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Griechenland-Krise: Politik gestresst, Bürger genervt

Foto: JOHN KOLESIDIS/ REUTERS

EU unter Griechenland-Schock Europas Alptraum

Mit aller Macht stemmt sich Europa gegen einen Bankrott Griechenlands, Millionen Bürger schauen entsetzt zu. Das Versagen der Politik bedroht längst schon die europäische Idee. Was denken, fühlen die Menschen? SPIEGEL-ONLINE-Reporter über die Krisenstimmung in acht Ländern der EU.

Berlin - Es ist ein ungewöhnlicher Hilferuf. Wie ein schwer verkäufliches Tiefkühlgericht wird in diesen Tagen die Euro-Münze beworben. 50 europäische Top-Manager haben eine ganzseitige Anzeige in verschiedenen deutschen und französischen Tageszeitungen gesponsert und unterschrieben. "Die Rückkehr zu stabilen Verhältnissen wird viele Milliarden Euro kosten", heißt es in der Kampagne. "Aber die Europäische Union und unsere gemeinsame Währung sind diesen Einsatz allemal wert."

Sind sie das wirklich?

Das fragen sich Millionen Bürger Europas, während sie das Ringen um das zweite Rettungspaket für Griechenland verfolgen. Der Pleitestaat steht tief im Dispo und kurz vor dem Staatsbankrott, das Gipfeltreffen der 27 Euro-Mitgliedstaaten am Donnerstag und Freitag in Brüssel soll das Sorgenkind retten und verhindern, dass ein Ruin in Athen den gesamten Kontinent mitreißt.

Doch egal, was die Staats- und Regierungschefs beschließen: Schon jetzt hat die Krise in ganz Europa etwas verändert. In vielen europäischen Hauptstädten ist eine Entfremdung zu beobachten, ein Riss zwischen den Krisenmanagern und den Bürgern. Er lässt die Akzeptanz der europäischen Idee bröckeln. Er spiegelt sich wider im sinkenden Verständnis für milliardenschwere Finanztransfers und im schwindenden Vertrauen in die Regierenden, dass auf das zweite Rettungspaket nicht ein drittes oder viertes folgt.

Es ist nicht die erste Krise, die Europa auf die Probe stellt, aber diese Krise ist anders. Denn bislang war Brüssel für viele nur kompliziert und fern. Jetzt kriecht Europa plötzlich in ihr Portemonnaie, sie empfinden es als teures Ärgernis. "In ganz Europa beschweren sich die Menschen darüber, dass sie den Preis für das Versagen ihrer Regierungen bezahlen müssen", kommentiert die "New York Times" von der anderen Seite des Atlantiks.

Doch klar ist auch: Die aktuelle Krise zeichnet ein selten diffuses Bild an Reaktionen. Während in manchen Staaten die Gleichgültigkeit gegenüber Europa-Fragen dominiert, frisst sich in anderen das Misstrauen gegenüber Brüssel in die Köpfe, gewinnen Rechtspopulisten neuen Auftrieb, gehen Tausende Menschen auf die Straße, um gegen harte Sparprogramme zu demonstrieren.

Wie reagieren die Menschen in den EU-Staaten auf die Krise - und was erwarten die Bürger jetzt von ihren Politikern? SPIEGEL ONLINE hat Reaktionen und Stimmungsbilder aus den wichtigsten europäischen Mitgliedsländern gesammelt:

Griechenland: Die Politik hat versagt, der Nationalstolz erwacht

Von David Böcking, Athen

Aus der Ferne betrachtet könnte es eine Fußballfeier sein: Bei den abendlichen Protesten auf dem Athener Verfassungsplatz werden derzeit jede Menge griechischer Fahnen geschwenkt - und zwar nur die. Flaggen von Parteien oder Gewerkschaften werden nicht geduldet.

Der Rest von Europa mag Griechenland zunehmend als abschreckendes Beispiel für einen wirtschaftlichen Absturz betrachten. Die Griechen selbst aber basteln gerade an einer neuen Art von Nationalstolz. Der verbindet sich nicht länger mit einer politischen Ideologie, im Gegenteil: Was die Demonstranten am stärksten eint, ist ihre Ablehnung der etablierten Strukturen.

