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Test bei Bäckerinnungen: Qualitätskontrolle für Brote

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Brot-Qualität Der Laibwächter

Wo andere nur "schmeckt" oder "schmeckt nicht" sagen, unterscheidet Michael Isensee zwischen würzig, herbsauer, muffig: Der 49-Jährige isst hauptberuflich Backwaren. Was macht ein gutes Brot aus? Besuch bei einem Prüftermin.

Zwiebelbrot ist ein Problem. "Das teste ich wegen des intensiven Aromas ganz zum Schluss", sagt Michael Isensee. Auch Bärlauchbrot, vor ein paar Jahren ein Verkaufsschlager, stellte ihn geschmacklich vor größere Schwierigkeiten. "Wenn ich das zwischendurch gegessen habe, habe ich gar nichts mehr geschmeckt."

Nichts mehr zu schmecken wäre das berufliche Aus für den 49-Jährigen. Der gelernte Bäckermeister isst beruflich. Er arbeitet als Brotprüfer beim Institut für die Qualitätssicherung von Backwaren (IQBack). Seit mehr als 20 Jahren besteht Isensees Arbeit darin, Brote, Brötchen und Stollen von Innungsbäckern zu begutachten; süße Teilchen, der Figur wegen, "Gott sei Dank nicht".

Ein Laib Toastbrot vom Discounter kostet so viel wie ein Brötchen vom Handwerksbäcker. Über den Preis können die Innungsbetriebe nicht mit der Billig-Konkurrenz mithalten - also setzen sie darauf, dass das Qualitätsurteil des IQBack Kunden überzeugt. Deswegen fährt Isensee von Innung zu Innung, viele Prüfungen finden öffentlich statt.

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Qualitätskontrolle: So werden Brötchen getestet

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Isensee testet häufig in Schulen oder in Banken, die froh sind, wenn mal was anderes als Weltspartag stattfindet. In der Volksbank Weserbergland in Holzminden hält sich das Interesse der Öffentlichkeit allerdings stark in Grenzen. Die Anfragen der Besucher zeugen eher von Verwirrung: "Kann ich hier meine Brötchen prüfen lassen?", "Muss ich das selber prüfen?" Isensee antwortet routiniert: "Nein, ich prüfe sensorisch; sehen, fühlen, riechen, schmecken."

Isensee, kurze Haare, Brille, Ziegenbärtchen, IQBack-Polohemd, sitzt im Foyer der Bank, es duftet nach Backstube. Die Angestellten kennen ihn bereits, er hat hier schon geprüft. Routiniert hat er Laptop, Drucker und Stellwand mit den appetitlichen Fotos aufgebaut, ein bisschen Bäckereigefühl für die Atmosphäre. Zwei lange Brotmesser und ein Schneidebrett liegen bereit. Und Dutzende Brote und Brötchen.

Isensee scheint seinen Auftritt zu genießen. Er zelebriert jeden Schritt, zwei Klapptische werden zur Sezierstation. Jedes Brot bekommt eine Nummer; den Zettel steckt Isensee in einen Schlitz in den Laib.

Wann ist Mehrkorn Mehrkorn?

Er nimmt ein Brot in die Hand, schaut es genau von allen Seiten an. Haften Reste anderer Produkte am Laib? Das würde darauf hindeuten, dass das Backblech nicht richtig sauber war. Dann schneidet er den Laib in zwei Teile. Kleben Teigreste an der Klinge, ist das Brot womöglich zu feucht. An der Schnittkante sieht Isensee, ob die Kruste eine gute Stärke hat, drei bis vier Millimeter gelten als optimal. Er drückt mit dem Daumen in den weichen Innenteil. Ist er elastisch und federt zurück? Isensee drückt vor seiner Nase den halben Laib zusammen und atmet tief ein. Schließlich schneidet er eine Scheibe ab und reißt ein Stück heraus: Wie schmeckt das Brot?

