "Im Prinzip klären wir alles ab, was ein sorgfältiger niedergelassener Gynäkologe bei seinem Beratungsgespräch auch abfragen sollte", sagt Jens Apermann von DrEd.

In einem nächsten Schritt sichtet ein Arzt der Online-Praxis das ausgefüllte Formular. Passen die Angaben, vermerkt er das entsprechend in der elektronischen Patientenakte und stellt ein Rezept aus - mitunter aus mehreren hundert Kilometern Entfernung. DrEd hat seinen Hauptsitz in London, auch die deutschen Ärzte arbeiten von Großbritannien aus. Möglich macht dies europäisches Recht, nach dem Patienten innerhalb der EU ihren Arzt frei wählen können. Entscheidet sich die Patientin für die "Pille danach", lässt die Online-Praxis das Medikament von einer deutschen Versandapotheke per Expresslieferung bis zum nächsten Vormittag liefern. Die "Pille danach" kommt quasi über Nacht.

35 Euro für das Rundumpaket

Das Rundumpaket mit Behandlung, Lieferung und Medikament kostet die Patientin 35 Euro, rund doppelt so viel wie in einer normalen Apotheke (rund 17 Euro). Wie die meisten Arztpraxen hat jedoch auch DrEd nur begrenzte Öffnungszeiten. Zwar können die Frauen rund um die Uhr den Fragebogen ausfüllen. Am Wochenende aber ruht die Arbeit der Online-Ärzte. Für Frauen, die Freitagabend oder Samstag ungeschützten Verkehr hatten, würde die Pille - die innerhalb von 72 Stunden eingenommen werden muss - zu spät kommen. Ihnen bleibt auch in Zukunft keine Wahl, sie müssen zu einem ärztlichen Notdienst.

"Mit unserem Angebot können wir den Weg zur 'Pille danach' erheblich erleichtern. Wir glauben, dass es einen großen Bedarf für eine solche, einfache Lösung gibt", sagt Apermann. "Außerdem ist in der Realität draußen nicht immer ein Gynäkologe der Arzt, der am besten greifbar ist." Da sich DrEd an feste Leitlinien halte, könne das Angebot die ärztliche Sorgfalt wahren. "Wenn der Vertrieb eine ärztliche Beratung enthält, sehen wir keine Risiken", sagt auch die Geschäftsführerin von Pro Familia Peggi Liebisch. "Die Erfahrung mit der rezeptfreien 'Pille danach' im Ausland haben gezeigt, dass die Frauen mündig genug sind, um sich beim Apotheker oder im Beipackzettel zu informieren, wenn sie Fragen zum Medikament haben."

Der Berufsverband der Frauenärzte (BVF) hingegen steht dem Angebot äußerst kritisch gegenüber. "Ein Beratungsgespräch zur 'Pille danach' sollte bei einem Gynäkologen im Schnitt 15 bis 20 Minuten dauern", sagt BVF-Präsident Christian Albring. "Dabei informieren wir auch über eine mögliche Verschreibung der Antibabypille oder Geschlechtskrankheiten. Das kann ein einfacher Fragebogen nicht leisten. Außerdem bezweifle ich, dass sich die Online-Ärzte die Antworten der Patientinnen wirklich im Detail durchlesen und nicht einfach das Rezept ausstellen."

Hinzu komme die Gefahr, dass die "Pille danach" über das Portal häufig unnötig verschrieben werden könnte. "Da Frauen nur eine kurze Zeit in ihrem Zyklus fruchtbar sind, benötigt mindestens die Hälfte der Patientinnen gar keine Notfallverhütung", sagt Albring. "Ihnen kann man die Nebenwirkungen wie Übelkeit und Kopfschmerzen oder ein erhöhtes Thromboserisiko ersparen."

Wirkung der "Pille danach" nimmt mit der Zeit ab

Frauen sollten sich außerdem darüber bewusst sein, dass die Zeit bei der Pille mit dem Wirkstoff Levonorgestrel eine äußerst wichtige Rolle spielt. Zugelassen ist das Medikament für einen Zeitraum bis 72 Stunden nach der Verhütungspanne. Diesen schöpft DrEd mitunter aus. Studien haben allerdings gezeigt, dass die Wirksamkeit der Pille sinkt, je mehr Zeit nach dem ungeschützten Sex bis zur Einnahme verstreicht. "Levonorgestrel hat mit der Zeit einen rapiden Abfall in seiner Sicherheit", bestätigt Albring. Laut Pro Familia sollte die Levonorgestrel-Pille am besten innerhalb von zwölf bis 24 Stunden geschluckt werden.

Verstreicht zu viel Zeit, bleibt ohnehin nur eine Alternative: Die Frauen müssen zum Arzt gehen. Er kann neben der seit mehr als zehn Jahren etablierten Levonorgestrel-Pille (Handelsname Pidana) noch ein zweites, neueres Präparat verschreiben: 2009 wurde in Deutschland eine zweite 'Pille danach' zugelassen, die auf dem Wirkstoff Ulipristal basiert und unter dem Handelsnamen Ellaone vertrieben wird. Da diese innerhalb von fünf Tagen nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr eingenommen werden darf, bietet sie im Vergleich zur Pidana einen Zeitbonus.

Albring sieht die neuere Pille auch sonst im Vorteil: "Eine Studie hat gezeigt, dass Ellaone einen deutlich besseren Schutz bietet als die Levonorgestrel-Pille", sagt er. Andere hingegen wie der Verband Pro Familia, das pharmaunabhängige Arzneimitteltelegramm oder der Arzneimittelreport aus dem Jahr 2012 sehen die bessere Wirkung noch nicht ausreichend belegt. Sie empfehlen, die doppelt so teure Ellaone nur einzunehmen, wenn der 72-stündige Einnahmezeitraum von Levonorgestrel überschritten wurde. "Die 'Pille danach' mit Levonorgestrel ist seit vielen Jahren eingeführt, die Erfahrungen mit ihr sind sehr gut, und sie ist gut verträglich. Bei Ellaone gibt es noch keine vergleichbaren Testreihen", sagt Liebisch. "Der einzige Vorteil ist aus unserer Sicht momentan der längere Einnahmezeitraum."

Für DrEd steht fest, dass die Online-Praxis zunächst nur die seit Jahren erprobte Levonorgestrel-Pille in ihr Angebot aufnehmen wird. "Bei der neueren Pille fehlen uns noch Praxiserfahrungen", sagt Apermann. "Wir wollen keine unnötigen Risiken eingehen. Bis valide Praxiserfahrungen existieren, müssen wir den niedergelassenen Kollegen erst einmal den Vortritt lassen." Zumindest in diesem Punkt kann das Internet die Ärzte auch bei der "Pille danach" auf keinen Fall ersetzen.