Dieser Konsens findet sich nicht nur auf dem Verfassungsplatz. Wer in diesen Tagen mit Griechen spricht, der findet vom Arbeitslosen bis zum Unternehmer ein gemeinsames Motiv: das Gefühl, dass die politische Klasse versagt hat und die Probleme des Landes nicht lösen kann. Zugleich hoffen alle, dass mit der Krise endlich eine Alternative entsteht.

Karikatur zeigt Griechen mit Stern an der Brust

Woher die kommen soll, ist allerdings völlig offen. Auf die Frage nach Hoffnungsträgern gibt es fast immer nur Achselzucken. Immerhin zeichnet sich ein Bewerberprofil für künftige griechische Führungskräfte ab: Sie sollen auf die Nöte der Menschen achten - eine Eigenschaft, die der Regierung von Georgios Papandreou wegen ihrer harten Sparprogramme abgesprochen wird. Und sie sollen für Gerechtigkeit sorgen. Denn auch das empfinden Arbeitslose ebenso wie Unternehmer: Die Chancen in der griechischen Gesellschaft sind ungerecht verteilt.

Doch bei aller Kritik am eigenen Land - ihre Probleme wollen die Griechen lieber selbst lösen. Die harten Sparforderungen von EU und Internationalem Währungsfonds empfinden viele als Versuch, das Land auszubluten.

Die Reaktion schießt bisweilen weit über das Ziel hinaus. So zeigte eine Karikatur in der linken Zeitung "Eleftherotypia" am Montag zwei Wehrmachtssoldaten neben einem Griechen mit Stern an der Brust. Wer weniger als 1000 Euro verdiene, werde künftig so gebrandmarkt, verkündet einer der Soldaten.

Dass hinter den Forderungen anderer europäischer Länder auch deren Sorge um die eigene Zukunft und die gemeinsame Währung stehen könnte, scheint vielen Demonstranten nicht bewusst zu sein.

Italien: Horrende Schulden, kollektive Verdrängung

Von Hans-Jürgen Schlamp, Rom

Natürlich gibt es noch immer viele klangvolle Namen in der italienischen Wirtschaft - die Sterne von Armani oder Todd's etwa strahlen noch hell. Doch insgesamt herrscht im Land längst Finsternis. Die gesamte Industrieproduktion sei durch die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise um 25 Jahre zurückgeworfen, bilanzierte die römische Notenbank. 500.000 Jobs sind verschwunden.

Spätestens die Griechen-Krise, sollte man meinen, müsste nun neue Existenzängste schüren. Doch die meisten Italiener stöhnen nur kurz auf, wenn die marode Kassen- und Wirtschaftslage zur Sprache kommt. Ansonsten halten sie sich daran, dass noch immer alles gutgegangen sei. Irgendwie. "Wenn ich in Italien unterwegs bin, treffe ich viele Menschen, die die Ärmel hochkrempeln und unermüdlich Produkte von anerkannter Qualität herstellen", schrieb Italiens Ex-Botschafter in Deutschland, Antonio Puri Purini, jüngst in einem Zeitungsessay.

Des Diplomaten Schlussfolgerung daraus teilen die meisten seiner Landsleute: Es wird in Europa keinen "Fall Italien" geben, so wie es Griechenland erging.

In der Tat sind die meisten Käufer italienischer Staatsschuldscheine wohlhabende Italiener, die langfristige Anlagen suchen. Das macht das römische Schuldenmanagement etwas einfacher als das etwa in Athen oder Lissabon, wo die Anleihen vor allem an internationale Kundschaft gehen. Denn die will solche Papiere nicht unbedingt auf Dauer im Tresor haben, sondern damit spekulieren.

Aber auch die treueste nationale Kundschaft hilft nicht ewig, wenn das Land ökonomisch immer schwächer wird und die - auch nur theoretische - Rückzahlung der Kredite dadurch immer unwahrscheinlicher.

Mit dem eigenen Überleben beschäftigt

Die italienische Regierung setzt ebenfalls auf Schulterzucken, will das ganze Ausmaß der Wirtschafts- und Währungsmisere gar nicht so genau wissen. Die Regierung hat mit dem eigenen Überleben nämlich genug zu tun. Um beim Volk ein paar Pluspunkte zu sammeln - nach verheerenden Niederlagen bei den Kommunalwahlen und bei einer Volksabstimmung - verspricht sie nun Steuersenkungen.