Auch weil es keine Kontrollinstanz gibt, bekommt Isensee häufig zu hören, seine Bewertung sei subjektiv. "'Geschmack' ist eigentlich Quatsch", sagt er. "Ich prüfe nicht, was mir schmeckt, ich prüfe das Aroma." Er hat spezielle Sensorikschulungen absolviert, auf denen er Brot mit zu wenig Salz herausschmecken musste.

Zudem gibt es klare Vorgaben, Formalia: Manche Proben bekommen Minuspunkte, bevor Isensee sie angefasst hat. Enthält Mehrkornbrot nur zwei Getreidesorten, ist das ein Makel. Die "Leitsätze für Brot und Kleingebäck" des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz regeln, dass "Mehrkorn" erst ab drei Getreidesorten so heißen darf.

Hinzu kommen Isensees Bewertungskriterien von der IQBack. Sie sind in einem detaillierten Prüfschema festgehalten. Abzug gibt es für zu starke oder ungleichmäßige Bemehlung, zu dünne oder dicke Kruste, Hohlräume, Wasserringe, zu starke Würzung, faden Geschmack, Stärkeklumpen und vieles mehr.

Maximal 5 Punkte gibt es für Form und Aussehen, 10 für Oberfläche und Kruste, 20 für das Krumenbild, 20 für die Elastizität, 15 für den Geruch und 30 für Geschmack und Aroma. Für 100 Punkte gibt es ein "sehr gut". Bis 90 Punkte lautet das Urteil "gut". Alles darunter ist "zufriedenstellend" oder "verbesserungsbedürftig".

Nach wenigen Minuten ist der erste Test beendet. "Wenn ein Brot tadellos ist, ist es schnell geprüft." Isensee dokumentiert alle Fehler, jeder Bäcker bekommt Tipps, wie er sein Produkt verbessern könnte.

Die Teilnahme an der anonymen Prüfung ist freiwillig, "wenn 50 Prozent der Bäckereien in der Innung mitmachen, ist das gut", sagt Isensee. Manche Bäcker seien einfach von sich überzeugt. "Die glauben, wenn etwas nicht stimmt, sagen mir die Kunden das schon." Doch woran es fehlt - zu wenig Salz, zu geringe Backtemperatur, falsches Mehl - kann ein Laie eben nicht beurteilen.

5000-mal Brot und Brötchen im Jahr

Die Bewertungen des Prüfers teilen nicht alle. "Was Sie schon wieder auszusetzen haben, kann ich nicht nachvollziehen", sagt ein Teilnehmer. Isensee nimmt es gelassen. Er sieht den Frust als Zeichen einer konsistenten Bewertung. "Nach 20 Jahren kenne ich sein Brot. Er hat sein Rezept nicht verändert. Dann ändert sich sein Prüfergebnis nicht." Grummelnd nimmt der kritisierte Bäcker seine Gutachten im Empfang.

Ein wenig erinnert das System an die Fleißsternchen aus der Grundschule. "Bei mehr als drei prämierten Proben gibt es eine A3- statt einer A4-Urkunde", sagt Isensee. Die prämierten, das heißt mit "sehr gut" oder "gut" bewerteten Produkte, werden zudem im Internet veröffentlicht .

Fast sieben Stunden sind vergangen, insgesamt 27 Brot- und 13 Brötchensorten hat Isensee begutachtet. 40-mal gucken, fühlen, schneiden, riechen, schmecken, Bewertung und Tipps geben - und manchmal diskutieren.

Isensee testet rund 5000 Proben im Jahr. In seiner Datenbank finden sich weit mehr als tausend Brotnamen. Er macht auch nach mehr als 20 Jahren noch den Eindruck, dass er sich für Brot begeistern kann. Jeden Tag Brot, jeden Tag Brötchen - wird ihm die ewige Esserei nicht langweilig? "Nein, weil ich jeden Tag andere Sorten habe."

Nur eines, sagt Isensee, könnte ihn dazu bringen, seinen Job aufzugeben: Backmischungen. "Damit kann ja jeder arbeiten", sagt Isensee. "Um eine Tüte aufzumachen, muss ich kein Bäcker sein."

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