Zum Inhalt springen
Fotostrecke

Google+: So funktioniert das neue soziale Netz

Neues Netzwerk Was Google+ besser macht als Facebook

Hat Google+ das Zeug zum Facebook-Killer? Ole Reißmann hat das neue soziale Netzwerk ausprobiert - und ist begeistert von Circles, den virtuellen Freundschaftsgruppen. Auch in anderen Punkten unterscheidet sich Google von der Konkurrenz.

Hamburg - "Gut unterrichtete Kreise" ist nicht nur eine Floskel von Journalisten, die ihren Tippgeber nicht preisgeben wollen, sondern das Killer-Feature von Googles neuem sozialen Netzwerk. Bei Google+ sortiert man seine virtuellen Freunde in Gruppen ein, sogenannte Circles. Lädt man ein Foto hoch oder will ein lustiges Video als Link verschicken, muss man sich entscheiden: Welche Circles möchte man unterrichten? Die Familie oder die Arbeitskollegen?

Tatsächlich werden diese Gruppen als große, blaue Kreise auf dem Bildschirm dargestellt, in die sich die Kontakte mit der Maus hineinziehen lassen.

Google hat seine neue Antwort auf das 600-Millionen-Nutzer-Netzwerk Facebook in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch gestartet. Wie bei dem Unternehmen üblich, zunächst nur in einer frühen Testversion, diesmal allerdings ohne den sonst typischen Beta-Schriftzug. Wer Google+ nutzen möchte, kann sich auf eine Warteliste setzen lassen. Flankiert wird dieser Beinahe-Start von einer schicken Präsentation nebst kleiner Videos, die das Interesse anheizen sollen.

Vorherige Versuche, das Verteilen von Links in Google-Produkte zu integrieren, blieben hinter den Erwartungen zurück. Ein Großversuch namens Google Buzz, der im vergangenen Jahr gestartet wurde, wurde in der Tech-Szene verrissen: Es gab Probleme mit dem Datenschutz und den Voreinstellungen, der Dienst wirkte unausgereift und überhastet auf die Nutzer losgelassen. Gegenüber Facebook und Twitter mangelte es an Funktionen.

Ein gutes Jahr später soll alles besser werden - und der Konzern mit Google+ endlich ein zeitgemäßes soziales Netzwerk bekommen, das mit den übrigen Google-Diensten zusammenspielen soll. SPIEGEL ONLINE hat sich am Mittwoch in Googles Facebook-Gegenentwurf umgesehen. Ein erster Eindruck:

  • Die Circle-Funktion ist nicht originell - aber ungeheuer praktisch und einfach zu benutzen. Auch Facebook hat eine ähnliche Funktion, versteckt diese aber hinter einem kleinen Icon in Form eines Vorhängeschlosses. Auch hier lassen sich Gruppen einrichten, detailliert lässt sich festlegen, was mit wem geteilt wird. Aber wer weiß das schon? Standardmäßig wird mit allen Online-Freunden geteilt, etliche Informationen soll man gleich dem ganzen Web mitteilen.

    Bei Google ist es anders: Online-Freunde müssen von vorneherein in Circles sortiert werden (und bekommen nicht mit, in welchen Circle sie eingeteilt wurden). Google schlägt vier dieser Gruppen vor, die Kontakte lassen sich mit der Maus einfach in einen der Circle ziehen. Eine neue Gruppe ist ebenso einfach und schnell angelegt, Kontakte in einen leeren Kreis ziehen, einen Namen eingeben, fertig.

    Die Kontakte selber holt Google aus "Google Contacts", dem Adressverzeichnis, das jeder Nutzer von Googles E-Mail-Dienst automatisch füttert - ein ungeheurer Startvorteil. Facebook hatte in Deutschland heftige Kritik einstecken müssen, weil das Hochladen von Google-Adressbüchern angeboten wird. Zunächst landen die Kontakte bei Google+ in der oberen Hälfte des Bildschirms, von wo aus sie in die darunterliegenden Circles sortiert werden müssen. Außerdem sollen sich Kontakte später per E-Mail zu Google+ einladen oder aus Nutzerkonten von Yahoo! und Hotmail hinzufügen lassen.

  • Mit der persönlichen Empfehl-Maschine Sparks lassen sich interessante Artikel finden - die Feinjustierung fehlt aber. Google hat seinem sozialen Netzwerk einen steten Strom neuer Inhalte eingebaut, die sogenannten Sparks. Hier lassen sich Artikel zu bestimmten Themen abonnieren, einige schlägt Google vor, zusätzliche lassen sich über ein Eingabefeld einrichten. Mit zwei Klicks richtet man sich so einen Spark ein. Facebook bietet eine vergleichbare Funktion nicht an.

    Google sucht dann automatisch neue Beiträge heraus, die in einer Liste angezeigt werden - und die man dann wiederum an seine Circle weiterreichen kann. Wie genau der Filter für den individuellen Artikelmix funktioniert, bleibt ein Geheimnis. Google-Manager Bradley Horowitz kommentierte dazu am Mittwoch auf Google+, dass es nicht bloß eine Google-Suche nach neuen Inhalten sei, sondern themenbezogene Inhalte bevorzugt werden, die sich teilen lassen.