Die kann sie sich freilich überhaupt nicht leisten, wenn sie die eigene Volkswirtschaft nicht noch näher an den Abgrund führen will. Denn Italien ist das höchstverschuldete Land Europas und weltweit die Nummer drei in der Schuldnertabelle. Mit über 1800 Milliarden Euro - das sind beinahe 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - stehen die Italiener in der Kreide. Jeder, vom Baby bis zum Greis, mit 30.000 Euro. Das ist Europa-Rekord.

Und die weiteren Aussichten sehen trübe aus. Die Rating-Agenturen denken laut über das Downgrading italienischer Staatsanleihen nach. Am Montag kündigte die Rating-Firma Moody's an, dass sie nicht nur die Kassenbücher in Rom sondern auch die Finanzen der großen italienischen Staatsbetriebe, vom Stromgiganten Enel bis zur Post, und vieler Regionen, Provinzen und Kommunen unter die Lupe nehmen werde. Der öffentlichen Stimmung dürfte das nicht gut tun: "Halb Italien unter Beobachtung", entsetzte sich die Tageszeitung "La Repubblica".

Polen: Warum Europa plötzlich beliebt ist

Von Jan Puhl

Die Polen zahlen noch immer mit dem Zloty, und trotz der Krise will die Regierung Donald Tusk der Währungsunion beitreten: "Der Euro ist kein sinkendes Schiff", sagt der Premier. Allerdings verzeichnen Meinungsforscher langsam sinkende Zustimmungsraten unter den Polen, je länger die Krise dauert. Tusk hütet sich wohl auch deswegen, ein Beitrittsdatum festzulegen.

Die aktuelle Krise und das Geschacher um die Rettung Griechenlands betrachten die Polen konsequent von außen - dabei wird das Anwärterland im Rahmen des "europäischen Finanzmechanismus" 250 Millionen Euro für die Griechen garantieren. "Das ist ein Beitrag zur europäischen Solidarität", sagt Tusk - und nutzt die Krise, um sein eigenes Land zu profilieren. Warschau will derzeit klarmachen, dass Polen nicht mehr der zurückgebliebene osteuropäische Nachbar, sondern ein ernstzunehmender Player sei.

Das Land ist derzeit, auch dank seines EU-Beitritts 2004, wirtschaftlich enorm erfolgreich. Die EU erfreut sich in Polen hoher Zustimmungswerte, die harten nationalistischen Europa-Kritiker sind politisch praktisch ausgestorben.

"Idiotischer Schritt"

Allein aus der konservativen Kaczynski-Partei "Recht und Gerechtigkeit" kommt Kritik an der polnischen Hilfe für Griechenland: Die Zahlungen seien ein "idiotischer Schritt", sagt der Parlamentarier Joachim Brudzinski. Polen finanziere die "verantwortungslose Politik Deutschlands und Frankreichs mit".

Die Probleme mit dem Euro könnten Polen aber doch in Bälde treffen: In krisenhaften Situationen wie jetzt flüchten nämlich Investoren aus Risiko-Währungen. Der Wert des Zloty fällt trotz des Höhenflugs der polnischen Wirtschaft. Damit wird es für polnische Kreditnehmer immer teurer, ihre Schulden in Schweizer Franken zu bedienen.

700.000 Polen haben sich in dieser Währung Geld geliehen. In Ungarn hatten solche Fremdwährungskredite die Wirtschaft in den Abgrund gerissen, als vor drei Jahren die Finanzkrise aus- und der Forint einbrach.

Niederlande: Wenn Geert Wilders zweimal klingelt

Von Tijs van den Boomen, Den Haag

Der niederländische Finanzminister Kees Jan de Jager ähnelt in der Krise seinem deutschen Amtskollegen Wolfgang Schäuble - auch er betont, dass die privaten Banken und Versicherungen einen "substantiellen" Anteil an der griechischen Umschuldung liefern müssten und sieht "keine Alternative" zum Milliardenpaket.

Die üppigen Finanzhilfen schüren eine breite anti-griechische Stimmung, geben Rechtspopulisten neuen Aufwind. Geert Wilders, Vorsitzender von Hollands einflussreichster Populistenpartei, der Partei für die Freiheit (PVV), nutzt jede Gelegenheit, um die angebliche "Stimme des Volkes" herauszubrüllen.

