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Neues "Godzilla"-Epos Auferstanden aus den Ruinen Fukushimas

Atomkraft? Nein, danke! Godzilla? Ja, bitte! Das neue US-Epos zum alten japanischen Monster-Mythos ist eine Verbeugung vor dem Original - und zugleich aufgeladen mit dem Trauma von Fukushima. Großes Katastrophenkino.
Neues "Godzilla"-Epos: Auferstanden aus den Ruinen Fukushimas

Neues "Godzilla"-Epos: Auferstanden aus den Ruinen Fukushimas

Foto: Warner Bros.

Er ist mit 110 Metern doppelt so hoch wie das Original, noch der kleinste rußschwarze Wulst seiner Panzerhaut wurde am Computer animiert, und wenn er im Dolby-Atmos-Sound röhrt, glaubt man, aus den Kinositzen geblasen zu werden. Und doch könnte der Godzilla des Jahres 2014, der mit den neuesten Special Effects Hollywoods in 3D erschaffen wurde, dem aus heutiger Sicht eher drolligen Godzilla des Jahres 1954 nicht näher sein. Der wurde zwar von einem japanischen Stuntman in Reptilienkostüm, der durch eine Spielzeuglandschaft stapft, verkörpert. Aber in einem ähneln sich die Monster: Beide sind Mahnmale, die an die verheerende Macht der Atomkraft erinnern.

Als der japanische Regisseur Ishiro Honda vor 60 Jahren Godzilla erstmals auf die Leinwand schickte, hatten die USA neun Jahre zuvor ihre Bomben über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen; im Entstehungsjahr selbst zündeten die Amerikaner im Bikini-Atoll eine Wasserstoffbombe, deren Fallout auch auf japanische Fischer niederging. Für das japanische Publikum war der Godzilla von 1954 auch Sinnbild eines kollektiven Traumas. 27 weitere Filme mit der Atom-Echse folgten; die Botschaft, zugegeben, verwässerte im Laufe der Jahre.

Das neue US-Epos ist nun bei allen Unterschieden in der Produktion ethisch und ästhetisch ganz nah an der Urechse, die von den Japanern ängstlich-respektvoll "Gojira" gerufen wird. Auch die Haut vom neuen US-Godzilla erinnert mit seinen vernarbten Geschwülsten wieder deutlich an die Verbrennung der Hiroshima-Opfer, Gegner vernichtet er wie früher schon mit seinem thermonuklearen Atem.

Anti-Atom-Kampf als transpazifische Angelegenheit

Die Ursachen für die nukleare Erweckung des Urzeitmonsters sind jetzt allerdings andere: Die Geschichte führt von dem Gau in einem japanischen Küsten-AKW, das dem von Fukushima ähnlich ist, über die Wüste von Nevada, wo die USA ihren Schrott aus sieben Jahrzehnten atomarer Forschung und Kriegsführung lagern. Der Kampf mit nuklearen Rückständen entwickelt sich zur transpazifischen Angelegenheit.

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Monster-Meisterwerk: Godzilla ist ein Guter

Foto: Warner Bros.

So wird in dem US-Film das japanische Katastrophenkraftwerk von einem amerikanischen Direktor geführt: Als 1999 der Boden unter dem AKW Janjira erschüttert wird, muss Atomphysiker Joe Brody ("Breaking Bad"-Star Bryan Cranston) handeln - und seine ebenfalls im Werk arbeitende Frau (Juliette Binoche), die sich gerade auf Kontrollgang in dem leck geschlagenen Reaktor befindet, hinter einer Sicherheitstür verschließen und sterben lassen.

15 Jahre lang schleicht der Alte anschließend mit Drogenproblemen und Verschwörungstheorien um die militärisch abgeriegelte Ruine herum - bis ihn sein Sohn Ford (Aaron Taylor-Johnson), Bombenexperte bei der U.S. Navy, zu sich nach San Francisco holen will. Just in diesem Moment offenbart sich die wahre Ursache des damaligen GAU: Unter dem Reaktor wächst ein Monster heran, eine hochhaushohe, insektenartige Kreatur, die aus den Atomstrahlungen ihre Lebensenergie saugt. Nun bricht sie aus - und ruft Godzilla auf den Plan, der das Ding von Japan über Honolulu bis San Francisco verfolgt. Hier will sich das Rieseninsekt mit einem anderen Rieseninsekt paaren.

Godzilla ist nicht das Problem, sondern die Lösung

Klar, der Plot ist irre. So irre, wie es sich für ein "Godzilla"-Movie gehört. Denn das ist ja das Brillante an der Blockbusterfabel des jungen Regisseurs Gareth Edwards, der zuvor den sehr billigen und sehr gefeierten Horrorfilm "Monsters" gedreht hat: Wie Edwards Retro-Chic und Fabulierwahnsinn in eine Geschichte bringt, die ihren fantastischen Stoff absolut ernst nimmt und daraus ein Apokalypsenszenario mit räumlicher Tiefe und verstörender Sogwirkung entwickelt. Godzilla, auferstanden in den Ruinen Fukushimas.

Fast jede einzelne Szene lässt sich als Hommage an den "König aller Monster" lesen - hier etwa verspeist eines der Rieseninsekten einen ganzen Eisenbahnzug, so wie es Godzilla 1954 im Original getan hat -, und doch ist der Film frei von augenzwinkernder Nostalgie.

Edwards lädt sein Desastermovie ganz im Geiste der frühen Godzilla-Epen mit kollektiven Traumata der jüngeren Geschichte auf: In Hochhäuser stürzende Fluggeräte wecken Erinnerungen an 9/11; die Bilder von dem Wellenberg, der sich bei der Ankunft Godzillas am Waikiki-Strand in Honolulu auftürmt, ähneln frappierend Aufnahmen von der Tsunami-Katastrophe 2004, und natürlich denkt man bei den Trümmern des (fiktiven) AKW unweigerlich an Fukushima.

Zugleich schlägt die Story den Bogen zu den atomaren Verwüstungen der Kriegs- und Nachkriegszeit. Der zerklüftete Rückenkamm Godzillas etwa taucht in eingestreuten Nachrichtenbildern der Fünfziger auf, die von den damaligen Atomversuchen im Pazifik erzählen. Kommentiert wird dieser pseudoauthentische Subplot von einem japanischen Wissenschaftler (Ken Watanabe), der Angehörige in Hiroshima verloren hat - und der das Monster mit dem Rußpanzer nicht als Problem, sondern als Lösung der atomaren Verunreinigung des Globus sieht.

Das ist die wunderbare Pointe: Godzilla, einst das Schreckbild einer auf entfesselter Atomenergie bauenden Gesellschaft, wird hier zum Retter einer Welt, die inzwischen in ihrem nuklearen Müll versinkt. Als Endlager auf zwei Beinen rettet er die Menschheit nicht nur vor den Terrorinsekten, sondern sammelt auch sonst sämtlichen strahlenden Abfall ein. Endlich wiederfährt dem Monster Gerechtigkeit, Godzilla ist ein Guter.

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