    Bisher gibt es leider keine weiteren Einstellmöglichkeiten: Es lassen sich keine bestimmten Websites abonnieren oder einzelne Quellen ausschließen. Auch wird nicht angezeigt, ob die aufgelisteten Artikel derzeit besonders häufig angeklickt werden, bei Twitter oder Facebook in großer Zahl weitergereicht werden oder Ähnliches.
  • Alle sind im Google-Netz, niemand muss erst Mitglied werden. Den Freundeskreisen auf Google+ lassen sich auch Kontakte hinzufügen, die kein Konto bei Google haben. Zu sehen bekommen sie Nachrichten, Links und Fotos trotzdem - per E-Mail bekommen sie einen speziellen, codierten Link zugeschickt. Kommentieren funktioniert dann allerdings nicht, dafür soll man sich anmelden (und wird zunächst mit einer Warteliste vertröstet).

    Der per E-Mail verschickte Link lässt sich natürlich nicht nur vom Empfänger der E-Mail aufrufen - sondern von jedem, der diesen Link kennt. Zum Austausch hochprivater Bilder eignet sich diese Funktion also keinesfalls, auch wenn darauf nicht explizit hingewiesen wird.
  • Google+ hat keine neue Nachrichten-Funktion, die sich neben das bereits bestehende E-Mail-Postfach drängt. Facebook-Nutzer bekommen eine neue E-Mail-Adresse aufgedrängt und werden zur Nutzung des Netzwerk-internen Messengers eingeladen. Auch auf Twitter lassen sich Nachrichten direkt an Nutzer verschicken, ebenso in vielen Webforen. Statt einem Postfach hat man dann gleich mehrere - das nervt.

    Google hat bereits einen E-Mail-Service - und deshalb Google+ keinen neuen Nachrichtendienst mitgegeben. Auch der Chat bei Google+ nutzt den bereits mit dem E-Mail-Dienst eingeführten Chat.

    Ganz ohne Nachrichten geht es dann aber doch nicht: "Huddle" heißt eine Gruppenchat-Funktion, mit der Circles von Online-Kontakten zum virtuellen Plausch geladen werden. Im Prinzip ein Twitter für einen geschlossenen Benutzerkreis. Aufrufen lässt sich diese Funktion über die Android-App - die mobile Version von Google+ beherrscht "Huddle" noch nicht, eine iPhone-App ist bisher nur angekündigt.
  • Keine Apps, kein Spam, keine Werbung. Das neue Netzwerk wirkt klar und aufgeräumt - und das liegt nicht nur an der sorgfältigen Gestaltung, die viel Wert auf klare Benutzerführung legt: Zumindest in der Testversion ist Google+ noch werbefrei.

    Fast noch mehr zum aufgeräumten Eindruck trägt die Abwesenheit eines Ökosystems bei: Was Facebook mittlerweile hat - eine Programmierschnittstelle, über die Entwickler Apps und Spiele an das Netzwerk ankoppeln können, sowie spezielle Seiten für Unternehmen und Organisationen - fehlt bei Google+ noch. Das bedeutet aber auch, dass es vorerst keine nervigen Spam-Wellen gibt, keine Klickbetrüger unterwegs sind und vermeintlich lustige Apps hinter dem Rücken der Nutzer Daten ausspähen.

    Auch kann man bisher Website-Updates oder Twitter-Nachrichten nicht automatisch in das Google+-Profil fließen lassen.

    Bislang beschränkt sich Google+ auf den Austausch von Links, Bildern und Statusnachrichten - und es ist kein in sich geschlossenes Netzwerk, aus dem es kein Entkommen mehr gibt. Dafür werden aber bislang auch keine Firmen und Entwickler hereingelassen.

Bisher nicht getestet haben wir den automatischen Foto-Upload mit Android-Smartphones: Unterwegs geschossene Bilder sollen von selbst in ein privates Album bei Google+ hochgeladen werden. Mit wenigen Klicks lassen sie sich anschließend an Circles weiterreichen. Auch müssen wir noch ausgiebiger mit den Funktionen "Hangout" und "Check-in" spielen, um zu einem Urteil zu kommen - der erste Eindruck ist jedoch gut. "Hangout" ist ein Videochat, zu dem sich mehrere Nutzer spontan zusammenfinden können, mit "Check-in" kann man seinen Aufenthaltsort mitteilen (ganz wie bei Facebook Places oder wie bei Foursquare).

Unser erstes Fazit: Google+ sieht gut aus, bringt eine Reihe interessanter und einfach umgesetzter Funktionen mit. Ein Anti-Facebook ist das neue soziale Netzwerk hingegen nicht - dazu fehlt bislang die Programmierschnittstelle und die Möglichkeit für Firmen, sich zu präsentieren. Negativ auswirken könnte sich die gefühlte Google-Allmacht: Wenn man schon die Dienste des Unternehmens für die Suche, für E-Mails und Texte und Tabellen nutzt, kann es ein beruhigendes Gefühl sein, weitere Online-Funktionen auf andere Konzerne zu verteilen.

Aber das ist vermutlich so ein typisch deutsches Datenschutz-Denken.

Nachtrag 30.6.2011: Der Foto-Upload via Android funktionierte in einem ersten Test problemlos. Auch hier ist die "Circle"-Funktion fest eingebaut: Erst das Bild auswählen, danach entscheiden, wem man es zeigen möchte - und wem lieber nicht.