"Zu Recht wollen die Niederländer den unzuverlässigen Griechen keine Milliarden bezahlen", hetzt Wilders, "schon gar nicht, wenn sie im eigenen Land die Sparmaßnahmen ausbaden müssen." Der Politiker ist sich dabei für keine Aktion zu schade: Anfang Juni stieß er die Griechen sinnbildlich aus der Währungsunion, als er mit einem riesigen Drachme-Schein bewaffnet bei der griechischen Botschaft in Den Haag klingelte. Die Tür öffnete ihm allerdings niemand.

"Sich auspennen, das passt ja"

Laut einer Umfrage sind 58 Prozent der Niederländer dafür, dass Holland weitere Hilfeleistungen für Griechenland verweigert. Die Touristenverbände verzeichnen weniger gebuchte Urlaubsreisen nach Griechenland als im Jahr zuvor.

Die Boulevardzeitung "De Telegraaf" spielt mit der Massenstimmung und fährt eine aggressive Kampagne. Ein Korrespondent beschreibt etwa, wie die Demonstranten auf dem Syntagma-Platz in Athen erst um 11 Uhr am Vormittag aufwachen würden: "Sich auspennen, das passt nahtlos in die griechische Tradition."

Die anti-hellenische Stimmung bleibt nicht ohne Folgen. Ein griechisch-stämmiger Gastwirt aus Deventer, so liest man in den Lokalzeitungen, werde neuerdings beschimpft als "fauler Scheiß-Grieche". Vasilis Michailidis betreibt seit Anfang der neunziger Jahre ein Restaurant, nun bekommt er Drohbriefe.

Deutschland: Der Frust wächst, die Kanzlerin tanzt

Von Veit Medick, Berlin

Nein, von Aufruhr kann nicht gerade die Rede sein. Keine Demonstrationen vor dem Kanzleramt, keine Protestzüge durch die Hauptstadt, nicht einmal der Steuerzahlerbund lässt seine Truppen auf den Straßen marschieren. Auf den ersten Blick könnte man meinen, die Griechenland-Hilfen ließen die Deutschen vergleichsweise kalt.

Doch der Schein trügt. Tatsächlich sind die üppigen Care-Pakete für Athen auch hierzulande das wohl sensibelste innenpolitische Thema. Der Boulevard macht täglich Stimmung, die Politik zeigt sich tief gespalten, bei vielen Menschen wächst der Frust. Sie fragen sich, warum Geld da ist, um Hellas zu retten, aber keines, um daheim für Entlastung zu sorgen. Sie rätseln, wozu es weitere Notpakete braucht, wenn schon die vorherigen die Krise nicht eindämmen konnten. Kurzum: Bei nicht wenigen entsteht der Eindruck, dass es sich bei der Europäischen Union vor allem um eine ziemlich teure Angelegenheit handelt.

Die Umfragen sprechen für sich. Das Gefühl einer Bedrohung durch die Schuldenkrise ist weit verbreitet. Laut Forsa fürchten 44 Prozent der Deutschen eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage. Die Solidarität mit den Griechen ist entsprechend überschaubar. Eine klare Mehrheit, so zeigt eine Umfrage des Politbarometers, spricht sich gegen weitere Milliardenhilfen aus. 60 Prozent lehnen zusätzliche Kredite ab, nur 33 Prozent sind dafür. Und eine Emnid-Erhebung ergab, dass knapp die Hälfte der Befragten es begrüßen würde, wenn Griechenland zu seiner früheren Währung zurückkehren würde: der Drachme.

Stunde der Euro-Rebellen

Das wachsende Misstrauen in Sachen Europa verunsichert die Politik. Die Mächtigen in Berlin wissen, dass sie ein Vermittlungsproblem haben. Sie schaffen es nicht, die Menschen von den Vorteilen der Währungsunion zu überzeugen, ihnen klarzumachen, warum es noch teurer werden könnte, wenn man auf die Hilfen verzichtete. Sie sind in der Defensive, und das könnte noch Folgen haben.

Denn viele in der Koalition drängen darauf, die Stimmung in der Bevölkerung aufzunehmen. Die Euro-Rebellen in FDP und Union sammeln sich, gemeinsam werden sie zur Gefahr für die Kanzlermehrheit, die Angela Merkel braucht, wenn im Bundestag über ein zusätzliches Hilfspaket abgestimmt wird.

Merkel scheint die Gefahr erkannt zu haben. Sie muss die Kritiker besänftigen. Mal stichelt sie deshalb gegen die Rentenpolitik südeuropäischer Staaten, mal drängt sie auf eine Beteiligung der Banken und Versicherungen an den Krisenkosten, dann wieder zeigt sie sich offen für Steuerentlastungen. Souverän wirkt das nicht.

Die Kanzlerin balanciert zwischen zwei Polen, den Bürgern und den Märkten, der öffentlichen Stimmung und realpolitischen Zwängen. Es ist ein Seiltanz, der schwer zu meistern ist. Von einer "Feuerwehrhauptfrau im Dauerstress" spricht die "FAZ": "Viele Herde, wenig Eimer und kein Plan." Ein harter Satz.

Klar ist: Beim EU-Gipfel in Brüssel braucht Merkel einen Erfolg. Denn sonst, das weiß auch sie, könnte die Griechen-Krise schnell zur Kanzler-Krise werden.

Großbritannien: Euro-Pessimismus von der Insel

Von Carsten Volkery, London

Der Fall Griechenland stürzt die Briten in ein Dilemma. Auf der einen Seite lässt die Athener Tragödie sie nicht kalt. Sie haben Mitgefühl mit den Griechen und sorgen sich um die Folgen für die eigene Wirtschaft. Auf der anderen Seite aber können viele ihre Schadenfreude über den Taumel der Euro-Zone nicht verbergen.

Die Politiker und Kommentatoren, denen der Euro immer schon suspekt war, fühlen sich bestätigt und treten noch selbstgerechter auf als früher. Nach einer Griechenland-Fragestunde im Unterhaus am Montag stellte der "Independent" fest: "Die Euro-Skeptiker haben recht behalten, und inmitten all der Verwüstung sind sie nun am Feiern."

Auch in einer privaten Diskussion zur Finanzkrise im House of Lords vergangene Woche wurde gefeixt und gewitzelt, wenn die Rede auf die notleidende Nachbarwährung kam. Tenor der Runde: ein Glück, dass wir nicht dabei sind.

In den Kommentarspalten der Zeitungen herrscht breiter Konsens, dass Griechenland aus der Euro-Zone austreten muss. Athen solle sich auf ein Leben ohne Euro einstellen, schreibt die "Times" in einem Leitartikel. Das Spardiktat der EU verschlimmere die Krise und führe letztlich zum Staatsbankrott. Auch der "Guardian" kommt zu dem Schluss, dass sich das Land aus der Krise nicht heraussparen könne und nun den Alleingang wagen müsse.

Brüssel wird traditionell abgelehnt

Ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone sei "unvermeidlich", schrieb Londons konservativer Bürgermeister Boris Johnson im "Daily Telegraph". "Je eher, desto besser." Erst wenn Griechenland die Neue Drachme eingeführt habe, so der humanistisch gebildete Tory, könne es zu einer "Katharsis" kommen, zu einem Gefühl der Erleichterung und Reinigung. Und er setzte flapsig hinzu, Großbritannien habe der Austritt aus dem europäischen Währungsmechanismus auch nicht geschadet.

Im Pessimismus der Briten spiegelt sich die traditionelle Ablehnung des Brüsseler Betriebs. Die Rettungsversuche der Euro-Staaten gelten auf der Insel als bestenfalls inkompetent und schlimmstenfalls als bösartige Übernahme von noch mehr Macht. In gewisser Weise sei die Euro-Krise der Traum der Föderalisten, weil sie nun endlich eine europäische Wirtschaftsregierung einrichten könnten, schrieb Johnson. Die Empfehlung, Griechenland solle am besten aus der Euro-Zone austreten, entspricht dem britischen Verständnis von größtmöglicher nationaler Unabhängigkeit der einzelnen Staaten innerhalb der EU.

Die britische Regierung hat das Euro-Krisenmanagement vollkommen den Deutschen und Franzosen überlassen. Nur im Fall Irland hat sie bilaterale Hilfen beigesteuert, an den anderen Rettungspaketen ist Großbritannien nur über seine IWF-Beiträge und EU-Haushaltsbeiträge beteiligt. Auch am nun diskutierten zweiten Hilfspaket für Griechenland werde Großbritannien sich nicht beteiligen, sagte Premierminister David Cameron.

Spanien: Aufmarsch der Empörten

Von Katharina Peters

Sie protestieren noch immer laut: Die spanischen "indignados", die Empörten. Ihre Wut hat sie Mitte Mai auf die Straße getrieben, eine Zeltstadt wuchs auf der Puerta del Sol in Madrid. Wer geglaubt hatte, die Bewegung habe an Schwung verloren, wurde am vergangenen Wochenende eines Besseren belehrt: Etwa 200.000 Menschen demonstrierten in den größten Städten des Landes gegen die Arbeitslosigkeit, gegen das politische System - und gegen die harschen Einschnitte in der Euro-Krise.

Allein 40.000 Menschen strömten zur Kundgebung in Madrid. "Esta crisis no la pagamos", riefen sie, "diese Krise bezahlen wir nicht". Viele Protestierenden meinen, den "Märkten" ausgeliefert zu sein, die für die wirtschaftliche Misere verantwortlich seien und nun die Menschen zahlen ließen. Das am Sonntag verbreitete Motto "Europa für die Bürger, nicht für die Märkte" fasst diese Gefühle zusammen.

Die Demonstranten sind nicht nur enttäuscht vom Handeln ihrer eigenen Regierung, sondern auch von der Antwort der Staats- und Regierungschefs der EU auf die Krise. Als einzige Lösung schlügen diese immer nur Sozialkürzungen vor, meinen die "Empörten". Dabei haben die zahlreichen Sparprogramme und Einschnitte der letzten Jahre in Spanien noch keine spürbaren Verbesserungen gebracht. Die Wirtschaft berappelt sich nur langsam, die Hoffnung auf eine schnelle wirtschaftliche Erholung ist längst dahin. Die Arbeitslosenquote ist mit rund 21 Prozent die höchste der EU.

Nicht nur irgendeine Währung

Doch könnte es noch schlimmer kommen? Als die Portugiesen zuletzt immer stärker unter Druck gerieten und unter den Euro-Rettungsschirm flüchten mussten, war die Sorge um Spanien erneut groß. Doch immer wieder fallen dann die berühmten vier Worte: "too big to fail" - das Wirtschaftssystem ist so bedeutend, dass es einfach nicht scheitern darf. Auch in der jetzigen Griechen-Krise hat die spanische Finanzministerin Elena Salgado erneut energisch zurückgewiesen, dass Spanien von den Athener Turbulenzen "angesteckt" werden könnte. "Die Märkte können sehr gut unterscheiden", sagte sie am Montag, "sie wissen, dass wir die Reformen durchführen, die unser Land braucht und dass wir unsere Finanzen stabilisieren."

Weniger zuversichtlich zeigt sich die spanische Zeitung "El País", die von den EU-Staats- und Regierungschefs nun rasches Handeln fordert. Eine Verzögerung könne einen "nicht kalkulierbaren" Schaden für die spanische Schuldenlast, die Aktienkurse der Banken und den Handel an der Börse bedeuten.

In die Warnungen mischt sich auch ein bisschen Wehmut. Denn die Spanier haben trotz allem ein positives Verhältnis zur gemeinsamen Währung. Der Euro sei ja nicht einfach irgendeine Währung, meint ein Kommentator von ABC. "Für die Europäer ist es ein Symbol, dass sie sich gemeinsam den Herausforderungen einer globalisierten Welt stellen." Jetzt stehe das Überleben und die Glaubwürdigkeit eines halben Jahrhunderts Europa auf dem Spiel.

Europa nur eine Utopie?

Der Ökonom José Carlos Diez, der sich sonst der nüchternen Analyse von Finanzdaten widmet, offenbarte gar, was er zurzeit träumt: "Gestern hatte ich einen Traum und träumte, dass wir Europäer aufhören, von Griechenland und den Gläubigerbanken, hauptsächlich deutsche und französische, zu sprechen und dass wir uns um die anderen 300 Millionen Europäer kümmern, ihre Gegenwart und ihre Zukunft. Das ist ein utopischer Traum, aber es ist nicht so kompliziert, es fehlt nur an Führung und strategischer Vision."

Die "Empörten" engagieren sich auf ihre Weise: Seit das Protestcamp in Madrid aufgelöst wurde, wollen sie regelmäßig Versammlungen und Demonstrationen in ganz Spanien einberufen. Am Montag startete in Valencia ein Sternmarsch auf die Hauptstadt, auch Menschen in Barcelona und Cádiz wollen in wenigen Tagen starten. Am 23. Juli soll es dann eine große Kundgebung in Madrid geben - mit weiteren, lauten Protesten.

Frankreich: "Am Ende zahlt der einfache Bürger"

Von Stefan Simons, Paris

Wenn Francois in die Auslage seines Kiosks blickt, schaudert es ihn: Katastrophen-Szenarien oder Untergangsorakel - ganz gleich, ob der Pariser Zeitungshändler in der Rue Saint Honoré rechte oder linke Blätter aufschlägt: "Griechenland: Notplan gegen den Bankrott", titelt "Le Figaro", der Kommentar bei "Libération" steht unter der Schlagzeile "Europa im Strudel der Sparpläne".

"Chaos in Athen, Konfusion in Brüssel", beschreibt "Le Monde" die Kakofonie der EU-Führung und zitiert aus einer Bank-Analyse der "Societé Générale": "Griechenland ist einen Schritt näher am Abgrund."

Die Ankündigung neuer Hilfszahlungen für die astronomisch verschuldete Regierung in Athen hat auch den "überzeugten Europäer" Francois ins Grübeln gebracht: "So kann das nicht weitergehen", meint der belesene Verkäufer, "am Ende zahlen doch wieder nur die einfachen Bürger."

Der Firmenboss hält am Euro fest

Die Perspektive aus dem Zeitungsstand deckt sich mit dem Weitblick aus der Chefetage. Jacques Aschenbroich, Boss des erfolgreichen Autozulieferers Valeo, betrachtet bei aller Panik an den Finanzmärkten die gemeinsame Währung als "zentralen Pfeiler" der Gemeinschaft, schon "weil wir europaweit operieren". Ein Rückfall in die Ära nationaler Währungen, so der gewiefte Firmenchef, sei "schlichtweg ein Unding".

In einem aber unterscheidet sich der Wirtschaftskapitän deutscher Herkunft von der Stimmung an der Basis: Während der Valeo-Chef darauf setzt, dass die Weltwirtschaft allmählich wieder zulegt, wächst im Zuge der Griechen-Krise jenseits des Rheins die pessimistische Einstellung am liberalen europäischen Modell.

Es sind nicht nur linke Systemkritiker, nostalgische Souveränisten oder nationalistische Fundamentalisten aus dem Lager des rechtsextremen "Front National", die den Rückzug hinter Zollschranken fordern.

Die Finanzkrise sowie der hartleibige Widerstand der Banken gegen Reformen und Transparenz haben den jahrzehntealten Glauben an die Steuerungskräfte der freien Märkte nachhaltig erschüttert.

Angst vor Billiglöhnen

Die Zweifel an den Wirtschaftsdogmen der Vergangenheit haben längst die Breite der Bevölkerungsmehrheit erfasst: 75 Prozent der Franzosen, so eine Umfrage, sehen ihre Jobs durch das freie Spiel der Märkte in Gefahr und wünschen sich ein gerütteltes Maß an Protektionismus.

Grund dafür, so meint das Magazin "Marianne", sei eine "industrielle Versteppung", bei der in den vergangenen 20 Jahren etwa zwei Millionen Arbeitsplätze verloren gingen - meist durch den Export der Arbeitsplätze in Billiglohnländer Osteuropas oder Asiens. Allein 2009 machte Frankreichs Industrie 428 Produktionsstätten dicht.

Die Folge: "Massenarbeitslosigkeit, wachsende Existenzangst der Mittelklasse, prekäre Jobs für Jugendliche, Verarmung von kleinen Städten wie des ländlichen Raums", konstatiert "Marianne" und schlussfolgert: "Die Industriepolitik ist die Hauptniederlage der Amtszeit von Nicolas Sarkozy."

Angesichts der im kommenden Jahr anstehenden Präsidentschaftswahlen ist Protektionismus als Heilmittel gegen die Exzesse der Globalisierung auch bei Regierung und Opposition kein Tabuthema mehr.